Zu viele Weiber hocken da, das kann nichts werden

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Wir haben keine Gleichberechtigung. Wo sollte sie auch herkommen, nach tausend Jahren männlicher Dominanz, die nicht aus Bosheit, sondern aus Gewohnheit entstanden war? Männer sind so, die brauchen das. Frauen akzeptieren das.

Eben im Flugzeug. Zwei Männer in schlecht gebügelten Anzügen, ein wenig zu glänzend der Stoff, die Halbschuhe zu braun, sprachen über die Schweizer Regierung: Zu viele Weiber hocken da, das kann nichts werden. Ein kleiner Nebensatz, der keinem in den Jahren männlicher Vorherrschaft in den Sinn gekommen wäre. Zu viele Männer in der Regierung. Sehr lustig. Das einzige Mal in meinem Leben, dass ich einen leibhaftig, anwesenden Chef hatte, der Ankunft und Arbeit überwachte, weisungsbefugt über mein Leben, war in der sehr kurzen Zeit in einem zu Recht längst untergegangenen Magazin, das von Männern gemacht wurde, wie damals und heute fast alle Zeitschriften und Zeitungen, Fernseh- und Radioprogramme. Wie fast alle Wirtschaftsunternehmen, Banken, Fluggesellschaften. Wie alles. Die Männer schrieben Männerthemen, ich war für die Frauenthemen zuständig, die dann aber letztlich doch von Männern geschrieben wurden, die besser wissen, was Frauen denken, denn sie hatten jahrhundertelang den Orgasmus der Frau erforscht, die Hysterie, das Gebären. Männer hatten Literatur über Frauen erstellt, sie hatten sich da so ihre Vorstellungen gemacht, Männer hatten Filme über Frauen gedreht, Theaterstücke über sie geschrieben. Männer wussten, was Frauen fühlten, und dachten, sie wussten über deren Körper Bescheid, so, wie sie auch ihrem Haustier Sorge trugen. Wir haben keine Gleichberechtigung. Wo sollte die auch herkommen, nach tausend Jahren männlicher Dominanz, die nicht aus Bosheit, sondern aus Gewohnheit entstanden war?

Frauenbenutzung ist gesellschaftlich so akzeptiert wie der Verzehr eines Bechers Kaviar. Männer sind so, die brauchen das. Frauen akzeptieren das. Es gibt sie nackt, es gibt sie verschleiert, es gibt sie zu kaufen und das Dummargument „Die Frauen tun das doch freiwillig“ lässt jeden Einwand verstummen. Ich habe es aufgegeben, Männern erklären zu wollen, warum mich verschleierte Frauen demütigen, warum nackte Frauen in Schaufenstern mich demütigen, warum Frauen, die sich nackig für Hefte fotografieren lassen, um ihre Karriere als Schauspielerin Schrägstrich Modell oder Moderatorin anzukurbeln, mich müde machen. Ich werde Männern nichts erklären können. „Ach, Gottchen, ja“, sagen sie, zucken die Achseln, Männer sind eben so. Sie müssen sich vermehren, das ist ihr Job. Egal, ob hetero- oder homosexuell, da muss immer was gehen, da müssen Pornos geschaut werden, Prostituierte gekauft, da muss gefummelt und einer weggesteckt werden, darum, liebe Frau, musst du dich entweder verhüllen, um ihnen zu entkommen, oder dich zurückhaltend kleiden oder dich in einen Sack stecken, darum liebe Frau, wenn du was erreichen willst, sie um den Finger wickeln, zeig ihnen deine Möpse, benutz die Waffen einer Frau (um das gut zu machen, kauf all den Scheiß, werde begehrenswert!). Ich will das alles nicht. Ich will nicht, das die Hälfte der Erdbevölkerung zur Lustbefriedigung der anderen bereitsteht, ich will keine nackte Frauen auf Tageszeitungen, ich will keine Pornos, ich will den ganzen Dreck nicht, der nahelegt, mich als Ware zu betrachten. Keine Ahnung, wie Männer fühlten, wäre es normal, dass Frauen nach einem guten Abschluss in ein Bordell gingen, mit Knaben verkehren, wenn Männer an der Ecke stehen würden, halb nackt in Strings, wenn Frauen sich in die Seiten stoßen und über die Dicke der Gemächte reden, wenn wir euch als Teebeutel verkleiden, damit ihr unseren geilen Blicken und Händen nicht ausgesetzt werdet.

Bis heute ist Männern das – Durch-die-Mutter-geworden-Sein – ein wenig unheimlich, und sehr lange war das einzige Gegenmodell zur Mutter die Hure. Mehr Klassifizierung existierte im Bewusstsein vieler Männer nicht, und man kann es ihnen nicht verübeln. Sie waren stärker, sie hatten das Feuer, sie hatten das Land. Gewohnheitsrecht. Es gab für Männer keinen Grund, mit Frauen zu teilen. Keiner teilt gern. Das ist bis heute so. Frauen in Führungspositionen? Solange Bankangestellten zur Entspannung Frauen konsumieren, werden sie sie in der Führungsetage nicht ernst nehmen können. Wie sollen sie respektieren können, was sie nach getaner Arbeit benutzen? Wie können sie ernst nehmen, was sie nur als Waren kennen? Aus Schaufenstern und Bordellen, aus Katalogen und in Zeitungen nackt zum Gebrauch bestimmt. In der Vergangenheit haben Frauen sich deformiert, sie wollten gefallen und dienen, sie wollten überleben, sie waren abhängig, sie waren Mätressen, sie schauten zu ihrem Mann auf, hielten ihm den Rücken frei. Was sollten sie auch tun? Sie durften lange nicht studieren, durften nicht selbst entscheiden. Alles eine Frage der Geschichte, und diese gilt es nun mühsam neu zu schreiben.

Junge Frauen, auch ich gehörte irgendwann dazu, hassen die Idee einer Frauenquote, sie scheint ihnen wie ein Almosen – sie wollen durch Leistung überzeugen, vergessend, dass man erst einmal an den Ort gelangen muss, wo diese Leistungen strahlen können.

In der Welt der Männer mitzumachen heißt sich gute Nerven zuzulegen. Bei der Beurteilung meiner Arbeit geht es immer erst einmal um die Beurteilung meines Äußeren, um Angriffe wegen meines Geschlechts, um Ideen, wie ein Frau zu schreiben hat, und was. Kein Unterschied, ob männliche Kritiker über mich schreiben, oder Männer in Foren, das wunderbare Medium der Schwarmintelligenz, ihrem Hass Ausdruck zu verleihen. Eine schreibende Frau, so hält sich die Legende, kann immer nur von sich schreiben, weil ihr der Verstand zur Abstraktion fehlt. Frauen sind nicht lustig. Sie sind kein Shakespeare. Frauen, die sich nicht so verhalten, wie es sie die Geschichte gelehrt hat, verunsichern unsere Gesellschaft, und zwar beide Geschlechter, immer noch auffallend.

Frauen sind vor allem erst einmal Sexualobjekt, vor allem erst einmal unsichtig, wenn sie zur Paarung nicht mehr relevant sind. Ein italienischer Präsident wagte über das Gesäß der deutschen Bundeskanzlerin zu urteilen, Frauen werden in den Medien vorgeführt, ob ihres Gewichts, ihrer plastischen Operationen, ihres Alters, ihres Dekolletés, ihrer Kleidung. Frauen die in Führungspositionen sitzen, vornehmlich von männlichen Kollegen umgeben, wissen, wie fließend und elegant die Grenzen zwischen Scherz und Diskriminierung ist. Sie versuchen, sich zu tarnen, mit unauffälligen Hosenanzügen, kurzen Haaren, flachen Schuhen, nur nicht als Frau auffallen, nicht herausragen aus der Mitte der Herren in schwarzen Anzügen.

Wir werden eine gleichberechtigte Gesellschaft haben, wenn keiner mehr einen anderen zum Gebrauch erwerben kann. Wir werden eine Gleichberechtigung haben, wenn zu viele Weiber in der Regierung normal sind, wenn Theaterintendantinnen normal und nicht die Ausnahme sind, Dirigentinnen sich keine Urteile über ihren Hormonhaushalt anhören müssen, wenn die Chefs von Verlagen und Konzernen auch Frauen sind, zur Hälfte, denn wir haben zwei Geschlechter auf der Welt, und keines ist dem anderen zum Untertan geboren. So lange, bis es so weit ist, herrscht Krieg.

Und weil wir nicht töten wollen, brauchen wir Frauenquoten, für die Zeit, die die durchaus lernfähigen Männer benötigen, um sich an die Frauen als Partner zu gewöhnen. Als gleichberechtigte Partner.

Sibylle Berg
Geboren 1962 in Weimar.
1984 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland nach Ausreiseantrag. Schriftstellerin, Dramatikerin, lebt in Zürich.

Bergs erster Roman, „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ (1997, Reclam), verkaufte sich über 100.000-mal. Jüngster Roman: „Der Mann schläft“ (2009, Hanser). Veröffentlichungen von Kurztexten in Zeitungen und Zeitschriften unter anderem in der „Zeit“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2012)

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