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Lern-Apps sind keine Selbstläufer

Lern-Apps eröffnen neue Wege, Inhalte zu erfahren, benötigen aber entsprechende Begleitung.
Lern-Apps eröffnen neue Wege, Inhalte zu erfahren, benötigen aber entsprechende Begleitung.gettyimages
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Mit interaktiven Elementen und individualisierten Aufgaben sind sie Teil des Wandels in der Didaktik. Doch nicht alle Apps halten, was sie versprechen. 

Lerninhalte erarbeiten, anwenden, vertiefen – das ist längst auch auf digitalem Weg möglich. Mehr und mehr Lern-Apps drängen auf den Markt, die auf spielerische Weise zum Üben anregen sollen. Jedoch nicht immer können sie den Qualitätskriterien standhalten. „Eine Lern-App ist gut, wenn sie dabei unterstützt, eigenständig, selbstbestimmt und im Idealfall interessensgeleitet lernen zu können“, sagt Franz Gramlinger. Er ist in der Bildungsagentur OeAD hauptverantwortlich für die Lern-App-Zertifizierungen. Das entwickelte Gütesiegel soll Lehrkräften und Eltern einen Überblick über pädagogisch wertvolle, innovative Anwendungen geben. Mittlerweile sind 66 Lern-Apps zertifiziert. Um in das Verfahren zu gelangen, müssen die Apps der DSGVO entsprechen und dürfen keine Werbung enthalten. Nachschlagewerke oder Wörterbücher sind nicht zugelassen. Evaluiert werden die Apps durch geschulte Lehrpersonen, die sie mit ihren Schülern ausprobieren und sie anhand pädagogisch-didaktischer Kriterien, Funktionalität, medialer Gestaltung, Lernenden-Orientierung und der Rolle der Lehrperson bewerten. Zusätzlich geben die Schüler qualitatives Feedback.

Für Lernfortschritte braucht es eine enge Begleitung

Lern-Apps seien allerdings keine Selbstläufer, betont Erich Schönbächler vom Zentrum für Lerntechnologie und Innovation am Institut für übergreifende Bildungsschwerpunkte der Pädagogischen Hochschule Wien. Es brauche eine enge Begleitung, damit die Kinder Lernfortschritte machen. Die Qualität lasse sich auch daran festmachen, welche Steuerungselemente Erwachsenen zur Verfügung stehen und inwieweit es möglich ist, Aufgaben zu individualisieren. Künstliche Intelligenz birgt für ihn das Potenzial, vor allem in der Mathematik, Inhalte künftig noch besser an Defizite anzupassen. Er selbst lehrt den Umgang mit Standard-Apps wie Taschenrechner, Textverarbeitung, Foto- und Videokamera oder Audiorecorder. „Für Lehrende und Eltern ist es wichtig zu wissen, wie sie Standardprogramme, die auf jedem digitalen Gerät zur Verfügung stehen, zu einer individualisierten kreativen Umgebung für Lernende adaptieren können. So findet eine intensivere Begleitung durch digitale Medien statt.“

Die Gamifizierung – also die Einbeziehung spielerischer Elemente, die Lernende beim Üben motivieren sollen, etwa wenn sie Münzen für Belohnungseinkäufe sammeln – beobachtet er kritisch. Hier empfiehlt Schönbächler, das Ablenkungsrisiko zu hinterfragen: „Löst man einfach viele Male hintereinander die einfachsten Aufgaben, hat die App ihr Ziel verfehlt.“

Und klar definierte Lernpfade

„Bei guten Lern-Apps gibt es klar definierte Lernziele. Mit dem unmittelbaren Feedback kann man Lernpfade gut gestalten“, sagt Sigrid Schefer-Wenzl, die unter anderem in den Studiengängen Computer Science and Digital Communications an der FH Campus Wien lehrt. Wesentlich ist zudem, wie gut sich junge Nutzer mit der Navigation zurechtfinden und wie klar – oder eben überladen – eine App ist. Die Strukturiertheit der Mathematik sei besonders gut abzubilden. Mit Android Studio und Xcode gibt es Entwicklungsumgebungen mit Guidelines für die Gestaltung. Sprachapps wie Duolingo sprechen via Audio, Video und Spracheingabe unterschiedliche Sinne an.

„Apps unterstützen mit interaktiven Elementen und breiten Möglichkeiten der Darstellung. In allem, was mit kognitiven Fähigkeiten zu tun hat, haben sie allerdings deutliche Grenzen in Bereichen, die motorische und sozial-emotionale Fähigkeiten betreffen“, ergänzt Studiengangsleiter Igor Miladinovic. Beide denken, dass Virtual Reality viel verändern wird. „Schon jetzt gibt es Vorlesungen an Universitäten im Metaverse, wo es möglich ist, mit anderen zu kommunizieren, als wäre man in einem Raum. Für bestimmte Settings eröffnen sich damit neue Optionen.“

Um neuen Stoff zu erarbeiten, taugen derzeitige Lern-Apps aus Sicht der Experten weniger. „Eine gute App unterstützt die individuellen Interessen und Lernstile der Schüler. Das ist ein großes Potenzial“, sagt Gramlinger, „wir müssen allerdings aufpassen, dass Lern-Apps nicht dazu beitragen, soziale Unterschiede zu verstärken. Denn Kinder aus bildungsfernen Schichten verfügen über weniger Zugang und Anleitung.“ Und eines nehmen Apps freilich nicht ab: das Lernen.

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