Die Kinder von Frau Penh

AP (c) Heng Sinith
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Das Reiseland Kambodscha kämpft um ein neues Image: Good Clients, good Business ist das Ziel der Behörden, aber auch zahlreicher privater Initiativen. Kinderprostitution und Kinderarbeit sollen der Vergangenheit angehören.

Es soll im Jahr 1372 gewesen sein, als die reiche Khmer-Frau Penh einen Baumstamm entdeckte, der auf dem Tonle-Sap-Fluss schwamm und in dem sich vier bronzene Buddhastatuen befanden. Um den Buddhas einen passenden Platz zu schaffen, ließ die wohlhabende Dame auf einem Hügel nahe des Flusses ein kleines Kloster errichten. Dieses Kloster wurde mittlerweile vielmals umgebaut – und die Buddha-Statuen sind dort längst nicht mehr anzutreffen. Dafür findet sich hinter dem eigentlichen Tempelheiligtum des Wat Phnoms nicht nur eine Stupa, sondern auch eine Figur der Tempelgründerin. Nach der Dame ist inzwischen die gesamte Stadt benannt, die sich um den Tempel herum gebildet hat: Phnom Penh, der Hügel von Frau Penh.

Zum Wat Phnom, dem besagten Tempel auf dem Hügel, pilgern nicht nur Touristen, sondern noch immer zahlreiche Gläubige. Sie opfern Früchte und zünden Räucherstäbchen an, das soll Glück und Gesundheit bringen. Der Tempel auf dem Hügel dient auch als kleiner Ruhepol, denn Phnom Penh ist eine quirlige Großstadt mit 1,5 Millionen Einwohnern geworden. Dennoch ist die kambodschanische Hauptstadt kein urbaner Moloch wie Bangkok oder Saigon. Im Gegenteil: Phnom Penh ist eine Stadt, die Großzügigkeit und Offenheit ausstrahlt. Das liegt an den breiten Boulevards und an der majestätischen Flusspromenade am Tonle-Sap-Ufer. Wer den Sisowath Quay entlangflaniert oder über den russischen Markt bummelt, wer auf dem Rücksitz eines Motorradtaxis den Monivong- oder den Sihanouk-Boulevard entlangfährt, der kann sich schwer vorstellen, dass Phnom Penh vor dreißig Jahren eine regelrechte Geisterstadt war.

Pol Pots chinahörige Guerilla, die Phnom Penh im April 1975 erobert hatte, trieb damals die gesamte Bevölkerung zwangsweise auf das Land, um einen steinzeitkommunis-tischen Bauernstaat zu errichten. Ein Spuk, der vier Jahre andauerte und fast zwei Millionen Kambodschaner das Leben kostete – rund ein Viertel der damaligen Gesamtbevölkerung des Landes. An die Schreckenszeit der Pol Pot-Herrschaft, die 1979 durch vietnamesische Truppen beendet wurde, erinnert heute das Tuol Sleng-Museum, das in einer ehemaligen Schule untergebracht ist, die 1975 zu einem Foltergefängnis umfunktioniert worden war. Tuol Sleng war über Jahre ein Ort des Grauens, an dem in Ungnade gefallenen Parteimitglieder gequält und getötet wurden. Zuvor hatten die Peiniger ihre Opfer stets noch fotografiert. Etliche hundert Fotos aus dieser Zeit sind heute im ersten Stock des Museums zu sehen. Sie sorgen dafür, dass die Gesichter der Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Rund 17.000 Männer, Frauen und Kinder, die in dem S 21 genannten Spezialgefängnis interniert waren, sind anschließend zu den Killing Fields gebracht worden.

Eine dieser Exekutionsstätten, von denen es zahlreiche in Kambodscha gegeben hat, ist nur fünfzehn Kilometer vom Stadtzentrum Phnom Penhs entfernt – die Killing Fields von Choeung Ek. Um Munition zu sparen, wurde den Menschen oft einfach der Schädel zertrümmert. Heute erinnert ein 1988 errichteter Turm an diese Gräueltaten: In dem Stupa-ähnlichen Gebäude werden Schädel und Gebeine von Ermordeten aufbewahrt, die in den umliegenden Massengräbern gefunden wurden.

Langsame Normalisierung.

Die Folgen des Bürgerkriegs, in dem ein Großteil der Elite des Landes ausgelöscht wurde, weil jeder, der eine höhere Schule besucht hatte, besonders verdächtig war, führten dazu, dass Phnom Penh in den 80ern und Anfang der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts eine Art Wildweststadt wurde. Gewalt und Kriminalität waren keine Seltenheit, denn nach dem Krieg waren noch viele Waffen im Umlauf. Heute jedoch kann sich der Besucher in Phnom Penh zu allen Tages- und Nachtzeiten sicher bewegen. Dennoch gibt es in
Phnom Penh weiter soziale Probleme, von Kinderarbeit bis hin zu Kinderprostitution. Seit einigen Jahren aber zeigt sich, dass Kambodscha kein rechtsfreier Raum mehr ist. Mittlerweile wurde in Kambodscha rund 1000 Pädophilen wegen Kindesmissbrauch der Prozess gemacht. Auch Nicht-Regierungsorganisationen wie Friends International kümmern sich aktiv darum, dass die örtlichen Hotels und Motorradtaxi-Fahrer bei der Bekämpfung von Kindsmissbrauch mitarbeiten. So sind besonders geschulte und geprüfte Motorradtaxifahrer an einer blauen Child Safe-Jacke zu erkennen.

Einer von ihnen ist der 23-jährige Phan Ron, der seit vier Jahren als Motorradtaxi-Fahrer im Phnom Penh arbeitet. Wenn er sieht, dass Kinder in Gefahr sind, würde Phan heute nicht mehr zögern, die Hotline von Friends International oder die Polizei anzurufen. „Früher sind viele Pädophile nach Kambodscha gekommen, hier war es ungefährlich, Kinder zu missbrauchen“, sagt er. Kambodscha habe ein verheerendes Image bekommen. „Heute werden die Kinder besser geschützt. Daher kommen auch weniger Sextouristen.“ Auch er will mithelfen, „daher beteilige ich mich am Child Safe-Projekt.“ Phan Ron profitiert davon gleich zweifach „Ich kann mithelfen, Kinder vor Missbrauch zu bewahren. Und es ist gut für mein Geschäft. Denn Touristen, die mein blaues Hemd sehen und wissen, dass ich beim Child Safe-Programm mitarbeite, fahren gerne mit mir, weil sie mir vertrauen“, sagt Phan Ron.

Good clients, good business.

Die Französin Marie Bizet-Pechoux, die früher bei der französischen Botschaft in Phnom Penh gearbeitet hat und nun für Friends International tätig ist, hat das Child Safe-Projekt ins Leben gerufen. Die Tuk-Tuk-Fahrer, Motorradfahrer oder Gasthäuser, die Kinder vermitteln oder Informationen über Kinderprostitution lieferen, machen damit Geld. „Der bes-
te Weg, ihr Verhalten zu ändern, ist es, wenn wir ihnen Wege zeigen, wie sie Geld verdienen können, ohne gegen das Gesetz und gegen die Menschenrechte zu verstoßen. Deshalb haben wir das Konzept ‚good clients, good business’ entwickelt. Die Botschaft ist klar und nachvollziehbar: Wer gute Geschäfte machen will, darf sich nicht mit schlechten Menschen einlassen.“ Ein Konzept, das ankommt. Mittlerweile haben sich mehr als 100 Taxifahrer in Phnom Penh und mehr als 50 Taxifahrer in der Tempelstadt Siem
Reap dem Child Safe-Programm angeschlossen. „Und bei den Motorradtaxis haben wir sogar schon Wartelisten“, berichtet Marie Bizet-Pechoux. „Mit unserem Programm wollen wir mithelfen, das Image Kambodschas zu ändern. Kambodscha ist kein Paradies für Pädophile, sondern ein wunderbares Land mit wundervollen Menschen.“

Khmer-Spezialitäten bei „Friends“. Ein anderes Projekt von Friends International hat Touristen als Zielgruppe, die die Armut Kambodschas nicht ausnutzen, sondern helfen wollen, die Situation der Jugendlichen im Land zu verbessern: In den Restaurants „Romdeng“ und „Friends“ werden Khmer-Spezialitäten und westliche Gerichte zubereitet und serviert. Wobei sich erst zeigen muss, ob die Speisekarte in dem erst Ende letzten Jahres eröffneten Romdeng-Restaurant den ausländischen Besuchern nicht zu exotisch ist – schließlich gibt es hier nicht nur gegrillten Fisch mit Mango und Wassermelonen, sondern auch geröstete Spinnen mit Pfeffersoße.

Der Koch vom Auwirt in Saalbach.

Das Besondere an den beiden Restaurants ist aber nicht die Speisekarte, sondern ihre Organisation. Die Beschäftigten sind gefährdete Jugendliche, zum Großteil Waisenkinder oder ehemalige Straßenkinder, die durch das Restaurant eine Ausbildung und eine Perspektive erhalten. Gustav Auer, ein Österreicher, der in Saalbach beim Auwirt seine Ausbildung zum Koch absolviert und später unter anderem auf den Bermudas gearbeitet hat, ist hier als Trainer und Ausbilder tätig. „Ich mache diese Arbeit seit fünf Jahren. Vorher habe ich in Nobelrestaurants gearbeitet und reiche Leute bekocht. Das war zwar ganz in Ordnung, aber irgendwie keine richtige Lebensaufgabe. Hier kann ich jungen Leuten helfen, die es im Leben bisher nicht leicht hatten“, sagt Gustav Auer, der überzeugt davon ist, dass kambodschanische Feldfrösche besser schmecken als Hähnchen.

Seit 1993 ist Kambodscha wieder ein Königreich, genauer: eine konstitutionelle Monarchie. Von 1993 bis 2004 residierte Norodom Sihanouk in Phnom Penh, der bereits 1941 erstmals König geworden war, aber politisch nicht unumstritten war. Seit Oktober 2004 ist sein Sohn Norodom Sihamoni der Monarch des Landes. Der Königspalast in Phnom Penh, in dem sich auch die berühmte Silberpagode befindet, deren Boden mit mehr als 5000 Bodenfliesen aus Silber belegt ist, gehört zu den wichtigsten Touristenattraktionen der Stadt. Der Palastkomplex kann zwar nicht mit dem Königspalast in Bangkok mithalten, doch der etwa 100 Meter lange Thronsaal ist durchaus beeindruckend. Nur wenige Meter daneben steht ein kleiner Pavillon, den Napoleon III. anlässlich der Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 für Königin Eugénie fertigen ließ. Die Hauptsehenswürdigkeit des Königspalasts ist jedoch in der Tat die Silberpagode, die erst 1962 errichtet wurde. In ihr thront die heiligste Figur Kambodschas – der Phra Ke, eine grüne Buddha-Figur aus Smaragd. Nicht weit davon entfernt befindet sich eine nahezu lebensgroße Buddhafigur aus purem Gold, die mit mehr als 2000 Diamanten besetzt ist.

Baden wie König Sihanouk

Ein Ort, der in den späten 50er-Jahren aus dem Boden gestampft wurde, um dort einen Hochseehafen zu errichten, und der zu Ehren des ehemaligen Königs Norodom Sihanouk benannt worden ist, übt auf Touristen aus aller Welt inzwischen eine nahezu magische Anziehung aus: Sihanoukville. Am Golf von Thailand gelegen, lässt die 150.000-Einwohner-Stadt, die sich zum beliebtesten Badeort Kambodschas entwickelt hat, den Besuchern die Qual der Wahl. Soll es der Victory Beach sein in der Nähe des Victory Hills, auf dem sich vor allem Rucksackreisende treffen?

Oder der Occheuteal Beach, der bei Gruppenreisenden aus den Mittelklassehotels sehr beliebt ist, aber an den auch viele kambodschanische Badegäste von Phnom Penh aus einen Abstecher machen. Denn dank verbesserter Straßen dauert die Busfahrt von Phnom Penh nach Sihanoukville mittlerweile nur noch vier bis fünf Stunden. Außer seinen fünf verschiedenen Stränden hat Sihanoukville Besuchern nicht sonderlich viel zu bieten. Genau der richtige Ort also, um sich nach einer Besichtigung der Tempelanlagen von Angkor oder nach einigen Tagen Sightseeing in Phnom Penh einmal richtig zu entspannen. Massage oder Maniküre gefällig? Egal, ob frischer Lobster gewünscht wird oder eine saftige Ananas, Nagelpflege oder Rückenmassage, die mobilen Strandverkäufer hier haben alles im Angebot. Nur gelegentlich robben beinlose Bettler durch den Sand – und erinnern den Besucher plötzlich daran, dass Kambodscha ein schweres Erbe zu tragen hat. Eine Erbe, das wegen Millionen ungeborgener Landminen, auch heute noch Opfer verlangt.

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