Traumatologie

KI als Zweitmeinung in der Medizin

Bruch oder kein Bruch? Eine KI-Software kann die Diagnose vor allem bei schwer sichtbaren Handgelenkbrüchen verbessern. Eine klinische Untersuchung ersetzt sie nicht.
Bruch oder kein Bruch? Eine KI-Software kann die Diagnose vor allem bei schwer sichtbaren Handgelenkbrüchen verbessern. Eine klinische Untersuchung ersetzt sie nicht. IB Lab GmbH 2023 
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Künstliche Intelligenz (KI) erkennt Brüche – und macht das ähnlich gut wie Fachpersonal. Wie damit das Risiko für Fehldiagnosen vermindert werden kann, zeigt eine neue Studie.

Wenn derzeit über künstliche Intelligenz gesprochen wird, dann geht es meist um die Frage, ob ein von einer KI generierter Song der Beatles erscheinen darf oder ob von Chat GPT geschriebene Texte die gleiche Qualität aufweisen wie die des Menschen. Jedoch gibt es auch im medizinischen Bereich bedeutende Fortschritte. Und neue Fragen, die aufgeworfen werden.

In einer Studie am Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Traumatologie, dem Forschungszentrum in Kooperation mit der AUVA, wurde beispielsweise untersucht, ob ein KI-Programm den Bruch eines Handgelenks gleich gut diagnostiziert wie ein erfahrener Arzt. Und inwiefern die Software im medizinischen Alltag eine Hilfestellung sein kann. Dafür trainierte das LBI eine von der Firma Image Biopsy Lab entwickelte Software mit 20.000 anonymisierten Röntgenbildern. Dann befundeten neun Fachärztinnen und Fachärzte, davon vier noch in Ausbildung, 200 zufällig ausgewählte Röntgenbilder von Handgelenken – anfangs ohne Unterstützung der KI. Drei Wochen später diagnostizierten sie dieselben Bilder erneut. Das Ergebnis war eindeutig: Mit Unterstützung der KI-Software verringerte sich die Fehlerquote in der Diagnose um knapp fünf Prozent. Vor allem die Leute in Ausbildung erhöhten ihre Treffsicherheit.

Maschine lernt von Experten

Wie gut der Algorithmus einer KI funktioniert, hänge maßgeblich von den Trainingsdaten ab, erklärt Richard Ljuhar, Geschäftsführer von Image Biopsy Lab: „Es ist wichtig, solide Datensätze zu etablieren, also dem Programm zu vermitteln: Ja, da ist ein Bruch, oder nein, da ist keiner.“ Rosmarie Breu, Fachärztin für Orthopädie und Traumatologie sowie Erstautorin der Studie, war daher bereits in die Entwicklung der Software involviert und lehrte die KI, auf mögliche Bruchstellen zu achten. Die verwendeten Röntgenbilder waren von zwei Ärzten aus dem Traumazentrum Wien befundet worden. Dass Fachleute im Machine Learning mit Medizinerinnen und Medizinern zusammenarbeiten, sei „entscheidend für die Entwicklung von guten Softwares“, betont Ljuhar. Und: Je mehr qualitativ hochwertige Daten der Software zugeführt werden, umso besser lernt sie auch von sich selbst. Am Ende schnitt das Programm auf dem Niveau erfahrener Unfallchirurgen ab. „Die Trefferquote der Software beträgt 91,3 Prozent. Damit performt sie mindestens so gut wie die medizinischen Experten.“

Diagnose nur mehr von KI?

Bei einer solchen Treffsicherheit drängt sich natürlich die Frage auf: Wird man zukünftig die Diagnosen den KI-Programmen überlassen? „Für eine klinische Untersuchung braucht es den Menschen“, betont Breu. Der Arzt oder die Ärztin muss das Armgelenk von außen untersuchen, beurteilen, ob die Fraktur frisch oder alt sei. Handelt es sich um einen komplexen Bruch, können sie ein 3-D-Röntgen anfordern oder vorsichtshalber einen Gips anlegen. Das kann eine KI (noch) nicht.

»Bei einem Bruch muss schnell reagiert werden. Hier kann KI den Befundprozess beschleunigen.«

Rosmarie Breu

Fachärztin für Orthopädie und Traumatologie

Jedoch gehören übersehene Brüche gerade in der Unfallambulanz zu den häufigsten Diagnosefehlern, erzählt die Orthopädin. Hier könne die Software als zusätzliche Hilfestellung den Befundprozess beschleunigen. Denn der Zeitdruck ist hoch: „Bei einem Bruch muss man schnell reagieren, um beispielsweise Begleitverletzungen an den Nerven zu verhindern.“ Gerade junge Kolleginnen und Kollegen könnten über die Software schnell eine Zweitmeinung einholen, müssten nicht auf die Fachärzte warten.

Auch für Hüfte, Sprunggelenk

Und wie sieht ein möglicher Einsatz im Medizinalltag aus? Breu: „Die Software könnte während der Röntgenbefundung mitlaufen, und die Ärzte könnten selbst entscheiden, ob sie die KI hinzuschalten oder nicht.“ Bevor es so weit ist, soll die Software auf weitere häufig vorkommende Brüche trainiert werden: Hüfte, Oberschenkel, Sprunggelenk. Diese Studien seien zeitintensiv, sagt Breu: „Man muss einen Ethikantrag stellen, retrospektive Bilddaten sammeln, selektieren und befunden.“ Technisch sei alles da, ergänzt Ljuhar, das Zulassungsprozedere aber lang, handelt es sich ja um keine „Freizeitapp“, sondern um ein Medizinprodukt.

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