175 Jahre „Die Presse“

Lieber Journalist als Gemüsebauer

Clemens Fabry / Die Presse
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Nachwuchs. Der Journalismus schippert in eine ungewisse Zukunft. Trotzdem ist er für diese drei Studierenden immer noch der Traumberuf. Warum eigentlich?

Der Entschluss kam mit Corona, der Wunsch war schon lang da. „Jedoch dachte ich erst, mir würden dazu die Fähigkeiten fehlen“, erzählt die Tirolerin Katharina Zangerl. Sie entschloss sich, Politikwissenschaften zu studieren, arbeitete in Brüssel und im NGO-Bereich. Erst mit 32 Jahren inskribierte sie sich für den Master Journalismus & Neue Medien an der FH Wien der WKW. War die Angst von früher begründet? „Ja, denn der Journalismus hat sich stark verändert, ist viel schnelllebiger. Es reicht nicht mehr, nur gute Texte zu schreiben.“ Multimediales Storytelling, Podcasts und Videos stünden im Studium daher hoch im Kurs. Auch in Wien, an der Österreichischen Medienakademie, absolviert Patricia Morianz das Journalismus-Kolleg. Zuvor arbeitete die Grazerin als Barfrau, wurde von „Falstaff“ zur Barkeeperin des Jahres gewählt. In der Pandemie – als alle Lokale geschlossen waren – wandte sie sich der journalistischen Arbeit zu und unterzog in ihrem Podcast „Tief ins Glas geschaut“ Alkoholmythen einem Faktencheck. „Die Recherche führte mich in alle Bereiche: Wirtschaft, Politik, Geschichte. Das machte Spaß.“ Aber auch sie wollte wissen, „wie es richtig geht“. Und Kontakte knüpfen. Für den Wiener Rafael Gindl – neben dem Know-how – die einfachste „Rutsche in den Journalismus“: „Ich habe mit 19 begonnen, bei einer Bezirkszeitung über Mülltonnen und Kreisverkehre zu schreiben. Irgendwann lernte ich Leute kennen, und ich durfte hie und da etwas Größeres machen.“ Braucht es dann überhaupt eine Journalismusausbildung? „Können muss man trotzdem etwas“, ist Gindl überzeugt. Gutes Storytelling zum Beispiel, das er sich im Masterstudium an der FH Wien aneignet. Zudem brauche es für Qualitätsjournalismus eine gewisse Haltung, betont Zangerl. Und Vorbilder, die der neuen Generation diese vermitteln: „Wir haben Seminare mit österreichischen Journalistinnen und Journalisten mit Vorbildfunktion, die etwa sagen: ,Seid niemals per Du mit einem Politiker – das ist der erste Schritt zur Verhaberung.‘“

In wenigen Berufswegen stößt man auf so starke Bedenken im eigenen Umfeld. „Mir wurde nicht nur ein Mal davon abgeraten, in den Journalismus zu gehen“, erzählt Zangerl. „,Mit deinen Fähigkeiten: Geh doch in die PR, dort ist das Geld‘“, lautete meist der Tipp – auch von den FH-Lektoren. Gleichzeitig werde man ermuntert, sich als Freie mit neueren Formaten, wie Blogs, Podcasts, TikTok, einen Weg aus der prekären Jobsituation zu bahnen. Sucht man doch eine Fixanstellung in einem der großen Medienhäuser, führt kein Weg am Praktikum vorbei. Auch das wird den angehenden Journalisten und Journalistinnen früh klargemacht. Über Praktika hat es Gindl in den ORF geschafft. Das gehe aber nur für jene, die es sich leisten können, über mehrere Monate gar nicht oder kaum bezahlt zu werden. Denn schon für die Ausbildung haben die beiden jungen Frauen tief in die Tasche gegriffen, andere Jobs hintangestellt. „Das ist okay, weil ich ja etwas lernen will. Aber ich kann nicht jahrelang schlecht bezahlte Praktika machen“, meint Zangerl. Wenn man überhaupt eines bekommt – denn auch das ist schwer, weiß Morianz, die bislang keine Zusage erhalten hat. Trotzdem „zerdenkt“ sie nicht zu sehr, wie es in Zukunft weitergeht. „Ich muss mir das anschauen; wenn es nicht passt, braucht es Alternativen.“

Sich auf eine Branche einzulassen, die gerade so stark im Umbruch ist wie die Medienbranche, zeugt von Mut. Nicht alle bringen diesen auf, gehen lieber den sicheren Weg. „Dabei brauchen wir all diese Stimmen, damit der Journalismus als wichtiger Pfeiler der Demokratie erhalten bleibt“, meint Zangerl. Für sie ist das auch dessen Kernleistung: die Gesellschaft aufzuklären. Und das könne gern neu gemacht werden, etwa, wenn man einmal die Jungen vom EU-Gipfel aus Brüssel berichten ließe. Die „verkrusteten Strukturen“ sieht auch Gindl als Grund dafür, dass viele doch das Weite suchen. „Vielleicht müssen erst einige Leute in Pension gehen, damit das Feld frei für neue Ideen ist.“ Auf der Uni höre er vonseiten der Professoren oft den Rat: ,Macht etwas Neues, Cooles.‘ Dafür müsse aber das Geld anders verteilt werden. Er sieht seine Rolle im Journalismus zwischen Aufklärung und Satire, sein YouTube-Kanal „Die letzte Reportage“ ist ein Beispiel dafür. „Du musst unterhalten, sonst hört dir keiner zu.“ Unterhalten und komplexe Sachverhalte einfach erklären – in allen Formaten, fügt Morianz hinzu. Angst vor Chat GPT und Co. haben alle drei nicht. Morianz: „Wir müssen ja immer noch die Fakten checken. Das ist ein Werkzeug, das es gilt zu nutzen.“ Das heißt also, Journalismus bleibt der Traum? Gindl: „Eigentlich wäre ich gern Gemüsebauer – aber da müsste ich viel Gemüse anbauen, um die Welt ein Stück weit besser zu machen. Als Journalist geht das vielleicht einfacher.“

Jubiläum

Welche Zukunft haben Liberalismus und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellte sich im Revolutionsjahr 1848, als „Die Presse“ erstmals erschien. Und sie stellt sich heute mehr denn je. In unserem Schwerpunkt zum Jubiläum blicken wir zurück und nach vorne.

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