Zivildiener: Unfreiwillig, aber billig

Wehrpflicht Unfreiwillig aber billig
Wehrpflicht Unfreiwillig aber billig(c) APA (HANS KLAUS TECHT)
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Ein Ende der Wehrpflicht würde auch ein Ende des Zivildienstes bedeuten. Das bereitet vielen Organisationen Sorgen: Die billigen Arbeitskräfte scheinen unverzichtbar. Das hat auch die Politik bemerkt.

Hundertachtzig Liter Wasser, zehn Kilo Nudel, fünf Kilo Zwiebeln und vier Kilo Mehl. Verfeinert wird das Ganze noch mit drei Schüsseln Kümmel. Dieses Rezept kennt Christof Lichal schon auswendig. Es sind seine letzten zwei Wochen hier im Haus „Juca“ der Caritas in Wien. Seit knapp neun Monaten kocht er fast täglich 300 Portionen Suppe, die an verschiedenen Stationen in Wien an Obdachlose und Bedürftige verteilt werden. Von 19.30 bis 22.30 Uhr fährt der „Canisibus“ durch Wien, doch Christofs Arbeitstag beginnt schon viel früher: Am Nachmittag putzt er die Küche, wäscht Töpfe ab und säubert Pfannen. Dann schneidet er das Gemüse klein und teilt verschiedene Aufgaben unter den freiwilligen Helfern auf. Er selbst gehört nicht dazu – denn er wurde zu dem Dienst zwangsverpflichtet.

Christof ist einer von rund 13.500 jungen Männern, die sich für einen Zivildienst entschieden haben – und gegen den Wehrdienst beim Bundesheer. Warum eigentlich? „Beides ist schlecht bezahlt, beides ist harte Arbeit – nur der Zivildienst bringt wenigstens etwas für die Gesellschaft“, sagt der 21-Jährige. Jetzt, wo die neun Monate Dienst fast vorbei sind, freue er sich zwar auf sein Technikstudium. Trotzdem habe er durch die Arbeit vor allem menschlich viel dazugelernt.

Auch Benedikt hat sich für den Zivildienst entschieden – allerdings als Rettungssanitäter beim Samariterbund. Zwölf- bis 14-mal am Tag rückt er zu Einsätzen aus, manchmal gibt es auch Zwölf-Stunden-Dienste. Dieser Tag gehört zu den ruhigeren: Seit 11.30 Uhr fährt er im Rettungsauto mit. Der erste Einsatz führt ihn in den zwölften Wiener Bezirk. Ein 85-jähriger Mann hat starke Schmerzen in den Beinen und muss ins Krankenhaus gebracht werden. Dominik und ein Kollege tragen ihn gemeinsam ins Rettungsauto und reden ruhig auf den schwerhörigen Mann ein. Es ist schon Alltag für ihn – seit acht Monaten arbeitet er beim Samariterbund. Auch während seines Pharmaziestudiums, das er bald beginnt, möchte er weiter als Rettungssanitäter arbeiten – diesmal freiwillig.


Verhandlung um Fragestellung. Es sind Menschen wie Christof und Benedikt, die den Ausgang der Volksbefragung über die Abschaffung der Wehrpflicht im Jänner beeinflussen könnten. Denn nachdem sich ÖVP und SPÖ nach jahrelangem Streit zumindest darauf geeinigt haben, dass die Bevölkerung über die Zukunft des Heeres entscheiden soll, ist gleich der nächste Streitpunkt entstanden: die Formulierung der Fragestellung. Die SPÖ würde den Zivildienst am liebsten außen vor lassen und nur über das Berufsheer abstimmen lassen. Die Volkspartei fordert hingegen eine Ja/Nein-Frage, in der auch der Zivildienst vorkommt, etwa in dieser Form: „Sind Sie für eine Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes in Österreich – ja oder nein?“ Dass der Zivildienst ein umstrittenes Thema bei der Fragestellung ist, ist kein Zufall: Schließlich hofft die ÖVP, damit viele Stimmen für die Wehrpflicht zu gewinnen. Denn wer sollte sonst die billigen Arbeitskräfte ersetzen?

Schließlich arbeiteten im Jahr 2011 von den 13.510 Zivildienern 5925 junge Männer im Rettungswesen, 2584 in der Behindertenhilfe und 1716 in der Sozialhilfe. Die Organisationen, die die meisten Zivildiener beschäftigen, sind das Rote Kreuz, der Samariterbund und die Lebenshilfe. Und sie profitieren davon: Ein junger Zivildiener verdient lediglich 301 Euro Pauschalvergütung im Monat. Hinzu kommen eventuell Verpflegungsgeld (12 Euro am Tag) und eine Fahrtkostenrückerstattung. Insgesamt 54,8 Millionen Euro beträgt das Budget des Innenministeriums für die Zivildiener.


Wenig Fans für SPÖ-Modell. Das Alternativmodell, das die SPÖ vorschlägt, überzeugt dabei nur wenig: Denn – das gibt auch der dafür zuständige Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) zu – es wäre teurer und würde weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. Durch das „Freiwillige Soziale Jahr“ sollten rund 6000 Beschäftigungsverhältnisse gefördert werden – für Männer und Frauen. Da jeder Bedienstete drei Monate länger als ein Zivildiener arbeiten würde, geht Hundstorfer davon aus, dass es zu einem Ersatz aller Zivildiener im sozialen Bereich kommen werde. Die Bediensteten sollen einen Bruttolohn von etwa 1300 Euro erhalten und voll sozialversichert werden. Das SPÖ-Modell würde zwei Millionen Euro mehr als der Zivildienst kosten.

Doch nicht nur wegen der Kosten überzeugt es die Organisationen nicht. Werner Kerschbaum, Generalsekretär des Roten Kreuzes, fängt mit seiner Kritik schon beim Namen an: „Wenn man 1300 Euro im Monat bekommt, ist es kein Freiwilligendienst. Das ist so freiwillig, wie ich beim Roten Kreuz arbeite oder eine Sekretärin im Büro.“ Er bezweifle auch, dass sich genügend Personen melden würden. „Und welche Qualifikationen haben sie dann?“ Die Unsicherheit über die Zukunft des Zivildienstes erschwere jedenfalls die Planbarkeit erheblich: „Denn der Zivildiener hat sich zu einer wichtigen Säule des Gesundheitssystems entwickelt.“ Allerdings, so erklärt Kerschbaum weiter, sind auch Freiwillige wichtig: 40 Prozent der Arbeitskräfte beim Roten Kreuz sind unbezahlte Kräfte. Und 25 Prozent Zivildiener.


Dienst bei NGOs.
Nicht nur im Sozial- und Gesundheitsbereich sind Zivildiener tätig. Den Dienst kann man etwa auch bei Umweltschutzorganisationen wie Global 2000 leisten. Dort fürchtet man sich weniger vor dem Ende der Wehrpflicht – vielleicht auch deshalb, weil der Zivildiener hier etwas mehr Geld kostet. „Pro Zivildiener zahlen wir 103 Euro im Monat an den Bund“, erklärt Rene Fischer, der wirtschaftliche Geschäftsführer. Rettungsorganisationen müssten dies nicht tun. Vier Plätze hat die Organisation jedenfalls für Zivildiener im Jahr vorgesehen. Und auch wenn das „Soziale Jahr“ Hundstorfers nicht Organisationen wie Global 2000 betreffen würde, gibt es dennoch eine Alternative: sozusagen ein ökologisches soziales Jahr. Das gebe es schon länger. Allerdings, das gibt Fischer zu, habe man sich nicht sehr darum gekümmert – es gebe ja die Zivildiener. Noch.

Die Wehrpflichtdebatte scheint jedenfalls zu einer Zivildienstdebatte mutiert zu sein. Viele, die eigentlich gegen die Wehrpflicht sind, sind für den Zivildienst. So wie Dominic, der neben Benedikt im Rettungsauto sitzt. Auch er war Zivildiener und engagiert sich nun freiwillig. Vor seinem Dienst hätte er mit Sicherheit für ein Berufsheer gestimmt, meint er. Jetzt ist er sich nicht mehr sicher. Das Berufsheer würde nur ein Ja kriegen, wenn es auch eine richtige Alternative zum Zivildienst gäbe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

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