Neujahrsmord

Gerade ertönte Marcellos Konzert für Oboe und Orchester. Plötzlich fiel einer der Oboisten vom Stuhl und krampfte...

Zusammen mit seinen Kollegen Andi Haricht und Udo Mayer sah sich Chefinspektor Georg Kunze das Neujahrskonzert im Fernsehen an. Gerade spielten sie Alessandro Marcellos Konzert für Oboe und Orchester in D-Moll. Plötzlich fiel einer der Oboisten vom Stuhl und krampfte. Die Kameras zoomten dicht heran, ein Aufschrei ging durch die Zuschauermenge. Dann wurde die Sendung abgebrochen. 50 Minuten später trafen die Beamten mit dem Amtsarzt im Musikvereinssaal ein. Die Bühne war bereits mit weiß-roten Bändern abgesperrt. Zusätzlich hinderten drei Streifenpolizisten die Presseleute und Schaulustigen daran, auf die Bühne zu kommen.
Erschöpft von den Reanimationsversuchen saßen die Sanitäter auf den Stühlen. Die Beamten stellten sich den Umstehenden vor, während sich der Amtsarzt über die Leiche beugte. „Sieht nach Cyanidvergiftung aus, Herr Chefinspektor.“ Die Haut des Oboisten war rosig und mit leuchtend roten Flecken übersät. Der Arzt ließ Georg in die Mundhöhle des Toten sehen. Hellrote Schleimhautblutungen wiesen in der Tat auf Zyankali hin. „Ja.“ Georg Kunze nickte. „Es riecht klar nach Bittermandeln aus seinem Mund.“ Der Amtsarzt zog die Stirn in Falten. „Danke. Ich gehöre leider zu den Menschen, die diesen Geruch nicht wahrnehmen können.“ Georg Kunze zeigte auf den toten Oboisten. „Vermutlich er auch nicht.“
Ein Mann wedelte mit einem silbernen Stöckchen vor Georgs Nase herum. Graue Locken umrahmten sein Gesicht. Genervt richtete Georg sich auf. „Wer sind Sie?“ »Ich bin Fritz Walser-Most, der Dirigent und Leiter der Wiener Philharmonie.« Der Grauhaarige nahm seine Brille ab und wischte sie mit einem zerknitterten Taschentuch sauber. „Vermutlich ist ihr Oboist vergiftet worden.“ „Gabriel Holden, vergiftet?“ Walser-Most kniff die Augen zusammen. „Warum? Wie?“ „Das müssen wir noch herausfinden.“ Georg Kunze blickte sich um. Mayer schoss bereits Fotos von der Leiche. „Hatte Holden Feinde?“, wandte er sich wieder an den Dirigenten.
„Eher Bewunderer. Er war ein Genie.“ Andi Haricht kam auf Kunze zu und streckte ihm ein Instrument entgegen. „Riechen Sie mal.“ Georg Kunze schnupperte. Eindeutig. „Ist das Holdens Oboe?“, fragte er den Dirigenten. „Nur Holden spielte bei uns auf einer Marigaux“, schwärmte Walser-Most. „Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen, das uns weiterhelfen könnte?“ Der Dirigent schüttelte den Kopf, dann hielt er inne. „Ja, doch. Gabriel hat mit seiner Frau gestritten, aber das kam öfter vor. Vor dem Konzert hat er über Kopfschmerzen und Schwindel geklagt. Ich glaube, er musste sich sogar übergeben.“
„Wo halten sich die Musiker vor dem Konzert auf?“ „In der Garderobe“, mischte sich ein anderer Musiker ein. „Harald Macht. Fagott“, stellte er sich vor. „Ich bring Sie gerne hin.“ Kunze folgte dem Fagottisten hinter die Bühne. Vor der Spiegelwand in der Garderobe standen Keramikschalen, die mit Flüssigkeit gefüllt waren. Kunze schnupperte an drei Schalen. An einer der Schalen roch er das typische Mandelaroma. „Ist das Holdens Platz?“ Macht nickte.
„Das Gift ist in diesem Wasser. Wozu ist es da?“, fragte der Chefinspektor interessiert. „Wir weichen unsere Mundstücke vor dem Spiel im Wasser ein, damit sie biegsam werden. Also nur diejenigen, die Instrumente mit Doppelrohrblatt spielen.“ „Tauschen Sie die Mundstücke untereinander?“ „Aber nein, jeder schnitzt sich seine Doppelrohrblätter selbst. Unterschiedliche Materialien und Schnitztechniken erzeugen verschiedene Klänge.“ Holden musste die giftigen Dämpfe eingeatmet haben, was sein schlechtes Befinden vor dem Konzert erklären würde. Der Rest wurde während des Spiels über die Mundschleimhaut aufgenommen. Das Gift war also vor dem Einlegen des Mundstücks untergemischt worden.
„Wissen Sie, Gabriel sollte gar nicht spielen“, fuhr Macht fort. „Phillip Kraus wäre heute zum ersten Mal dabei gewesen.“ „Warum wurde er abgezogen?“ „Bei der letzten Aufführung von Rossinis ,Otello‘ in der Staatsoper hat er beim Oboensolo gepatzt.“ »Was hat das mit dem Neujahrskonzert zu tun?“ Verwundert kratzte sich Georg am Kopf. „Man muss mindestens drei Jahre lang im Staatsopernorchester Mitglied sein, bevor man den Antrag bei den Wiener Philharmonikern stellen darf“, erklärte Harald Macht. „Phillip ist schon fünf Jahre dabei und wird immer wieder vertröstet. Kurz vor elf Uhr hat er noch mit Fritz gestritten. Ich hab sie gehört.“
Das wäre also ein Motiv. In der ersten Reihe des Saals biss sich Phillip Kraus gerade die Fingernägel wund, als Kunze zu ihm trat. „Haben Sie Gabriel Holden gehasst?“ „Warum?“ „Sie hätten heute spielen sollen.“ Kraus nickte nervös. „Ist nicht Holdens schuld?“ „Wo waren Sie vor der Vorstellung?“ „Bei Walser-Most. Wollte ihn umstimmen. Hatte meine Oboe sogar dabei.“
„Und Sie wissen natürlich, dass man das Mundstück vorher in Wasser einlegen muss.“ „Klar. Warum?“ „Jemand hat Gift in die Wasserschale von Holden gemischt.“ Phillip Kraus sprang auf. „Ich war's nicht! Fragen Sie mal seine Frau Helene, die war heute vor dem Konzert noch hier. Kann mir gut vorstellen, dass sie ausgeflippt ist. Gestern hat Gabriel ihr die Scheidungspapiere überreicht. Er war mit dem Cellisten Tom Korn zusammen. Ein Skandal für die Familie Cibat.“ „Cibat, der Pharmaziekonzern?“ Kraus bejahte. „Helene ist die Tochter von Adam Cibat.“ Im Parkett kam eine Frau im Chanel-Kostüm auf Georg Kunze zugerannt. Ihr Make-up war verwischt. „Haben sie den Mörder meines Mannes schon gefunden?“ „Wieso Mörder?“ „Ich habe gehört, was der Amtsarzt gesagt hat. Gabriel wurde vergiftet! Wie furchtbar! Hätte er seine Mundstücke besser in einem verschließbaren Gefäß eingeweicht.“
Eine Hand packte Helene Holdens Arm. „Was hast du ihm angetan?“ Tränen liefen dem Mann übers Gesicht. „Ich hab ihn geliebt.“ „Lächerlich!“ Sie rümpfte die Nase und schüttelte ihn ab. „Dafür wirst du bezahlen! Hexe!“ „Ja das wird sie, Herr Korn.« Irritiert blickte Helene Holden Georg Kunze an, als er ihr die Handschellen anlegte.
Warum wird Helene Holden verhaftet?

Lösen Sie den Fall
Wer war der Mörder?

>>Zur Lösung

Die Autorin:

Jennifer Wind, geboren 1973 in Leoben, lebt südlich von Wien und schreibt seit 1989 Kurzgeschichten und Gedichte, veröffentlicht vor allem in Literaturzeitschriften und Magazinen, z. B.. „Buß- und Bettag“ in „Mord am Konradsberg“

www.krimiautoren.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2011)

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