Gastkommentar

Übergriffe am Filmset: Das Til-Schweiger-Kontinuum

Die Presse / kuf
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Die Filmbranche sollte sich mit dem Fall Schweiger mit diesen Missständen auseinandersetzen und die richtigen Fragen stellen.

Der Autor

Georg Mayrhofer (*1965 in Wien) ist Autor, Filmschaffender und SPÖ-Mitglied. Zuletzt erschienen: „Basisbuch Film - Was man wissen muss, bevor man bei einem Film mitarbeitet“, ein Sachbuch für werdende Filmschaffende bei Books on Demand, und „Die Reise zum Goldenen Apfel, eine gemeinsame Geschichte von Orient und Okzident“ im Residenz-Verlag

Altgedienten Filmmitarbeitern, wie mir, kommen die Berichte vom Manta Manta Set und dem Schauspiel- und Regiestar Til Schweiger durchaus vertraut vor. Alkoholismus, Verbalinjurien, Einschüchterung und Aggression sind gängige Verhaltensmuster in der Filmindustrie. Exzessives Fehlverhalten dieser Art wird – wenn man es sich persönlich ersparen kann – gerne in Drehpausen tradiert. Im schaurigen Ton werden Anekdoten von Regisseuren, Produzenten oder Schauspielern übermittelt, die in diesem Kontext dann auch gerne als Titanen missverstanden werden. Denn: zum schaurigen Ton gesellt sich gerne ein bewundernder Unterton.

In „Mein liebster Feind“ hat Werner Herzog dem – in jedem anderen Kontext als sozial auffällig zu definierenden – Schauspiel-Titanen Klaus Kinski ein filmisches Denkmal gesetzt. Ein Denkmal, das den verstorbenen Schauspieler zwar als Monster karikiert, aber gleichzeitig das befremdliche Sado-Maso-Verhältnis zwischen Herzog und Kinski als kreativen Prozess abfeiert.

Weder wird in der Branche die Frage gestellt, ob so viel Aggression und mutwillige Gefährdung ganzer Filmteams dafürstehen, noch wagt man sich an die Bewertung, ob dabei überhaupt gute Filme herauskommen. Bewertungen dieser Art sind, zumindest im deutschsprachigen Raum, aus dem gesellschaftlichen Diskurs nämlich vorsorglich herausgenommen, man wagt sich da einfach nicht heran.

Arbeitsrecht gilt auch am Set

Sehr viel einfacher tut man sich da mit den rechtlichen Konsequenzen. Auch wenn es branchenübliche Toleranz gegenüber extremen Verhaltensmustern gibt, die rechtliche Situation der Mitarbeiter unterscheidet sich nicht von denen anderer Arbeitnehmer.

Mobbing wird dort nach dem ABGB strafbar, wo der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer vernachlässigt. Fürsorge ist hier ein eher fließender Begriff, der aber zivilrechtlich judizierbar ist. Das österreichische Arbeitsverfassungsgesetz sieht eine Kündigungsschutzklage vor, falls der Arbeitnehmer auf Grund von Mobbing seine Arbeit verloren hat. Beleidigungen oder gar tätliche Angriffe, wie sie vom Schweiger-Filmset gerade kolportiert werden, sind klar im Strafgesetz geregelt.

Die Frage, die sich eher stellt: warum verlassen solche Informationen so selten die Blase der Filmschaffenden und warum tut sich die Filmindustrie so schwer, damit umzugehen?

Man sollte meinen, dass gerade in einer künstlerischen Branche, die in ihren Stoffen gesellschaftliche Prozesse verhandelt und bis zu einem gewissen Grad mit dem Anspruch antritt, zu mahnen und aufzuklären, auch die Fähigkeit entwickelt hätte, Missstände an sich selbst zu erkennen.

Das Gegenteil ist der Fall: steile Hierarchien; ein konservatives (im Sinne von beharrendem) Wertesystem; eine Art Klassengesellschaft, die bemüht ist, eine klare Linie zwischen dem Künstler und dem Zuarbeiter zu ziehen; und eine fatale Gruppendynamik, die dazu neigt, Personen für sakrosankt zu erklären, verhindern das. Auch andere gesellschaftliche Gruppen, wie Religionsgemeinschaften, Militär, Lehrinstitutionen oder Wirtschaftseliten, die ähnliche Strukturen haben, sind entsprechend anfällig für vergleichbare Übergriffe.

Schweigers einzigartige Rolle

Der Pfarrer, der Regisseur, der Offizier bekleiden in solchen Strukturen Positionen, die sie zu alleinigen Entscheidungsträgern machen, eine korrumpierende Lebens- und Arbeitssituation. Der Schritt vom Alleinentscheider zum Alleinherrscher ist dann kein großer mehr. Im ständigen Bemühen, den in vielerlei Hinsicht brüchigen und anfälligen Entstehungsprozess eines Filmes nicht zu behindern oder zu gefährden, wird dann einiges an Übergriffen gekauft bzw. von Produktionen und Redaktionen gedeckt. Die Krokodilstränen, die die Constantin-Gruppe zu Til Schweiger vergossen hat, haben in der Branche niemanden überzeugt.

Til Schweiger hat darüber hinaus eine einzigartige Rolle in der deutschen Filmlandschaft. Er hat sich mit seinen Filmen klar am kommerziellen amerikanischen Kino orientiert und damit großen Erfolg gehabt. Erfolg, der ihm auch TV-Jobs beschert hat, für die er – durchaus begründet – um seinen Stil umsetzen zu können, höhere Budgets gefordert und bekommen hat. Ein weiterer Erfolg, der seine Sonderstellung noch einmal herausgestrichen hat und entsprechend Neider auf den Plan rief. Wenn man diese Sonderstellung einmal hat, muss man natürlich auch liefern. Und da wurde der Mensch Til Schweiger scheinbar von der eigenen Ikone überrollt: Gerücht über Burnout und Alkoholismus machen schon seit Jahren die Runde.

So erschütternd ist es nicht

Künstlerische Vision alleine reicht nicht aus, ein Filmteam zu führen. Generell sind die Verhältnisse beim Film nicht so erschütternd, wie es sich gerade darstellt. Ich persönlich habe annähernd 40 Jahre in dieser Branche verbracht, ohne jemals mit roher Gewalt oder auch nur exzessiven Verbalinjurien konfrontiert worden zu sein. Das mag auf den ersten Blick schlicht daran liegen, dass ich ein Mann bin. Aber das wäre doch zu simpel. Es liegt wohl vor allem an der Wahl meiner Arbeitgeber – die problematischen Personen sind durchaus bekannt – und schon auch daran, dass sich einiges gebessert hat. Vor allem im TV-Bereich, in der die Rolle der Regie und sogar der Protagonisten traditionell etwas pragmatischer gesehen wird, hat sich in den letzten Jahren ein durchaus wertschätzender Arbeitsstil etabliert. Und die meisten Regisseur:Innen, Protagonist:Innen oder Produzent:Innen widerstehen durchaus den korrumpierenden Möglichkeiten, die ihnen ihre Position bietet.

Aber es mangelt ganz klar an adäquater Ausbildung: Es fehlt an Management-Kompetenz der Führungskräfte, um die vielschichtigen Anforderungen der Filmherstellung zu bewältigen. Die unselige Idee, dass die künstlerische Vision ausreicht, um ein Filmteam in der Größe eines mittleren Wirtschaftsbetriebes zu leiten, schafft die Missstände immer wieder neu.

Bewusstsein schaffen

Neben dem zu schaffenden Bewusstsein (bzw. dem gesellschaftlichen Aufholprozess), liegt der Schlüssel einmal mehr bei der Ausbildung. Nicht nur die Führungskräfte müssen tools in die Hände bekommen, um mit einem Produktionsapparat umgehen zu lernen, auch die professionellen Standards der Mitarbeiter müssen angehoben werden. Sicherheit im Umgang mit der eigenen Tätigkeit, schafft ruhiges Selbstbewusstsein. Wenn man sich auf Augenhöhe begegnen kann, relativieren sich Machtgefälle.

Die Filmindustrie wäre gut beraten, sich da an der klassischen Musik zu orientieren. Die Orchester haben sich durch klare Regeln erfolgreich von der Monomanie einzelner Dirigenten emanzipiert, ohne das künstlerische Wollen und Können zu beschneiden

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