Wie die IS-Fanatiker nun Afghanistan terrorisieren

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Auch im kriegsgeschundenen Land am Hindukusch hatten sich die Kämpfer der Terrormiliz ausgebreitet. Eine Militäroffensive schwächte sie zwar. Doch nach dem Anschlag in Kabul geht die Angst um: Will der IS das Land in Schiiten und Sunniten spalten?

Wien/Kabul. In der Provinz Nangarhar an der Grenze zu Pakistan haben die USA einst Osama bin Laden gejagt. Al-Qaidas Terrorpate sollte sich dort in den Tora-Bora-Höhlen im Safed-Koh-Gebirge versteckt haben. Nun, 15 Jahre später, fliegen die USA wieder Angriffe in der Provinz. Die Drohnen zielen auf Kämpfer des Islamischen Staats (IS).

Denn der IS hat in Teilen der Provinz eine Schreckensherrschaft errichtet: Angebliche Spione wurden dort geköpft; Väter gezwungen, ihre Töchter mit IS-Kämpfern zu verheiraten. Das geht aus Berichten von Überlebenden hervor, deren Orte mittlerweile befreit wurden. Denn der IS ist inzwischen in der Provinz Nangarhar in Bedrängnis.

Wie überall versucht der IS nun auch in Afghanistan, Rückschläge auf „seinem“ Territorium durch aufsehenerregende Anschläge zu überdecken. In der Vorwoche gelang es der im Osten isoliert geglaubten Miliz, ihren Terror in die Hauptstadt zu tragen. Zumindest reklamierte der IS den mit mehr als 80 Toten blutigsten Anschlag in Kabul seit dem Sturz der Taliban für sich. Ganz absichtsvoll sprengten sich die Attentäter inmitten eines friedlichen Demonstrationszugs der schiitischen Hasara-Minderheit in die Luft.

Seither geht im ohnehin konfliktbeladenen Afghanistan die Angst um, der IS könnte nun auch noch die sektiererische Gewalt anheizen, das Land in Schiiten und Sunniten spalten. Denn für den IS sind Schiiten als „Abtrünnige“ verhasst. Der innerislamische Konflikt spielte bisher am Hindukusch trotz Gewalttaten der Taliban gegen die Hasara-Minderheit nur eine untergeordnete Rolle.

Überläufer der Taliban

Seit Anfang 2015 versucht der IS offiziell, in Afghanistan und Pakistan einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Seine Sympathisanten haben anfangs versucht, sich als schutzsuchende Zivilisten in lokalen Gemeinschaften einzunisten. Die Masche ging auf. Die meisten der IS-Kämpfer sind Überläufer der pakistanischen Taliban (TTP). Sie kamen über die Berge ins Land (was kein gutes Licht auf Pakistans Regierung wirft).

Ob Afghanistans vorgebliche IS-Kämpfer tatsächlich mit der IS-Führung in Kontakt standen, war lang umstritten. In der Vorwoche aber erklärte US-General John Nicholson überraschend, die IS-Filiale sei mit der Mutterorganisation „strategisch und finanziell verbunden“. Seit 2015 hatten sich die Kämpfer „in neun bis zehn Bezirken“ der Provinz Nangarhar ausgebreitet. Bis zu 3000 Kämpfer hatten sie in ihren Reihen. Nach den jüngsten Militäroffensiven wurde der IS in einigen Bezirken zurückgedrängt und Berichten zufolge auf rund 1500 Kämpfer dezimiert. Allein in der Vorwoche sollen bei nächtlichen Luftangriffen auf IS-Stellungen im Bezirk Bati Kot 122 Kämpfer getötet worden sein, darunter der lokale IS-Machthaber.

Die Terrormiliz hat in Afghanistan aber auch andere Feinde: die afghanischen Taliban zum Beispiel. Auch die Zivilbevölkerung dürfte die Organisation aus dem arabischen Raum mit Argwohn betrachten.

Mehrere Experten äußerten deshalb den Verdacht, die afghanische Regierung könnte die Gefahr durch den IS für Afghanistan absichtlich überzeichnen. Mit der Terrormiliz lässt sich nach den Anschlägen in Europa mehr Aufmerksamkeit erzeugen – und damit Hilfe lukrieren. Denn Afghanistan steht auch ohne den IS-Terror am Abgrund: Die Zahl der Binnenvertriebenen hat sich seit dem Abzug der Nato-Kampftruppen Ende 2014 auf 1,2 Millionen mehr als verdoppelt. Immer mehr Zivilisten sterben, in der ersten Jahreshälfte waren es 1601 Menschen. Und im Juni kontrollierten die Taliban mehr Fläche in Afghanistan als zu jedem anderen Zeitpunkt seit dem Sturz ihres Regimes vor 15 Jahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2016)

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