Warum keine neutrale EU?

Wehrpflicht-Volksbefragung und Nobelpreis-Ehre für die EU sollten die sicherheitspolitische Debatte neu beleben.

Die Volksbefragung zur Entscheidung Wehrpflicht oder Berufsheer und die Verleihung des Friedensnobelpreises haben die Diskussion über die österreichische und die europäische Sicherheitspolitik neu entfacht. Es geht in beiden Fällen um die Zukunft von Krieg und Frieden. Wie viel Sicherheit braucht Frieden?

Zur Volksbefragung: Die Organisation des Bundesheeres ist nur das vordergründige Thema der Volksbefragung. Sicherheitspolitisch stellt sich die Frage, wohin die Reise eines Berufsheeres geht.

Hannes Androsch als Sprecher der Pro-Berufsheer-Gruppierung gab hiezu eine klare Antwort: Abschaffung der Neutralität, Beitritt zur Nato und eine europäische Sicherheitspolitik, die europäische Interessen (etwa Sicherung der Handelswege) mit militärischer Macht durchsetzen soll. Dies im Gegensatz zu einer österreichischen Sicherheitspolitik, die sich auf Neutralität und das Gewaltverbot der UNO beruft.

Zum Friedensnobelpreis: Auch bei der Beurteilung der Verleihung des Friedensnobelpreises geht es um eine sicherheitspolitische Kontroverse. Konrad Paul Liessmann sieht das europäische Friedensprojekt bereits vollendet, weshalb die gestaltende Kraft einer „Mission“ verloren gegangen sei (für andere ist außerdem ein Krieg in Europa auch ohne EU undenkbar geworden). Kritische Friedensforscher hingegen sprechen von einem halbierten Friedensprojekt, da der Frieden innerhalb von Europa, aber nicht nach außen verwirklicht wurde. Daher die fehlende Mission der EU: eine europäische Friedenspolitik.

Deutschland nach Schweizer Art

Im Jänner 2011 habe ich in einem „Presse“-Gastkommentar eine europäische Friedenspolitik gefordert, die zum Unterschied von Pazifismus die Verteidigung nicht ablehnt, aber freiwillig bereit ist, auf den Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung europäischer Interessen zu verzichten.

Das ist nichts anderes als die Übertragung der aktiven österreichischen Neutralitätspolitik auf die EU-Ebene, da Friedenspolitik als Realpolitik bei den neutralen Staaten begonnen hat. Diese Idee einer neutralen EU war aus Sicht von Realisten naiv, blauäugig und illusionär. Die Krise der EU bietet jedoch die Chance für große politische und ökonomische Veränderungen. In seinem Buch „Das deutsche Europa“ liefert der Soziologe Ulrich Beck den Beweis, dass die herrschende Sicherheitspolitik davon nicht ausgenommen ist.

Denn die Erklärung, dass Deutschland weder militärische noch außenpolitische Dominanz anstrebe, sondern eine Art Schweiz sein wolle, die sich aus allen Konflikten heraushält, ist zumindest rhetorisch ein sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel.

Es ist sicherlich noch ein langer Weg bis zur Umsetzung einer europäischen Friedenspolitik. Aber das Ziel ist nicht mehr der Traum eines naiven Friedensforschers, sondern dieses Ziel ist vorstellbar für die größte Wirtschaftsmacht Europas. Vielleicht doch der Anfang einer Friedenswende? Die Mehrheit der Bevölkerung ist sicher dafür.

Dr. Gerald Mader ist Gründer und Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) und des European University Center for Peace Studies (EPU), Burg Schlaining.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2012)

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