Andreas Tanzer: Die wahren Motive

Warum nicht anrufen?

„Bitte um Rückruf“– zehn Jahre ist es nun her, dass dieser wenig spektakuläre Text als erste Kurznachricht – vulgo SMS – in Österreich versandt wurde. „Unnötige Spielerei“, „viel zu umständlich“  Das neue Service wurde damals mindestens ebenso belächelt wie bestaunt, und ich gestehe: Auch ich war lange Zeit ein eifriger SMS-Spötter. Grund war eine simple Überschlagsrechnung: Unser Alphabet hat rund 30 Buchstaben, auf der Tastatur des Handys stehen gerade mal zwölf Tasten für SMS zur Verfügung. Ergo: Das kann nicht funktionieren! Es konnte. Heute werden ­allein via SMS-Pionier Mobilkom jährlich über eine halbe Milliarde (!) SMS versandt.

Zu Beginn waren es vor allem die Jüngeren, die bereitwillig das moderne Morsealphabet erlernten. Nach und nach begannen auch ältere Semester, die Vorzüge der neuen Kommunikationsform zu entdecken. Anfangs geradezu verschämt wurde „ausnahmsweise“ auch das eine oder andere SMS getippt. Oft – in den finsteren Zeiten vor GPRS, WLAN und Blackberry – als mobiler Ersatz für Geschäftsmails. Heute sind es laut Gfk-Studie vor allem persönliche Botschaften, die das Gros der SMS mit (mehr oder weniger) Inhalt füllen.

Stellt sich die Frage, warum wir im Schnitt 7,4-mal pro Woche den nicht wirklich komfortablen Umweg über SMS gehen, anstatt einfach anzurufen. Letzteres beinhaltet die Gefahr, auf die ungeliebte Mobilbox zu kommen, weil der Angerufene nicht erreichbar ist, oder – schlimmer – ihn nicht mehr los zu werden, bis man inklusive Einkaufliste in alle wichtigen Details seines ereignisreichen Lebens eingeweiht ist.

Laut besagter Studie werden besonders bittere Pillen gerne in Dosen   160 Zeichen verabreicht. Schließlich ist man so vor den unmittelbaren Reaktionen gefeit, die Eröffnungen wie „Komme später“ oder gar „Es ist aus“ mitunter hervorrufen. Anders als beim direkten Gespräch müssen per SMS auch auftauchende Fragen – von der Wahl des Kinofilms für heute Abend bis zum Partner für den Lebensabschnitt – nicht sofort beantwortet werden. Unverbindliche Anfragen wie „Was machst du heute?“ können sogar ganz igno­riert werden. Bei SMS gibt es kein peinliches Schweigen – was schließlich im Interesse beider Seiten liegt. Was das SMS als Kommunikationsform so beliebt macht, ist also, dass sie auch das Nichtkommunizieren immens erleichtert.

andreas.tanzer@diepresse.com


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