Die junge Revolution

Der Meister und (selbst ernannte) Retter der französichen Esskultur. 'Ich setzt mich dafür ein, unser Know-how zu verteidigen. Deswegen unterstütze ich die jungen Talente', sagt Alain Ducasse.
Der Meister und (selbst ernannte) Retter der französichen Esskultur. 'Ich setzt mich dafür ein, unser Know-how zu verteidigen. Deswegen unterstütze ich die jungen Talente', sagt Alain Ducasse.(c) AP (Vanessa von Zitzewitz)
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Eine Neue Generation von jungen Köchen bringt wieder Schwung in Frankreichs Restaurants – Die Jeunesse Cuisine als Rettungsanker der frankophilen Kochkunst. Alain Ducasse und zwei Journalisten helfen dabei mit.

Mon dieu, das hat den Franzosen gar nicht geschmeckt: Als kürzlich das Londoner Magazin „Restaurant“ ihre jährliche Liste der weltweit besten Restaurants veröffentlichte, wurde in den Küchen des Landes nur mit halber Flamme gefeiert: Pierre Gagnaires Restaurant in Paris erreichte „nur“ den dritten Platz, unter die ersten 20 kochten sich nur vier Franzosen, Tendenz fallend. Die Liste bewies erneut, was die Grande Nation gar nicht gerne hört: Die französische Haute Cuisine verliert konsequent an Bedeutung. Der Sieger, das „El Bulli“ in Spanien und der Zweitplatzierte, Heston Blumenthals „Fat Duck“ in London, geben international den Ton an, die „French Laundry“ in Kalifornien (Platz 4) und das Tetsuyas in Sidney (Platz 5) sind drauf und dran, die französische Kochtradition weiter nach hinten durchzureichen.

Ganz Frankreich geht also den kulinarischen Bach hinuter. Ganz Frankreich? Nein, eine Gruppe von unbeugsamen Köchen hört nicht auf, dem Niedergang Einhalt zu bieten. Ganz vorne, an der Spitze, zieht Alain Ducasse in diese kulinarische Schlacht. Um der französischen Küche wieder auf die Sprünge zu helfen, gründete er vor drei Jahren „Fou de France: Food de France“ – verrückt nach Frankreich durch Essen aus Frankreich. Eine Aktion, die der französische Sternekoch in seinem Nobelrestaurant Relais Plaza Athénée gestartet hat. Ziel der Aktion des derzeit berühmtesten französischen Kochs ist es, junge, noch unbekannte Talente aus den französischen Regionen bekannt zu machen. Jeden Monat stand zwei Wochen lang das Menu eines solchen Newcomers auf der Karte und kostete nur 50 Euro. „Wenn sich nichts ändert, wird Frank-reich schlicht ein Disneyland der Kultur und des guten Geschmacks“, warnt Ducasse. „Deswegen setze ich mich dafür ein, unser Know-how zu verteidigen.“ Das klingt fast wie eine Kampfansage, dabei ist sein übergeordnetes Ziel mehr als friedlich, er will „den Leuten Momente des Glücks bescheren“.

Spaß statt Strenge

Ducasse war auch bereit, in der Küche Neues zu akzeptieren. Die junge Generation von Köchen interpretiert die französische Eleganz und Steifheit in der Branche völlig neu: Weiße Schürzen sind out, schwarze T-Shirts in. Vor Jahren noch undenkbar, sind Tattoos, Ohrringe und Dreadlocks mittlerweile erlaubt, Spaß statt Strenge heißt das Motto hinter dem Herd. Die Restaurants dieser „Jeunesse génération“ sind klein,verfügen über 20 bis 30 Sitzplätze, befinden sich oft in unbekannten Orten – wie etwa die „L‘ Auberge de la Charme“ von David Zuddas in Prenois, einem kleinem Fleck auf der Landkarte, gleich bei Dijon. Gespeist wird ohne Krawatte, die Menüs sind für französische Verhältnisse leistbar – zwischen 30 und 55 Euros. Was diese „cuisine d‘auteur“ ebenfalls auszeichnet: Die Köche wie Stephane Carrade, David
Zuddas, Lionel Lévy oder Guillaume Salvan haben ihre ersten Sporen allesamt bei großen Meistern wie Ducasse, Bras oder Robuchon gesammelt, um jetzt zu kochen, was ihnen gefällt und nicht das, was dem Guide Michelin gefallen könnte. Viele von ihnen haben sich auch durch die Welt gekocht, vor allem durch Asien, dieser Einfluss ist geschmacklich immer wieder zu spüren.

Die Kreationen haben Humor, sie gehen wenig respektvoll mit französischen Klassikern um. Lionel Lévy kocht etwa eine mehrlagige Bouillabaisse in verschiedenen Temperaturen, serviert in einem Trinkglas. Christoph Picard arbeitet an einer Fast-Food-Parodie, einem Hamburger mit Wilder Ente, Gänseleber und süßen Pommes. Stephane Carrade zaubert im „Chez Ruffet“ eine gegrillte Gänseleber mit Chicorée-Lollipops auf den Teller.

Interessant zu kochen ist die eine Sache, in der Öffentlichkeit bekannt zu werden, bekanntlich eine andere. Zwei Journalisten tragen dazu bei, „la jeunesse cuisine française“ im Bewusstsein von Gourmets zu verankern. Luc Dubanchet und Laurent Seminel arbeiteten für das Gault Millau-Magazin und den gleichnamigen Restaurant-Guide. Beiden fielen die jungen Talente im ganzen Land auf, die in kleinen Ortschaften kochten, noch unbekannt waren und nicht in den Beuteraster der klassischen Restaurantguides passen. Also haben die beiden Gault Millau verlassen und „Omnivore“ gegründet – eine Zeitschrift, die heute Omni heißt, ein kulinarisches Pamphlet, das man nur über ein Abonnement beziehen kann. Ein Werk, das schon in der ersten Ausgabe folgendermaßen titelte: „Die junge französische Küche beginnt schon heute.“ Wichtiger Baustein im Gesamtkonstrukt der beiden: Während andere Guides bis zu tausend Adressen und
Restaurants anführen, haben sich Dubanchet und Seminel darauf festgelegt, jährlich genau 200 junge Talente im ganzen Land im „Carnet de Route“ zusammenzufassen. 2007 erschien „Carnet de Route“ das zweite Mal.

Es wäre nicht Frankreich, würden sich die Jungköche nicht auch in einer losen Bruderschaft (fraternité) zusammengetan haben: Die Neuentdeckungen von Ducasse und den beiden Journalisten nennen sich Generation C. Das C steht für Cuisines und Cultures, beides in der Mehrzahl, sie treten für Offenheit, für viele Kulturen und Geschmäcker ein. Und das als Vertreter einer der wichtigsten Küchen der Welt. Wer hätte das vor einigen Jahren in Frankreich für möglich gehalten?

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