Quergeschrieben

Normaldenkende glaubten einst, dass die Erde eine Scheibe sei

Nach der FPÖ und der AfD hat sich auch die ÖVP die „Normalität“ auf ihre Fahnen geschrieben, aber ohne sie genau zu definieren. Ausgrenzend ist es trotzdem.

Die Partei soll mehr Kante für die große Mehrheit der Normaldenkenden zeigen. Leistung, Vernunft und Hausverstand für die breite Mitte sollen ins Zentrum rücken.“ Bei den niederösterreichischen Landtagswahlen am 31. Jänner hat die ÖVP zehn Prozentpunkte verloren, eine Neuausrichtung ist in Arbeit. Ende Juni soll das Konzept präsentiert werden. Einen ersten Einblick lieferte ein anonymer Parteifunktionär am Sonntag im „Kurier“.

Man wartet gespannt auf den Rest des Konzepts, denn schon die zwei zitierten Sätze werfen Fragen auf. Zunächst: Was ist eigentlich normal? Normal ist ein mehrdeutiger, schwer fassbarer Begriff. Er beschreibt einen Fakt – die statistische Mehrheit – und enthält zugleich eine Bewertung, weil „abnormal“ mit Krankheit assoziiert wird. Der Begriff ist enorm breit, zugleich verändert er sich ständig. Normale Frauen durften jahrhundertelang nicht studieren; Normaldenkende glaubten einst, dass die Erde eine Scheibe sei.

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Das Perfide an der Normalität ist zudem, dass sie nicht ohne das Abnormale auskommt. Es können nie alle normal sein. Womit sich die Frage stellt: Wer sind die Abnormaldenkenden? Was die ÖVP hier tut, ist man von Parteien der Mitte nicht gewohnt: Indem sie ihre Zielgruppe als Mehrheit der Normaldenkenden beschreibt, wertet sie die Minderheit herab. Die denken nicht anders, nicht unvernünftig – nein, die denken abnormal. Abnormal, das ist krank, das ist endgültig, das gehört geheilt.

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