175 Jahre „Die Presse“

Am Lagerfeuer der Intelligenz

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Rückblick, Ausblick. Bilderflut, Fake News, Redundanzen? Wie sich Reiseberichterstattung durch Social Media und KI verändert.

Wir befinden uns im Jahr 2023 n. Chr. Die ganze mediale Welt ist von sozialen Medien, künstlicher Intelligenz und verstörenden Fake News besetzt . . . Die ganze mediale Welt? Nein! Ein paar Unbeugsame mit widerspenstiger Freude am Faktencheck hören nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Solang Journalismus auf Papier gedruckt wird, solang noch jemand richtig recherchieren will, machen es die Unbeugsamen nicht leicht für jene, die im Namen des Fortschritts ihren Kopf unter Wasser drücken.
Wie jeder verstehen wird, und wie nicht nur Branchenkenner beklagen, wehen unbeugsamen Redaktionen 175 Jahre nach der Gründung der „Presse“ raue Winde um die Ohren – im Fall des Reisejournalismus könnte man fast schon von einem Tornado sprechen. In Zeiten des virtuellen Bildersturms könnte sich ja jeder seine Trauminsel selbst produzieren. Wäre aber keine gute Idee, wir scrollen auch nicht Party-Pics, sondern gehen noch selbst auf Partys. Allerdings stellt sich die Frage nach dem Mehrwert von urlaubsunterstützenden Wohlfühlgeschichten über Reisen, dem Unterhaltungssegment des Pressewesens.

Widerhaken als Köder

Die ernste Innen- oder Außenpolitik, die umkämpfte Wirtschaft, der ultrapopuläre Sport, die hie und da blutige Chronik, sie alle verfügen über eine gewissermaßen natürlichere Daseinsberechtigung, verglichen mit Berichten über die falsche Linienziehung des Äquators in Ecuador, die erste vegane Wanderhütte Europas oder die alpenvorlandsähnliche Landschaft mit Kühen an einem kleinen Abschnitt der Insel La Réunion. Im Idealfall werden wir weiterhin auf jene kleinen Widerhaken setzen, die Lesende tiefer hineinziehen und das Fleisch am Knochen von Reportagen sind.

Zeitungsschreibende und -lesende gingen einen weiten Weg gemeinsam, seit im September 1605 in Straßburg das Wochenblatt „Relation aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien“ erstmals erschien, erfunden von dem Buchbinder und Geschäftsmann Johann Carolus (1575–1634), der davor handgeschriebene Informationsblätter verfasst und gedruckt hat. Die „vornehmen und gedenkwürdigen Geschichten“ im Titel weisen diskret sowohl auf die offiziöse als auch auf die unterhalterische Ebene, die ein solches Produkt leisten muss, will es gelesen werden. Daran hat sich nichts geändert und wird sich wohl wenig ändern – das Interesse einer Leserschaft am Außergewöhnlichen macht den Erfolg gedruckter Produkte seit jeher aus und ist auf die digitale Welt umlegbar. Wie lang wir das Geschäftsmodell „Zeitung“ weiterhin umlegen dürfen, wird sich weisen.

Text, wenn er stark ist

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