Gastkommentar

Ambulatorien können die Lösung sein

Peter Kufner
  • Drucken

Fünf Thesen zur Restrukturierung des Gesundheitssystems am Beispiel der kindermedizinischen Versorgung in Wien.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Zur Diskussion um die Restrukturierung des Gesundheitssystems möchte ich anhand von fünf Thesen zur kindermedizinischen Versorgung zeigen, dass Lösungen fachspezifisch ausgestaltet und umgesetzt werden müssen.

1. Kinder müssen in der ärztlichen Versorgung im Vordergrund stehen: Circa 280.000 Kinder müssen in Wien ärztlich versorgt werden. Für sie stehen aber aktuell nur rund 70 Kinderarztordinationen mit Kassenvertrag zur Verfügung. Circa 150 Kinderärzte in Wien arbeiten privat oder als Wahlärzte und übernehmen ein bis zwei Prozent der Versorgung. Daher finden um die 65% der kinderärztlichen Versorgung im Spital statt. Wir müssen weg vom Wahlarztsystem hin zur leicht zugänglichen Kassenordination für alle. Der Besuch im Spital ist kein Ausweg, weder ist die Atmosphäre für Kinder gesundheitsfördernd, noch kann das Spitalsystem das Problem stemmen. 90 Prozent aller Fälle in der Kindermedizin wären ambulant behandelbar. Wir sollten daher alles unternehmen, damit ein krankes Kind zu Hause krank sein und dort gesund werden darf.

2. Es gibt sehr wohl Rezepte gegen den Personalmangel: Es gibt genug ausgebildete Kinderärztinnen, in Wien sind es aktuell circa 490. Die Herausforderung ist, dass sie derzeit an den falschen Stellen eingesetzt sind, denn sie sind nicht in den Kassenordinationen. Gruppenpraxen sind ein oft gewählter Weg, aber nicht die Lösung. Junge Kolleginnen und Kollegen knicken unter hohen Anforderungen der wirtschaftlichen Gesamtverantwortung, enormen Anwesenheitszeiten sowie der Probleme bei der Übergabe ein. Ein Ausweg gegen den Personalmangel sind Ambulatorien. Unternehmerisch geführt, mit fix mitarbeitenden Ärzten bieten sie jene Merkmale, die die Jungen benötigen: sichere Dienstverhältnisse, flexible Arbeitszeiten, auch, weil etwa Teilzeitlösungen leicht umsetzbar sind. Wir dürfen nicht vergessen: Kindermedizin ist zu einem großen Teil weiblich. Dieser Realität müssen wir uns mit den entsprechenden Arbeitszeitmodellen stellen, damit vor allem für junge Kinderärzte und -ärztinnen Beruf und Privatleben vereinbar werden.

3. In der Kindermedizin darf Geld nie das Hauptmotiv sein: Kindergesundheit ist die Basis für gesunde Erwachsene. Kinderärztliche Versorgung besteht nicht nur aus Diagnostik und Therapie, sondern auch aus Gesundheitsbewusstseinsbildung und Vorsorge, gerade wenn wir zukünftige Herausforderungen wie z. B. Ernährungserkrankungen, Allergien und Suchtthemen adäquat lösen wollen. Genau hundert Jahre, nachdem Ferdinand Hanusch das System der Sozialversicherung erfunden hat, die aus kranken Menschen, die um Hilfe bitten, solche macht, die ein Recht auf Behandlung haben, scheint dieser Fortschritt verloren. Das Wohl der Kinder darf niemals von der Finanzkraft der Eltern abhängen.

4. Ambulatorium als Weg in die Zukunft: Wir benötigen daher ein Gesamtkonzept, welches prognostisch die erforderlichen kinderspezifischen Spitalsbetten sowie die wesentlich mehr benötigten ambulanten Primärversorgungseinrichtungen kalkuliert, um die Finanzierung entsprechend umzuschichten. Auch die kinderärztliche Ausbildung muss die Anforderungen des niedergelassenen Bereichs verstärken. Die beste Variante für eine nachhaltige Zukunft der Kinderversorgung sind Ambulatorien, da sie die erstrebenswerte niederschwellig zu erreichende Primärversorgung ermöglichen und auch die sozialpädiatrischen Anforderungen abdecken. Gleichzeitig finden Ärztinnen und Ärzte feste Anstellungen und flexible (auch frauenspezifische) Teilzeitmöglichkeiten. Darüber hinaus können Ambulatorien durch sieben Tage Öffnungszeiten jene Verlagerung weg von den Spitälern hin zum ambulanten Bereich erzielen, die die erstrebenswerte Kinderversorgung zu Hause unterstützt und die Spitäler entlastet. Die Möglichkeit, passende Arbeitszeitkonzepte umzusetzen, wäre auch in andere Fachbereiche skalierbar.

5. Die To-do-Liste für Ärztekammer und Politik ist lang, aber machbar: Zur Umsetzung der oben genannten Lösungen müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Bemerkenswert sind die Widerstände seitens der Ärztekammer, auf die man bisher bei der Suche nach guten Lösungen stößt. Der Gesamtvertrag mit den Krankenkassen ist in vielen Bereichen kein taugliches Mittel mehr. Um die Versorgung der Kinder zu gewährleisten, braucht die Kindermedizin eine solide finanzielle Basis, die durch Bund, Länder, Gemeinden, die Österreichische Gesundheitskasse und auch private Sponsoren gewährleistet wird.

Das KIZ Augarten (dessen ärztlicher Leiter der Autor ist, Anm.) zeigt seit 15 Jahren den gelungenen Weg zur Versorgung von Kindern mit einem interdisziplinären Team aus Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten, Krankenschwestern, Ordinationshilfen und Medizinstudierenden, siebe Tagen die Woche. Warum werden solche Erfolgsmodelle nicht rasch flächendeckend umgesetzt bzw. die politischen Rahmenbedingungen dafür erleichtert? Die Aufgabenstellung, aber auch Lösungsansätze und gelebte Modelle sind da, es gilt diese endlich umzusetzen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

„Die Presse“, Print-Ausgabe (22. 07. 2023)

Philipp Monihart

Der Autor

Medizinalrat Helmuth Howanietz (* 1959) ist Kinderarzt in Wien.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.