175 Jahre „Die Presse“

Schnörkelmalen ist Geschichte

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Schulschrift. Wie soll eine „schöne“ Schrift aussehen und wie wird sie gelehrt? Neues von der alten Debatte.

Auch wenn sie im Alltag immer seltener benutzt wird, gilt die Fähigkeit, zu schreiben – gemeinsam mit dem Lesen – als eine elementare Grundlage der Bildung. Vielen gilt die Handschrift gar als Spiegel der Persönlichkeit. Sie zu erlernen ist für viele aber auch eine Herausforderung. Neben der korrekten Orthografie ist das „Schönschreiben“ eine Kunst, die so mancher schwer oder gar nie so recht beherrscht.

Als Vorlage, wie die Buchstaben auszusehen haben, dient die Schulschrift. Die erste offizielle gab es 1775 unter Maria Theresia. Die vorletzte von 1969 wird heuer endgültig in Rente geschickt, und die bis dato parallel mögliche Variante von 1995 ist nun die einzig gültige. Wobei Karin Trupp, die an der PH 10 in Wien Fortbildungen für Deutsch koordiniert und hält, die Bedeutung dieser Entscheidung relativiert: „Es gab schon seit 20 Jahren keine Schulbücher für die alte Schrift mehr.“ Dass die Interpretation seit jeher ohnehin vom jeweiligen Pädagogen abhängt, dem wird in der Erläuterung zur neuen Schulschrift Rechnung getragen. Es wird gar nicht gefordert, dass die Schrift bis zum letzten Kringel – von denen es nun deutlich weniger gibt – penibel der Vorlage entspricht, die persönliche Handschrift, die ab der dritten Klasse das Ziel ist, soll dieser vielmehr „angenähert“ sein.

Schon die nächste Schulschrift?

Einen Schritt weiter will „Prima“ gehen. Eine vom Wiener Bildungsserver beauftragte und von Martin Tiefenthaler, Gründungsmitglied der Typographischen Gesellschaft tga und Lehrender an der Graphischen in Wien, gemeinsam mit dem Schriftdesigner Titus Nemeth (Wiener Schriften) entwickelte Schulschrift. Die mit dem „Typografie-Oscar“ tde-Award ausgezeichnete Schrift ist für nichtkommerzielle Zwecke – also auch alle Pädagogen – frei nutzbar und digital als Open-Type-Format verfügbar. Ob sie als erweiterte Interpretation oder Nachfolger der aktuellen Schulschrift zu verstehen ist, dürfte nicht zuletzt von Gesprächen abhängen, die die Macher demnächst mit dem Bildungsministerium führen.

Obwohl Prima auch eine Druckschrift beinhaltet, fokussiert Tiefenbacher auf eine flüssige Schreibschrift – wobei er die Begriffe unverbundene und verbundene Schrift bevorzugt. Letztere sei die für das Schreiben mit der Hand relevante. Wobei es für ihn unerheblich ist, ob der Stift bei der Verbindung das Blatt berührt oder nicht, was sich auch in Prima niederschlägt. Wichtiger seien neben dem Schreibfluss die gleichmäßigen Abstände, auch für die unbewusste Worterkennung. Besonderes Augenmerk wurde bei Prima auf die Anschlüsse zwischen den Buchstaben gelegt, die je nach Umfeld flexibel gestaltet sind, um eben jene gleichmäßigen Abstände zu ermöglichen. Weiteres Beispiel für die Flexibilität von Prima: Die ohnehin raren vorgegebenen Schlaufen sind klein gehalten. Das ermöglicht beim Entwickeln der individuellen Handschrift, diese ganz wegzulassen oder etwas größer zu gestalten. Und im Gegensatz zu anderen Schriften gehen die Buchstaben der verbundenen Schrift bei Prima auch direkt aus den unverbundenen hervor. Das erleichtere den Übergang, da nicht komplett neu gelernt werden müsse.

Zudem hat Prima den Vorteil der Inklusion. Sie berücksichtigt Auszeichnungen in 205 Sprachen. Dass alle Schüler ihren Namen (in lateinischer Schrift) korrekt – etwa mit Hatschek– schreiben können, ist für beide Experten ein wichtiger Punkt. Auch lobt Trupp bei Prima den einfachen Übergang von Druckschrift zu Schreibschrift, und dass es auch Vorlagen für Linkshänder gibt – die selbstverständlich heute auch linkshändig schreiben lernen.

Schreiben soll Spaß machen

Letztlich ist für die Expertin die konkrete Schrift aber zweitrangig, entscheidend sei das Engagement der Lehrperson. „Zu jedem Buchstaben ein kleines Fest, bei dem etwa bei ,T‘ ein Tiger gebastelt und Tee getrunken wird. Zu den Buchstaben eine Geschichte erfinden und ihn mit allen Sinnen erfahren, ihn mit anderen Körperteilen scheiben oder bei ,A‘ wie Ananas diese riechen und schmecken, so was mögen Kinder“, illustriert Trupp eine lustvolle Herangehensweise an das Schreiben.

Wichtig sei Geduld – und die Möglichkeit, sich ausreichend dem einzelnen Kind zu widmen. Trupp wünscht sich daher dringend Begleitlehrer. Sollten einzelne Kinder mit der Motorik Probleme haben, wären Spezialstifte oder die Unterstützung durch Motopädagogen möglich. Zu den Dingen, die Anfangs die meisten Probleme bereiten, nennt sie die Platzierung der Buchstaben auf einer Linie, die Proportionen, Ober- und Unterlängen und die Abstände. Tiefenthaler sieht vor allem „gespiegelte“ Buchstaben wie d und b oder p und q problematisch, weil diese nicht als unterschiedlich wahrgenommen werden. „Eine Tasse wird als Tasse gesehen, egal auf welcher Seite der Henkel ist.“

Bezüglich der Didaktik plädiert Trupp klar dafür, zuerst Druckschrift und dann Schreibschrift zu lehren, da dies auch die Leseschrift sei. Damit sieht sie sich hierzulande in der überwiegenden Mehrheit. Allerdings herrsche Methodenfreiheit, erklärt die Expertin. Auch gleich mit Schreibschrift zu beginnen, sei ein legitimer Ansatz. Generell sei der methodische Zugang heute offener und unverkrampfter. Während es früher eher einen Wettkampf untereinander und strenge Kontrollen etwa durch Direktoren gegeben habe, herrsche heute kollegiales Klima unter den Lehrpersonen.

Was das Ergebnis angeht, so sei zwar eine funktionale – also gut leserliche – Schrift wichtig, „die Kinder sollen aber keine Malübungen machen“. In diesem Zusammenhang bittet sie auch die Eltern um Zurückhaltung. Wenn die Kinder permanent beobachtet und jeder nicht hundert Prozent perfekte Buchstabe sofort ausradiert wird, nehme dies die Lust am Schreiben. Wichtig sei, dass flüssig geschrieben wird, das ermögliche Konzentration auf Rechtschreibung und Inhalt. Besonders bei Kindern aus nichtdeutschsprachigen Familien sei es wichtig, nicht nur auf die schöne Form, sondern auch auf das Verständnis zu achten. Die unterschiedliche Voraussetzungen im Elternhaus spielen laut Trupp eine große Rolle. „Eine Hausübung, die auf dem Fensterbrett geschrieben wird, wird nicht so nett aussehen wie die eines Kindes mit eigenem Schreibtisch“, erzählt Trupp, die selbst Volksschullehrerin ist, aus der Praxis. Die Pädagogin beruhigt auch jene Eltern, deren Kinder sich im Vorschulalter überhaupt nicht für das Schreiben begeistern lassen. Unterschiedliches Vorwissen werde in der Schule ausgeglichen, die notwendige Motorik in den Kindergärten – die Trupp sehr lobt – geschult.

Notebook nur als Setzkasten

Das Schreibwerkzeug der Wahl ist in der ersten Klasse der Bleistift, in der zweiten die Füllfeder, weil diese zu einer sauberen Schreibweise zwinge. Ab der dritten Klasse auch radierbare Rollstifte. Wobei es hier wieder auf die jeweilige Lehrperson ankommt. Notebooks in der Volksschule findet Trupp toll – aber als Setzkasten oder als Hilfsmittel für Recherchen, nicht, um darauf zu schreiben. Der Idee, angesichts der im Berufs- und zunehmend auch im Privatleben üblichen Nutzung von Tastaturen zumindest auf die Schreibschrift zu verzichten, erteilen beide Experten eine klare Absage. Abgesehen davon, dass elektronische Hilfsmittel nicht immer zur Verfügung stehen, würde händisch Geschriebenes viel besser im Gedächtnis bleiben. Damit sind sie im Einklang mit der Forschung: Dass die Verknüpfung mit der eigenen Motorik durch die Handschrift das Merken der Inhalte fördert, ist durch eine Reihe von Studien belegt.

Spätestens an der Hochschule dominiert aber der Laptop. Mit der Folge, dass laut Trupp sei einigen Jahren angehende Lehrer selbst nicht mehr schön schreiben können – zumindest nicht an der Tafel. Was seit einigen Jahren nicht mehr im Curriculum vorgesehen ist, soll nun als Wahlfach wieder eingeführt werden.

Prima

heißt eine neue, als Open Source verfügbare Schulschrift, Sie punktet mit einfachem Übergang zwischen Druck- und Schreibschrift, flexiblen Verbindungen und vollständigem Zeichensatz für 205 Sprachen.

www.schulschrift.at

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