Zehn Filme oder Veranstaltungen auf der heurigen Viennale als Empfehlungen für diverseste Geschmäcker.
15.05.2018 um 00:06
Für immer Jung? A Dangerous Method, eine vielschichtige Studie über die Pioniere der Psychoanalyse, von Genremeister David Cronenberg als hintersinniges Historienstück in täuschend klassischem Stil inszeniert, ist einer der herausragenden Filme des Kinojahres: eine Geschichte der psychosexuellen Aufklärung und Abgründe, die zugleich wieder eine History of Violence ist. Gleich zu Anfang windet sich Keira Knightley als hysterische, verkrümmte Patientin in einer Kutsche, als wäre dies ein Horrorfilm, dann geht es gewitzt und geschichtsbewusst um das Verhältnis zwischen C. G. Jung (Michael Fassbender) und Sigmund Freud (Viggo Mortensen). Ein durchwegs superb gespieltes, nüchtern, klar und pointiert serviertes Dialogdrama, unter dessen sorgfältig gestalteter Oberfläche die gewalttätigen Gefühle hochkochen: Wie Fast Company und M. Butterfly ein heimliches Hauptwerk des Kultregisseurs Cronenberg, der außerdem als Viennale-Gast angekündigt ist. „A Dangerous Method“: 29.10. 21:00 Gartenbaukino; 31.10. 23:30 Urania DiePresse-Schaufenster, Text: Christoph Huber, Fotos: Viennale
(c) Viennale
Für seinen vorigen Film Dogtooth erhielt der junge griechische Regisseur Yorgos Lanthimos eine so verdiente wie unwahrscheinliche Auslandsoscar-Nominierung, der Nachfolgefilm Alpis erweitert dessen Thema – absurde Rollenspiele als böse Sozialsatire – mit ungleich verstörenderen Resultaten. Eine Firma, die sich „Alpen“ nennt (der Chef sichert sich natürlich gleich den Namen des höchsten Bergs, Mont Blanc) verdingt sich für eine surreale Form der Trauerarbeit – mehr zu verraten wäre kontraproduktiv, weil der Film davon lebt, wie sich die Situation nur langsam aus einer zunächst bewusst undurchschaubaren Konstruktion erschließt. Im Kern steckt eine schwarze Komödie, aber ihre Umsetzung ist eher unheimlich als komisch: ein Hauptwerk des heutigen Kino-Existenzialismus, das Lanthimos als Hoffnungsträger für ein europäisches Entfremdungskino bestätigt, das sich ansonsten in der erstarrten Kunstfilm-Langeweile der Schule von Haneke & Co. zu verlieren droht. „Alpis“: 21.10. 18:00 Gartenbaukino; 23.10. 11:00 Künstlerhaus
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Mit L‘Apollonide (Souvernirs de la maison close) legt der französische Exzentriker Bertrand Bonello seinen bislang besten Film vor: Eine traumhafte und opulente Heraufbeschwörung der letzten Tage eines Pariser Bordells im fin de siècle – die täglichen Rituale und Pflichten seiner Bewohner, ihre (illusorischen) Hoffnungen und (niederschmetternden) Enttäuschungen als fiebriger, barocker Gefühlsstrudel. Bonellos Film ist durchdrungen von der Atmosphäre der dekadenten Literatur der Ära, widmet sich seinem Sujet aber mit einem ungewöhnlichen, zärtlichen wie schockierenden Staunen: Trotz ausgiebiger Nacktheit erreicht L‘Apollonide einen Zustand halluzinatorischer Schönheit, der alles Schmierige und Sexistische von sich weist. Ein Film über Abhängigkeiten, weibliche Solidarität und die französische Kinoindustrie als eine Form der Zuhälterei – viele der Nebenrollen hat Bonello amüsanterweise mit bekannten (und hingebungsvoll aufspielenden) Kollegen besetzt. „L‘Apollonide (Souvernirs de la maison close)“: 28.10. 15:00 Gartenbaukino; 29.10. 21:00 Metro
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Einer der unterhaltsamsten Filme in der Karriere des Doyen des (amerikanischen) Dokumentarfilms, Frederick Wiseman: In Crazy Horse widmet er sich dem gleichnamigen berühmten Pariser Varieté – und dem Anspruch der traditionellen (Fast-)Nacktrevue, Kunst zu bieten. Einen Film über die „Projektion des Begehrens“ nennt Wiseman seine Dokumentation, die mit Schattenspielen beginnt (und endet) und über ausgiebige, farbenfrohe Choreografien von Busen und Hintern zu den Obsessionen französischer Choreografen und den Beschränkungen althergebrachter Institutionen vordringt. Absurde Sternstunden wie ein neu komponierter „Le Crazy“-Dance-Knaller inbegriffen. Ebenfalls empfehlenswert im Dokumentarprogramm: die Wiederaufführungen von Thomas Harlans Torre Bella (1975) und William Greaves‘ Symbiopsychotaxiplasm: Take One (1968) sowie Volker Sattels neue, kühle Kernkraftwerk-Studie Unter Kontrolle. „Crazy Horse“: 21.10. 21:00 Künstlerhaus; 22.10. 13:00 Gartenbaukino
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Das muskulöse Debüt des israelischen Regisseurs Nadav Lapid ist eine kritische Studie seines Heimatlandes als isolationistisches Bollwerk (schade, dass Joseph Cedars Footnote, eine talmudische Satire auf israelischen Nationalismus, nicht als Pendant gezeigt wird). Lapids Hashoter beginnt mit den Mitgliedern einer Antiterroreinheit, die in die Berge radeln und verkünden: „Das ist das schönste Land der Welt.“ Vom hyperrealistischen Porträt der Machopolizisten zur hypothetischen Beschreibung einer revolutionären Gruppe junger Israelis, deren Slogans bei den Demonstrationen israelischer Jugendlicher diesen Sommer wiederholt wurden: Die Symmetrien zwischen den beiden gewaltbasierten Welten reißen ein, als das Anarchistenattentat auf eine Industriellenhochzeit die Spezialeinheit auf den Plan ruft. Der Zusammenprall ist kurz – und nachhaltig schmerzhaft. „Hashoter (Policeman)“: 23.10. 21:00 Urania; 24.10. 23:00 Gartenbaukino
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Dass dem großen Sänger und gelegentlichen Schauspieler Harry Belafonte heuer ein Viennale-Tribute gewidmet ist, ist hochwohllöblich, wird aber medial so ausgeschlachtet werden, dass keine weitere Empfehlung nötig scheint. Hingegen ist der Hongkong-Regisseur Soi Cheang, wiewohl einer der aufregendsten Filmemacher der Gegenwart, hierzulande noch immer kaum bekannt: Ein verdienter Viennale-Tribut umfasst immerhin sieben Filme dieses starken Stilisten, der in der letzten Dekade den Wandel Hongkongs von der britischen Kronkolonie zur Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China in Genrefilmen erzählt hat – von frühen, rohen Horror-Großtaten wie Hung biu hyn sin ji daai tau gwaai ang (Horror Hotline . . . Big Head Monster, 2001) und Hynhuet ching nin (New Blood, 2002) über den bebenden Beziehungsthriller Oi zok zin (Love Battlefield, 2004) zum meisterlichen Meta-Krimi Yi ngoi (The Accident, 2009). Tribute an Soi Cheang: 21.10. bis 2.11. in diversen Viennale-Kinos
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Der faszinierendste Film des Jahres dauert nur 11 Minuten und ist vom radikalen Altmeister Jean-Marie Straub im bewährt strengen Stil inszeniert: Franz Kafkas vieldeutige Wüsten- Parabel Schakale und Araber, übertragen in eine europäische Bürgerwohnung, verdichtet auf eine Handvoll Einstellungen, mit emotionslos intonierten Dialogen und unter Verzicht auf die „erzählerischen“ Zwischenteile. So ist Straubs Film noch komplexer als die Vorlage – und könnte als Kommentar zum Verhältnis zwischen der europäischen und arabischen Welt doch nicht deutlicher und zeitgemäßer sein. Weitere Höhepunkte unter den Viennale-Kurzfi lmen sind Norbert Pfaffenbichlers Hitler-Darstellungs-Dekonstruktion Conference und Führung von Réne Frölke, der lustigste Film des Jahres – die Wichtigtuer Peter Sloterdijk, Peter Weibel und Horst Köhler beim Austauschen prätentiösen Gewäschs bei einem Hochschulrundgang; „Direct Kaschperltheater“. „Schakale und Araber“: Vorfilm zur Eröffnung am 20.10.; 25.10. 06:30 Künstlerhaus; 28.10. 20:30 Stadtkino
Mit seinen Digitalepen hat sich der philippinische Regisseur Lav Diaz als ein Meister des Gegenwartskinos etabliert: Er kombiniert den artistischen Anspruch führender Kollegen mit sozialem Engagement und raffinierten erzählerischen Konstruktionen. Vor allem aber erlauben die Marathon-Laufzeiten seiner Werke dem Publikum, ungewöhnlich tief in die Welten seiner Protagonisten einzutauchen. Mit sechs Stunden Spielzeit ist Siglo ng pagluluwal (A Century of Birthing) (relativ) bescheiden ausgefallen, in seiner thematischen Verdichtung dafür umso reicher: Gegenübergestellt werden die Geschichte eines christlichen Kults und eines (autobiografisch angelegten) Filmemachers, der über einem unfertigen Projekt in die Seelenkrise gerät. Lange Einstellungen von hoher Intensität wechseln mit großzügig beobachteten Details: Die poetischen Parallelen zwischen den Erzählsträngen entwickeln sich mit ungewöhnlicher Kraft; die wiederkehrende Kulthymne ist der Ohrwurm der Festivalsaison. „Siglo ng pagluluwal“: 02.11. 18:00 Stadtkino
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Bei Roger Corman, dem legendären unabhängigen Produzenten und Regisseur von B-Filmen, haben zahllose Hollywood-Größen – von Jack Nicholson und Francis Ford Coppola über Martin Scorsese und Dennis Hopper bis zu Joe Dante und Jonathan Demme – ihre ersten Schritte gemacht: Viele davon (und natürlich auch der Meister selbst) kommen in der gutgelaunten Dokumentation Corman‘s World: Exploits of a Hollywood Rebel zu Wort, erfreulicherweise zeigt die Viennale dazu mit Tomb of Ligeia eines der absoluten Meisterwerke aus dem atmosphärischen Horrorfilm-Zyklus, den Corman in den Sixties für seine American International Pictures frei nach Edgar Allen Poe inszenierte: Tomb of Ligeia, eine bezwingende, lyrische Schauermär über unsterbliche Liebe. In der Hauptrolle natürlich Cormans unverzichtbare Darstellerikone bei den Poe-Verfilmungen: Vincent Price.„Tomb of Ligeia“: 24.10. 23:30 Künstlerhaus; 25.10. 11:00 Urania
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José Padilhas packender Berlinale-Sieger Tropa de Elite über die gleichnamige Spezialeinheit der brasilianischen Polizei war umstritten, weil er ganz aus der Perspektive eines Law-and-Order-Vertreters erzählt war – mit der furiosen Fortsetzung Tropa de elite 2 – o inmigo agora é outro stellt Padilha allerdings endgültig klar, worauf er wirklich hinaus wollte: Statt des actiongetriebenen, zornigen, aber angreifbar konzipierten Protestkinos des Vorgängers liefert er diesmal einen Politthriller über systemische Korruption, der an die Meisterwerke des Genres von Italo-König Damiano Damiani erinnert. Die finale, monumentale Kamerafahrt über Brasilias Regierungsgebäude, während eine verbitterte Litanei auf der Tonspur ertönt, ist der wütendste Aufruf zur gerechtfertigten Revolution, den das kommerzielle Kino in den letzten Jahren hervorgebracht hat. „Tropa de elite 2 – o inmigo agora é outro“: 26.10. 23:00 Gartenbaukino; 27.10. 15:30 Metro
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Zehn Höhepunkte
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