Gastkommentar

Eine Warnung aus Bayreuth für die gesamte Opernwelt

Was hat es zu bedeuten, wenn die Wagner-Festspiele in Bayreuth nicht mehr ausverkauft sind.  

Der Autor

Ioan Holender (* 1935 in Timisoara, Rumänien) war von 1992 bis 2010 Direktor der Wiener Staatsoper.


„Das ist das Ende?“ Wotans Worte – leicht umgeformt – gebrauche ich, um ängstlich und sorgenvoll zu fragen, ob dies in der Tat ein Zeichen für das bevorstehende weltweite Ende der Oper ist. Die Bayreuther Festspiele in Franken gelten als Zielort von Pilgerreisen all jener Menschen, die Richard Wagners zehn Hauptwerke erleben wollen.

Wolfgang Wagner, einer der zwei Enkel des Komponisten, war – bis zu seiner Tochter – der letzte alleinige autonome und bekannte Leiter der Festspiele am Grünen Hügel. Das 1937 Plätze umfassende Auditorium war bisher stets auf Jahre ausverkauft. Noch vor wenigen Jahren konnte man sich für maximal zwei Karten bewerben. Und die Wartezeit, um diese zu erlangen, dauerte bis zu acht Jahren.

In meiner 19-jährigen Direktion der Wiener Staatsoper war es mir immer bewusst, dass die Bayreuther Festspiele die wichtigste aller Opernunternehmungen weltweit sind. Ich versuchte deshalb schon a priori in der Bayreuther Probenzeit keine Werke anzusetzen, in denen mögliche für Bayreuth infrage kommende Sänger auftraten. Ich wollte vermeiden, dass ich diese gegebenenfalls für Proben in Bayreuth freigeben müsste. Wenn es dann trotzdem geschah, konnte und wollte ich Wolfgang Wagners Bitte nicht abschlagen. Seine Briefe mit dem Ersuchen um Freigabe des Künstlers waren immer persönlich. Sie waren immer so formuliert, dass ich sowieso nicht Nein sagen konnte.

Die höchste Auszeichnung

Das Hemd ist einem Opernleiter näher als der Rock, und ich handelte immer danach. Aber Wolfgang Wagners Bayreuth war dann doch irgendwie noch näher als das Hemd. Ich betrachte bis heute als Höhepunkt meines Wirkens auf dem Gebiet des Opernlebens meine Rede beim Festakt zum 100. Geburtstag von Wolfgang Wagner auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses.

Die höchste Auszeichnung für einen Dirigenten und einen Opernsänger war das Engagement nach Bayreuth. In der langen Zeit der Festspielleitung Wolfgang Wagners lernte die Opernwelt Regisseure wie Götz Friedrich, Patrice Chéreau oder Harry Kupfer kennen, alle bereits in Zeiten, in denen die Wichtigkeit der Regisseure – nicht aber das, was wir heute unter Regietheater verstehen – allmählich zunahm.

Verärgertes Publikum

Musik und Texte der Schöpfer waren die zwei Säulen ihrer Arbeit. Diese und nur diese waren ausschlaggebend. Durch die szenischen Aberrationen der letzten Jahre und nicht zuletzt auch durch die fragwürdigen Dirigenten und Sängerbesetzungen verließ das zahlende Publikum Bayreuth immer öfter enttäuscht, ja verärgert.

Wütend taten diejenigen, die die Werke bereits kannten, ihre Enttäuschung am Ende des Spektakels lauthals kund. Nicht weniger verunsichert jedoch sind auch jene, welche eines der zehn in Bayreuth gezeigten Werke Wagners erstmalig erlebten. Allein die wunderbare, weltweit einmalige Akustik im Festspielhaus kann durchschnittliche musikalische Leitungen, oft schlechte Sängerbesetzungen und unverständliche optische Wiedergaben der von den jeweiligen Regisseuren erfundenen Geschichten nicht wettmachen, um Besucher zu behalten.

Die nicht ausverkauften Bayreuther Festspiele sind und sollen eine Warnung sein für alle jene Operntheater weltweit, welche die Musik und die Vorlage – das Libretto –, auf deren Grundlage die Musik komponiert wurde, vernachlässigen, verändern, verachten und, man glaubt es nicht, öfters auch nicht kennen. Denn dann bewahrheitet sich allmählich Wotans Warnung vom Ende.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2023)

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