Der Kopf passt nicht zum Körper: Adalbert Stifter im Biedermeierzimmer mit Papagei und Turmalin.
Künstliche Intelligenz

Wenn die KI schlecht träumt

Die Fragen, welche die künstliche Intelligenz aufwirft, treffen uns unvorbereitet – doch sie wurden bereits vor langer Zeit gestellt. Etwa in Adalbert Stifters Novelle „Turmalin“, die 1853 die Abgründe einer Gesellschaft auf der Schwelle zur Moderne erkundet.

Was passiert, wenn man ein Wesen ohne sinnliche Erfahrung und soziale Einbindung heranzüchtet, gespeist von Texten und Bildern aus zweiter Hand? Kann es Sprache, gar Bewusstsein entwickeln? Ein produktives Mitglied der Gesellschaft werden? Die Fragen, welche die künstliche Intelligenz aufwirft, treffen uns unvorbereitet – doch sie wurden bereits vor langer Zeit gestellt. Etwa in Adalbert Stifters Novelle „Turmalin“, die 1853 die Abgründe einer Gesellschaft auf der Schwelle zur Moderne erkundet: „Der Turmalin ist dunkel, und was da erzählt wird, ist sehr dunkel.“

Erzählt wird zunächst von einer Wiener Wohnung mitten im Prunk des ersten Bezirks – wenn überhaupt von Erzählen die Rede sein kann. Vielmehr wird in einer Art Kamerafahrt der Inhalt ihrer Räume gescannt. Langsam schält sich aus der bunten Biedermeier-Fülle das Porträt einer Familie heraus: der „Rentherr“, seine schöne Frau und das Töchterchen, noch ein Baby. Die Inneneinrichtung spiegelt vor allem die Schrullen des Rentherrn – modernste Vorrichtungen zum Dilettieren mit Musik, Kunst und Gedichten, Wände, „ganz vollständig mit Blättern von Bildnissen berühmter Männer beklebt“.

Mit dem gefeierten Schauspieler Dall kommt regelmäßig ein Hauch von Welt in diesen seidenen Kokon. Den Künstler zieht es ausgerechnet zum Dilettanten – um gemeinsam die „berühmten Männer“ zu betrachten. „Der Rentherr mußte ihm bei jedem erzählen, was er von ihm wußte, und wenn beide nichts Ausreichendes von einem Manne sagen konnten, als daß er berühmt sei, so suchten sie Bücher hervor und forschten so lange, bis sie Befriedigendes fanden.“ Doch die Blase dieser seltsamen Freundschaft zerplatzt: „Endlich fing Dall ein Liebesverhältnis mit der Frau des Rentherrn an und setzte es eine Weile fort.“

Genauso lapidar wird von der Verzweiflung des Rentherrn und den abwehrenden Reaktionen Dalls, vom unerklärten Verschwinden der Frau und schließlich des Rentherrn zusammen mit dem Kind berichtet. In die verwaiste Wohnung kehrt die Stille des Anfangs ein. In der Welt der menschengemachten Dinge sind ihre Schöpfer endgültig überflüssig geworden. Der Kamerablick kann dem Rentherrn nicht mehr folgen. Nun lässt Stifter eine menschliche Erzählerin zu Wort kommen, einer Freundin, die die Geschichte ihm zugetragen haben soll. Seit dem Verschwinden des Rentherrn ist „eine Reihe von Jahren“ vergangen. Mit der Binnenerzählerin bewegen wir uns nun durch die luftigen Straßen der Vorstadt und begegnen einem „seltsamen Paar“: einem ärmlichen alten Mann mit einem Mädchen, das alle Blicke auf sich zieht, weil ihr Kopf „zum Erschrecken“ groß ist. Mitleidig-neugierig kommt ihnen die Erzählerin auf die Spur und entdeckt das Zuhause der beiden im Kellergelass eines uralten, fast verwaisten Hauses. Als der Mann eines Tages plötzlich stirbt, kümmert sich die Erzählerin um das Mädchen. Deren Wasserkopf geht mit einer bizarren Beeinträchtigung einher: Sie kommuniziert zwar „in der reinsten Schriftsprache“, doch so wirr, dass die Erzählerin den Sinn nur ungefähr wiedergeben kann. So viel wird immerhin klar – der alte Mann ist der Rentherr gewesen, das Mädchen ist seine Tochter, die er ohne Kontakt zur Außenwelt großgezogen hat.

Eine Kindheit im Keller

„Er lehrte mich mancherlei Dinge und erzählte viel. Er sperrte immer zu, wenn er fortging. Wenn ich fragte, was ich für eine Aufgabe habe, während er nicht da sei, antwortete er: Beschreibe den Augenblick, wenn ich tot auf der Bahre liegen werde, und wenn sie mich begraben; und wenn ich dann sagte, Vater, das habe ich ja schon oft beschrieben, antwortete er: So beschreibe, wie deine Mutter, von ihrem Herzen gepeinigt, in der Welt herumirrt, wie sie sich nicht zurück getraut, und wie sie in der Verzweiflung ihrem Leben ein Ende macht.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.