Dringend gesucht: Guter Ersatz für Tierversuche

Dringend gesucht Guter Ersatz
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Wissenschaftler aus ganz Europa forschen gemeinsam an Alternativen zu Tierversuchen. Neue Testmethoden mit Zellkulturen reduzieren nicht nur das Tierleid, sondern liefern auch aussagekräftigere Ergebnisse.

Tierversuche entzweien die Menschen: Die einen kritisieren sie als unnötiges und unethisches Tierleid, die anderen sehen in ihnen ein notwendiges Übel. Egal wie man dazu steht: Die Gesetzgeber schreiben in der Pharmakologie oder bei Kosmetikprodukten gewisse Tests vor. Wissenschaftler suchen nach Alternativen – und machen dabei, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, auch Fortschritte.

Speziell in der Medizin und der pharmakologischen Forschung sind Zellkulturversuche oder Enzymtests nicht mehr aus den Labors wegzudenken. Diese Methoden tragen dazu bei, dass etwa beim Austesten der Wirksamkeit einer Substanz die Zahl und das Leid der Versuchstiere reduziert werden können. Damit folgt man den als „drei Rs“ bekannten Prinzipien: Refinement, Reduction, Replacement. Diese stammen von den beiden britischen Wissenschaftlern William Russel und Rex Burch, die sich bereits in den 1950er-Jahren für mehr Humanität bei Tierversuchen stark machten.

Mithilfe von sogenannten „In-vitro“-Methoden – also Tests im Reagenzglas – können heute schon Gewebemodelle z.B. von der Haut hergestellt werden. An diesen testen Forscher, ob eine bestimmte Substanz beispielsweise zu einer Hautirritation oder zu irreparablen Schäden führt. „Die akute Toxizität lässt sich an diesen Modellen sehr gut testen und macht Tierversuche oft überflüssig“, berichtet Klaus Schröder, Geschäftsführer der Linzer BioMed-zet Life Science GmbH. Zu den Schwerpunkten des Zentrums für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen (zet) zählen etwa ein 3-D-Leberzellmodell oder tierversuchsfreie Langzeit-Kanzerogenitätstests. Gerade letzterer Punkt ist kritisch: „Mit den heutigen In-vitro-Methoden können wir Langzeiteffekte leider immer noch nur sehr eingeschränkt darstellen“, so Schröder.

Intensiv geforscht wird in vielen Bereichen. „Uns geht es darum, eine Ersatzmethode für den In-vivo-Test für Toxizität bei wiederholter Verabreichung zu finden“, berichten etwa die beiden Innsbrucker Forscher Paul Jennings und Anja Wilmes. Was sie damit meinen: Herkömmlicherweise wird z.B. in 90-Tage-Tests geprüft, welche Auswirkung eine bestimmte Substanz auf Versuchstiere wie Ratten hat, wenn sie wiederholt in veränderter Dosierung verabreicht wird. Am Ende werden die Tiere getötet und ihre Organe auf krankhafte Gewebeveränderungen hin untersucht.


Nierenzellen im Reaktor. So lässt sich feststellen, ob eine Substanz giftig ist. Aus den Ergebnissen wird nach Hinzufügen von Sicherheitsfaktoren ein Wert – der LOAEL (Lowest Observed Adverse Effect Level) – berechnet, der als sicher für den Menschen einzustufen ist. Solche Toxizitätsprüfungen sind derzeit für zahlreiche chemische Substanzen, zu denen auch Inhaltsstoffe von Kosmetika zählen, vorgeschrieben. Alternativen zum Toxizitätstest bei wiederholter Verabreichung gibt es im Moment aber noch keine. Laut geltendem EU-Recht sollen die herkömmlichen Tests für kosmetische Inhaltsstoffe ab März 2013 verboten werden.

Im Rahmen der europäischen Forschungsinitiative „Seurat-1“ (Safety Evaluation Ultimately Replacing Animal Testing) soll eine Ersatzmethode gefunden werden. Diese Initiative, die gemeinsam vom 7. EU-Rahmenprogramm und dem Branchenverband Cosmetics Europe mit 50 Millionen Euro finanziert wird, bildet das Dach über sechs konkrete Forschungsprojekte, darunter „Detective“, in dem 14 Forschungsgruppen aus sieben europäischen Ländern tätig sind – unter ihnen die Gruppe von Jennings an der Medizin-Uni Innsbruck. Dort werden insbesondere Nierenzellen studiert, andere Forschungsgruppen haben Herz- oder Leberzellen im Visier.

„In-vitro-Systeme haben den Vorteil, dass sie kostengünstiger, schneller und leichter zu handhaben sind als Tiermodelle“, sagt Jennings. Allerdings war vor einiger Zeit noch die Stabilität der Zellen in der Zellkultur über einen längeren Zeitraum ein Problem. Denn die Zellen in sogenannten „Primärkulturen“ sterben nach einer gewissen Zahl von Zellteilungen ab. Zudem veränderten sie sich mit der Zeit – so verlieren z.B. Nierenzellen manche ihrer Charakteristika. „Durch die Verwendung neuer Technologien ist dieses Problem weitgehend gelöst worden: Zellen können in der Kultur für bis zu 14 Tage oder länger behandelt werden“, berichtet der Forscher. Eine Zelllinie der Innsbrucker Forscher ist unsterblich („immortalisiert“) und behält dennoch ihre charakteristischen Eigenschaften.


Biomarker gesucht. In Versuchen mit den Zellkulturen wollen die Forscher unter anderem herausfinden, wie sich Zellen verändern, wenn sie über einen längeren Zeitraum mit einem Toxin behandelt werden. Die große Schwierigkeit besteht darin, die Schädigung von Zellen quasi „im Reagenzglas“ zu überprüfen. Dazu werden sogenannte Biomarker gesucht – das sind charakteristische Merkmale, die als Referenz für biologische Prozesse im Körper dienen. Das labormedizinische Blutbild ist dafür ein gutes Beispiel.

Das Team um Jennings will Biomarker identifizieren, mit denen Aussagen über die Toxizität einer Substanz getroffen werden können. Eine chronisch toxische Substanz beeinflusst die normalen biologischen Signalwege. Die Biomarker sollen zeigen, welche Signalwege verändert oder aktiviert werden. „Solche Biomarker sollten mechanistisch relevant, leicht zu testen und gut zugänglich sein“, so Wilmes.

Die Forscher integrieren dafür mehrere sogenannte „omics-Techniken“ – etwa Proteomics-, Transcriptomics-, Metabolomics- oder Epigenomics-Methoden, bei denen verschiedene Stoffwechselprodukte der Zellen systematisch untersucht werden. Nachdem die In-vitro-Nierenzellen über einen gewissen Zeitraum täglich mit einem Toxin behandelt worden sind, werden sie aufgebrochen und die Proteine, RNA-Moleküle usw. analysiert. Mithilfe von Bioinformatik werden dann toxinspezifische „Signaturen“ identifiziert. „Wir erwarten, dass Substanzen mit ähnlicher biologischer Wirkung auch ähnliche Signaturen aufweisen“, so Jennings. In weiterer Folge kann man dann neue, bisher nicht charakterisierte Substanzen testen.

Der Forscher macht darauf aufmerksam, dass In-vitro-Verfahren mit Zellkulturen gegenüber herkömmlichen Tierversuchen einen weiteren Vorteil haben: Es handelt sich dabei um menschliche Zellen, es gibt daher keine Spezies-Unterschiede, die bei der Vorhersage für die Sicherheit bei der Anwendung am Menschen oft ein Problem darstellen. „Wir erhoffen durch In-vitro-Versuche, dass sie in Zukunft die Tierversuche nicht nur ersetzen, sondern auch aussagekräftiger und relevanter für die Sicherheit des Menschen sein werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2012)

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