"Eine halbe Stunde und du hörst nichts mehr"

Kapitän Ingo Werth und Sea-Watch-Gründer Harald Höppner (rechts).
Kapitän Ingo Werth und Sea-Watch-Gründer Harald Höppner (rechts).(c) Bettina Veyder-Malberg)
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Harald Höppner und Ingo Werth von "Sea-Watch" im Interview über freiwilliges Engagement, Pläne für eine fixe Crew, und das stille Sterben auf dem Mittelmeer.

Im April sind 800 Menschen gestorben, als ihr Boot mit einem Frachter kollidierte. Plötzlich hatten die Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, Europas Aufmerksamkeit. Inzwischen hört man wieder wenig. Weil das Problem kleiner geworden ist – oder weil Österreich über die Flüchtlinge im eigenen Land diskutiert?

Harald Höppner: Ich glaube, dass das Problem vor allem von Griechenland überlagert worden ist.

Wie groß ist das Problem auf dem Mittelmeer?

Höppner: Es gibt eine riesige Dunkelziffer. Es stimmt nicht, dass da nur 3000 Leute im Jahr sterben. Es gibt östlich von Tripolis einen Strand, da fahren jeden Tag vier, fünf, sechs Schlauchboote los. Als wir da waren, haben wir eins pro Tag gefunden. Die anderen vier sind verschwunden. Nie wo angekommen und nie gefunden worden. Abgesoffen. Das geht ganz fix. Mit über hundert Leuten drauf. Das Schlauchboot hat zwei Millimeter Gummi, und da sind Holzplatten drinnen. Mit jeder Welle scheuert diese Holzplatte an diesem Gummi. Die Menschen stehen, sind irgendwann übermüdet, fallen einfach rein. Der Gummi geht kaputt, es kommt Wasser rein, die Leute können nicht schwimmen. Sie denken noch, sie sind auf einem Fluss. Und dann macht es flutsch, weg. Eine halbe Stunde und du hörst nix mehr. Das passiert da jeden Tag, heute, morgen, gestern, vorgestern. Dabei werden wir es nicht beruhen lassen. Wir werden weiter hinfahren, wir werden weiter hinschauen, und werden dafür eintreten, dass die EU auch dort ihre Schiffe und ihre Kapazitäten nützt, um das Sterben zu verhindern. Das können wir uns nicht erlauben, dort an unserer Grenze diesem Massensterben zuzuschauen.

Sie haben es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, für Aufmerksamkeit zu sorgen?

Höppner: Ja. Das Schiff ist gerade in Lampedusa, fährt Montag oder Dienstag wieder los. Je mehr Aufmerksamkeit wir schaffen, umso mehr Druck gibt es an die Politik, dort diese Mittel zur Verfügung zu stellen, um den Leuten zu helfen. Was wir machen können ist nur ein Bruchteil. Die mit ihren Nato- und Frontexschiffen, die könnten das problemlos lösen. Aber sie wollen es nicht. Und wir sorgen durch den medialen Druck dafür, dass sie es hoffentlich mal machen.

Das heißt, gäbe genügend Schiffe?

Höppner: Ja. Es gibt etwa 20 Frontex-Schiffe, die da sind, aber die nicht retten. Die fahren nicht dort hin, wo die Leute ertrinken, die halten sich schön ein bisschen entfernt.

Aufgabe der Frontex-Mission Triton ist ja nicht Rettung, sondern "Grenzschutz". Wo sind diese Schiffe?

Höppner: Vor Italien, vor Sizilien, aber die Flüchtlinge schaffen es gar nicht bis dahin. Ich kann Ihnen auf der Karte genau zeigen, wo die Flüchtlingsboote entlang fahren.

Wie finden Sie die Boote?

Ingo Werth: Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder, dass von der Seenotrettungszentrale in Rom Boote gemeldet werden, das war bei meiner Mission in zwei von sechs Fällen so. Da hat Rom angerufen und gesagt, da ist ein Boot 13 Meilen nordöstlich von euch in Seenot, könnt ihr da hinfahren? Vier Mal ist die Situation so gewesen, dass wir die Boote selbst entdeckt haben. Dass Schiffsleute, die bei uns im Ausguck am Dach saßen, mit dem Fernglas Boote am Horizont entdeckt haben und wir uns dann den Booten genähert und Kontakt aufgenommen haben.

Und die waren auch in Seenot?

Werth: Im Prinzip ist kein Boot, das du dort entdeckst, fahrtüchtig, weil ein Boot, das so brutal überladen ist, schon ein Seenotrettungsfall ist. Ein einziges, mit 56 Männern drauf, war in gutem Zustand, aber der Motor war hinüber. Nicht akut vom Sinken bedroht, aber nicht mehr manövrierfähig. Und mit 56 Leuten bist du noch deutlich besser bedient als mit 120.

Wie viele Leute sind jetzt auf der Sea-Watch?

Werth: Acht Leute. Wir haben immer drei Mediziner, einen Journalisten, einen Kapitän, einen ersten Offizier, einen Maschinisten und einen Bootsmann. Mehr wäre nicht gut, aber weniger auch nicht. Wenn die Besatzung vom Schnellboot unterwegs ist, sind drei Leute weg. Bleiben fünf an Bord. Einer funkt, einer fährt das Schiff. Bleiben drei. Und wenn es dann los geht, Rettungsinseln aufgeblasen und zu Wasser gelassen werden müssen, da brauchen wir drei Leute. So eine Trommel wiegt 400 Kilo. Wichtig ist, dass zum Beispiel auch die Mediziner mit anfassen und in die nautischen Aufgaben eingebunden sind. Es halten immer drei Teams à zwei Leuten Wache. Jeder hat acht Stunden Wache am Tag, das ist schon anspruchsvoll. Wach zu sein und sich danach auch schlafen zu legen.

Und die Crews wechseln komplett?

Werth: Wir machen es im Moment so, dass mindestens zwei Leute auch auf dem nächsten Turn dabei sind, mit denen wir einen guten Kontakt haben und die das Schiff kennen. Die schwierigste Position ist die des Schiffsführers, des Kapitäns. Ich würde behaupten, dass die Eigenschaften des Kapitäns mindestens 70 Prozent Menschenführung sind, Crewbuiding, Krisenintervention. Und 30 Prozent nautische Fähigkeiten, zumindest in der jetzigen Situation, wo das Mittelmeer so ruhig ist. Zur Zeit wechseln die Crews alle 14 Tage. Wir werden fürs nächste Jahr überlegen, ob wir eine Konstante reinbringen und Geld dafür bezahlen, dass Leute länger dort sind und nicht immer neu eingearbeitet werden müssen.

Höppner: Das ist ein Must-have. Die Frage ist, warum machen wir es mit Freiwilligen? Weil wir nicht genug Geld haben, um eine Profi-Crew zu bezahlen. Wir haben zwar das Geld, um das Schiff und den Sprit zu bezahlen, aber nicht, um die ganze Crew zu bezahlen. Allein die Rettungsinseln kosten 60.000 Euro für zehn Tage. Wenn wir irgendwann die Mittel haben, dann werden wir zwei wechselnde Crews haben, die eingefahren sind.

Jetzt sind es Menschen, die ihren Mittelmeer-Urlaub nun ja, etwas anders verbringen?

Werth: Ja, das sind alles tolle Menschen, die in ihrer Freizeit zur Verfügung stehen. Das, was wir machen, hat es vorher nie gegeben: Dass jemand mit einem Fischerboot vor der libyschen Küste entlanggefahren ist. Es gibt drei andere Boote, von Ärzte ohne Grenzen und Moas, die dort unterwegs sind, aber die haben Proficrews. Ich find's toll, dass wir das machen. Und wir haben auch Erfolg gehabt. Wir sind angetreten, indem wir gesagt haben, wenn wir einem einzigen Menschen das Leben retten können, hat sich die gesamte Mission gelohnt. Allein in meiner waren es 600 Leute, in zehn Tagen.

Hatten Sie selbst einschlägige Erfahrung?
Werth: Ich hab eine Autowerkstatt und einen Yachtservice für Segelschiffe für Freunde. Ich hab ein Patent als Hochseeschiffer und hab den Atlantik überquert und vielfach Segelschiffe als Skipper gefahren. Aber ich lebe davon, dass wir Autos reparieren und Menschen glücklich machen, für die es eine Katastrophe ist, dass sie den Bus nehmen müssen. Da krieg ich so einen Hals. Eine Katastrophe ist das, was wir im Mittelmeer erleben.

www.sea-watch.org

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