Noch einmal: Tierärzte und die Frühkastration von Hunden

Trotz aller Einwände – ich bleibe dabei: Die prophylaktische Kastration schädigt Hunde objektiv, sie ist eindeutig gesetzwidrig.

Vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle mit meinen Anmerkungen zur modernen Veterinärmedizin und vor allem der prophylaktischen Frühkastration von Hunden offenbar einen ganz wunden Punkt berührt, wie scharfe Proteste mancher Tierärzte belegten. Gut so: Denn erstens will man seine Leser nicht langweilen; zweitens ist es für einen Wissenschaftler immer schön, Althergebrachtes und scheinbar Abgesichertes infrage zu stellen.

Beispielsweise schrieb ein seit 32 Jahren praktizierender Tierarzt: „Sie als Zoologe haben wohl überhaupt keine Ahnung von tierärztlicher Praxis, erdreisten sich aber, in abfälligster Weise darüber zu urteilen. 1) Tierärzte legen keinen hippokratischen Eid ab. 2) Auch in früheren Zeiten wurden Tiere von verantwortungsbewussten Tierärzten nie aus geringfügigen Gründen eingeschläfert. 3) Fortschritte in der Veterinärmedizin und Einsatz von Hightech sind doch wohl nur zum Vorteil der Tiere. 4) Die Kostenfrage liegt noch immer im Entscheidungsbereich des Tierbesitzers. 5) Auch die Frage der ,finalen Lösung‘ und die Wahl ihres Zeitpunktes bedarf immer noch einer intensiven Beratung zwischen Tierbesitzer und Tierarzt. 6) Ihr Lamento über die Kastration von Tieren erinnert mich sehr stark an die kürzlich entbrannte Beschneidungsdiskussion. Vielleicht sind Sie ja davon inspiriert worden. Ich erlaube mir, Ihnen zu empfehlen: Bleiben Sie künftig bei der Zoologie.“

Gemach, gemach: Die ethisch tadellose Haltung und Integrität der meisten Tierärzte habe ich nie infrage gestellt. Zweifellos aber wirken sie in einem immer schwieriger werdenden Spannungsfeld zwischen Tierwohl und finanziellen Zwängen. Soll ja auch in der Humanmedizin so sein.

Naiverweise nahm ich an, dass auch Tierärzte im Geist des hippokratischen Eides agieren, was aber nicht der Fall zu sein scheint (1, oben). Mit den Punkten 2 bis 5 hat der Herr Doktor absolut recht, ich weise nur neutral darauf hin, dass die Entscheidungskonflikte zwischen Machbarkeit und Kosten durch die moderne Veterinärmedizin sicherlich nicht geringer wurden. Und wenn der Herr Kollege mit seinem 6. Punkt andeuten will, dass eine Kastration genauso harmlos wie eine Beschneidung (!) sei, möchte ich ihn doch einladen, uns Biologen Gehör zu schenken und anzuerkennen, dass Sexualhormone unter anderem eine wichtige Komponente für die Ausbildung des normalen Verhaltens darstellen. Kastration ist immer eine schwere körperliche und emotionale Verstümmelung, dazu muss es gute medizinische Gründe geben.

Kumpantiere einfach mit dem Skalpell an die eigenen Bedürfnisse anzupassen, gilt zu Recht als unethisch. Mit Tieren in Partnerschaft zu leben bedeutet, sie anzunehmen wie sie eben sind. Dies spiegelt das österreichische Tierschutzgesetz von 2004 unter „Verbot der Tierquälerei“ wider: „Es ist verboten, einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen oder es in schwere Angst zu versetzen [. . .] Nicht gegen Absatz 1 verstoßen Maßnahmen, die aufgrund einer veterinärmedizinischen Indikation erforderlich sind oder sonst zum Wohl des Tieres vorgenommen werden.“ Da die prophylaktische Kastration Hunde objektiv schädigt, diese aufgrund der Erkenntnislage auch nicht veterinärmedizinisch indiziert ist und wegen der möglichen Folgeschäden nicht zum Wohl des Tieres sein kann, ist sie eindeutig gesetzwidrig.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2012)

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