Gastkommentar

Islam und Wissenschaft: Der Minister schweigt

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In Bedrängnis. Warum es schwieriger wird, Studien über Muslime zu machen. Und wie Minister Polaschek zum Held islamischer Medien wurde.

Der Verfall der islamischen Zivilisationen hängt neben anderen Faktoren zweifellos mit dem Niedergang der rationalen Wissenschaften zusammen. Während deren Blütezeit waren die islamischen Dynastien die treibende Kraft der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung; jede Hauptstadt der muslimischen Welt hatte ihr Zentrum für philosophische und theologische Debatten, in denen alle Themen, die die Menschen jener Zeit beschäftigten, frei und uneingeschränkt abgehandelt werden konnten.

Die Unterbindung dieser Wissenschaftstradition führte die islamische Welt in eine drückende Stagnation. Nunmehr wurden Religion und Gesellschaft durch starre Dogmen geleitet, auf deren Grundlage sich zahlreiche Rechts- und Glaubensschulen herausbildeten, die jeglichen religiösen Diskurs unmöglich machten. Viele der Wissenschaftler, die den staatlich verkündeten Dogmen widersprachen, wurden getötet, ihre Werke verbrannt. Ab diesem Zeitpunkt ging es mit den islamischen Zivilisationen nur mehr bergab.

Der Autor

Ednan Aslan (*1959 in Bayburt, Türkei) ist ein österreichisch-türkischer Professor für Islamische Religionspädagogik am Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien. 2019 wurde er als Leiter des Instituts für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien abberufen.

Von dieser Krise hat die islamische Welt sich bis heute nicht erholt. Tatsächlich ist die gegenwärtige Situation oft um nichts weniger bitter, denn es kommt nicht selten vor, dass Wissenschaftler wegen abweichender Meinungen diskriminiert, verleumdet und von ihren Universitäten gekündigt und damit um ihre Existenzgrundlage gebracht werden; dass sie ins Gefängnis wandern, weil sie die Richtigkeit bestimmter religiöser Werke angezweifelt oder den Koran auf Basis neuer Erkenntnisse anders interpretiert haben. Nicht selten bezahlen Wissenschaftler die Anzweiflung der von oben verordneten, unhinterfragten religiös-kulturellen Dogmen mit ihrem Leben. Viele versuchen, ihre wissenschaftliche Karriere in einem westeuropäischen Land fortzuführen.

Dass die islamische Welt ihren Niedergang noch immer nicht überwunden hat, ist keine vornehmlich von im Westen beheimateten Muslimen vertretene Minderheitsmeinung, sondern Konsens. Die Meinungen gehen jedoch auseinander, wie man diesem Zustand entkommen kann.

West-Feindlichkeit grassiert

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Sichtweise durchgesetzt, dass die Schuld an der Misere bei den Ländern des Westens liege. Diese West-Feindlichkeit, die in der gesamten islamischen Welt grassiert, speist zu einem Gutteil die in den muslimischen Ländern gängigen Islamophobie-Theorien, und sie spiegelt sich auch in den in Europa geführten Islamophobie-Debatten.

Dem Einfluss dieser Debatten können sich leider auch die in Europa lebenden Muslime nicht entziehen, einschließlich jener, die hier geboren und aufgewachsen sind. Und so sehnen sie sich nach charismatischen Führungspersönlichkeiten, die dem Westen die Stirn bieten und westliche Werte als Unmoral entlarven.

Vor allem unter dem Einfluss ausländischer Interessensgruppen stehende muslimische Organisationen weisen jede Kritik an den verinnerlichten, unreflektierten kulturellen und religiösen Einstellungen und Ideologien ihrer Glaubensangehörigen, jedes Gegenargument als islamfeindlich oder rassistisch zurück.

Solidarisieren ohne Wissen

Nun aber kommt hinzu, dass sich zahlreiche Politiker und Wissenschaftler, ohne deren Hintergründe zu kennen, mit diesen Gruppen solidarisieren und so wohl oder übel eine offene Debatte unter den Muslimen verhindern.

Es wird auch in Europa immer schwieriger, etwa Studien zu den Einstellungen, den Glaubens- und Denkmustern von Muslimen durchzuführen. Ein Wissenschaftler riskiert nicht nur seine berufliche Zukunft, sondern auch seine Sicherheit, wenn er zu diesem Thema forscht. Längst tut man sich an akademischen Institutionen schwer, Nachwuchs für diese Art von Forschung zu rekrutieren, weil kaum jemand gewillt ist, seine Existenz und sein berufliches Fortkommen aufs Spiel zu setzen.

Exemplarisch für die dramatische Entwicklung in diesem Bereich steht der Fall einer jungen Wissenschaftlerin – die Universität und ihr Betreuer sehen sich gezwungen, ihren Namen zu verheimlichen und Maßnahmen zu ihrer Sicherheit zu überlegen, weil bestimmte Netzwerke die Fragen, die sie in ihrer Studie aufwirft, für unpassend befinden. Von Marokko bis Indonesien reagieren die islamisch/islamistisch motivierten Medien mit dem Befund, dass Rassisten und Islamfeinde Muslime diskriminieren und muslimische Werte bekämpfen.

Am bemerkenswertesten an dieser Sache ist jedoch der Umstand, dass der österreichische Bildungsminister, der am Rande einer Pressekonferenz zu einem gänzlich anderen Thema auf die Studie angesprochen wird, ohne über genauere Informationen zu verfügen, sich davon distanziert. Nicht nur, dass er damit die Zukunft und die Sicherheit der jungen Forscherin in Gefahr bringt, ist er sich offenbar auch nicht darüber bewusst, was es heißt, sich derart zugunsten der internationalen islamischen Netzwerke zu positionieren.

Der Minister schweigt, wenn jungen Lehrerinnen ohne Kopftuch die Erteilung des Religionsunterrichts untersagt wird, oder wenn Lehrerinnen, die ihr Kopftuch absetzen, als falsche Vorbilder gemobbt und diskriminiert werden. Der Minister schweigt auch darüber, dass nicht qualifizierte Personen dank ihrer ideologischen Nähe zu bestimmen Gruppen zum Nachteil qualifizierterer Lehrkräfte Religionsunterricht erteilen. Er stößt sich an der Frage nach den Einstellungen von Schülern, aber eine Ideologie, die nicht einmal in den islamischen Ländern geduldet wird, die aber die islamisch-religiöse Bildung in Österreich prägt, sieht er nicht als Gefahr für die Zukunft der Demokratie.

Polaschek, plötzlich ein Held

Als einen – sicherlich unbeabsichtigten – Erfolg könnte man die Tatsache bezeichnen, dass der in den islamischen Ländern bisher kaum bekannte Minister Polaschek vor allem von islamistischen Medien weltweit als Held gefeiert wird, der gegenüber Rassisten und Feinden des Islam ein Machtwort gesprochen habe. Das ist auch ein Indiz dafür, wie sehr die Angst aus den islamischen Ländern, aus denen viele Menschen in Richtung Europa flüchten, bereits hierher herübergeschwappt ist.

Mir und anderen Kollegen, die in diesem Bereich tätig sind, ist diese Lage seit Langem bekannt. Forscher werden denunziert, bedroht, ihre Arbeiten werden herabgewürdigt, sodass sie den Mut verlieren, in diesen Bereichen überhaupt noch zu forschen.

Dennoch würde ich mir wünschen, dass uns diese Vorsicht und Angst, die uns in Europa mittlerweile erfasst hat, nicht auch noch dazu verleitet, unseren Werten abzuschwören und die Forschung zu gängeln. Wissenschaft kann Fehler machen, dessen müssen wir uns bewusst sein, aber die Einschränkung der Freiheit der Forschung hätte fatale Folgen. Der Niedergang der islamischen Welt, den ich auf die Wissenschaftsfeindlichkeit in den islamischen Ländern zurückführe, muss für Europa eine Warnung sein.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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