Februar 1938: Der "Ständestaat" Schuschniggs ergibt sich

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Der katholische Verbindungsmann zu den Nazis, Seyß-Inquart, wird neuer Innen- und Polizeiminister. Österreichs Bundeskanzler, Kurt Schuschnigg, hat sich dem Diktat Hitlers beugen müssen.

Wien, 16.Februar 1938. Das Radioprogramm des Tages beginnt pünktlich wie immer um 6.45Uhr: Turnen mit Eugen Baumgart. 7Uhr dann die ersten Morgennachrichten. Um zwei Uhr früh hat die Amtliche Nachrichtenstelle eine Regierungsumbildung bekannt gegeben: Bundeskanzler bleibt der christlich-soziale Jurist Dr. Kurt v. Schuschnigg, Vizekanzler der Feldmarschallleutnant Ludwig Hülgerth. Wichtigste Neubesetzung: Der katholische Verbindungsmann zu den Nationalsozialisten, der Gersthofer Rechtsanwalt Artur Seyß-Inquart, wird neuer Innen- und Sicherheitsminister. Sein Vorgänger, der national-konservative Edmund Glaise-Horstenau, bleibt im Kabinett als Minister ohne Portefeuille.

In einem Nebensatz wird auch noch erwähnt, dass um drei Uhr früh ein „Amnestiegesetz“ erlassen worden sei und die neue Regierung von Bundespräsident Miklas bereits angelobt wurde.

Was war geschehen?

Schuschnigg war am 12.Februar zutiefst gedemütigt von seiner „Aussprache“ mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden nach Österreich zurückgekehrt. Von einer Aussprache zwischen zwei Regierungschefs konnte keine Rede sein. In einer emotionsgeladenen Suada hatte der deutsche Reichskanzler dem österreichischen Kollegen die Aufnahme von Nazis in sein Kabinett abgepresst, desgleichen eine Amnestie für eingesperrte Nationalsozialisten. Die Alternative lag klar auf der Hand: sofortiger Einmarsch deutscher Truppen und totale Machtübernahme durch das NS-Regime.

Schuschnigg, der nikotinabhängig war und dem Hitler daher den ganzen Tag über das Rauchen untersagt hatte, kam als gebrochener Mann nach Wien zurück. Hatte er nicht alles versucht, um einerseits den „großen Bruder“ stillzuhalten, nicht zu reizen? Und anderseits eine Teilsouveränität Österreichs zu retten? An die Chimäre, als besserer „zweiter deutscher Staat“ einer besonderen Sendung zu folgen, daran glaubten freilich nur Schuschnigg und engste Weggefährten. Bundespräsident Miklas war da wesentlich hellsichtiger und realistischer. Und daher skeptisch.

Ein enger Dollfuß-Mitstreiter

Der 1898 in ein kleinadeliges Milieu geborene Rechtsanwalt Schuschnigg, erzogen im Jesuitengymnasium Stella Matutina in Feldkirch, war 1927 der jüngste Nationalratsabgeordnete, natürlich christlichsozial und CVer. Die familiären Wurzeln ragten nach Slowenien hinein („Šušnik“).

Den „Ständestaat“ von Engelbert Dollfuß hatte er mitkonzipiert. Schon 1932 zitierte ihn ein Ministerratsprotokoll mit der Wortmeldung, „die Regierung stehe [...] vor der Entscheidung, ob sie es weiter verantworten könne, mit dem Parlament zu arbeiten und ob der nächste Kabinettswechsel nicht gleichbedeutend mit der Ausschaltung des Parlaments sein müsste“.

Hart gegen die Aufständischen

Als Justizminister stand er 1934 am Scheideweg. Nach dem kurzen Bürgerkrieg im Februar weigerte er sich, dem Bundespräsidenten Gnadengesuche von Februarkämpfern vorzulegen, obwohl selbst Kardinalerzbischof Theodor Innitzer darum bat. Vielmehr ließ er, um die Kämpfe schneller zu beenden, acht Todesurteile sofort vollstrecken, darunter war auch der verletzte Karl Münichreiter. Der solcherart als „Arbeitermörder“ Gescholtene tat Münichreiters Exekution Jahrzehnte später in einem TV-Gespräch als „Fauxpas“ ab. 300 Tote hatte dieser Februaraufstand gefordert und 10.000 Verhaftete, die seitdem in den Gefängnissen und Anhaltelagern auf Rache sannen.

Am 29.Juli 1934 musste Schuschnigg an die Spitze der Regierung treten, als Dollfuß von österreichischen Nazis ermordet worden war. Mit 36 Jahren war er der jüngste Bundeskanzler. Seine Dienstwohnung hatte er zunächst im Augarten-Palais, dann im Seitenflügel des Oberen Belvederes.

Seitdem regierte er – wie zuvor schon Dollfuß – diktatorisch unter Berufung auf ein altes Notverordnungsrecht, das noch aus der Monarchie stammte. Alle politischen Parteien waren schon unter seinem Amtsvorgänger verboten worden, die Sammlungsbewegung hieß „Vaterländische Front“ und deren „Frontführer“ hieß Schuschnigg, der mit „Front Heil!“ grüßte. Der Berliner NS-Reichstagspräsident, Hermann Göring, der im März 1938 eine tragende Rolle spielen sollte, spottete in einem Brief an Gesinnungsfreunde über Schuschnigg und dessen „VF“: „Österreich macht alles genau dem deutschen Nationalsozialismus nach. [...] Man braucht nur statt des Kruckenkreuzes das Hakenkreuz zu setzen und statt des Wortes ,vaterländisch‘ das Wort ,nationalsozialistisch‘, so wäre Österreich das lebendige Spiegelbild von Deutschland.“

Das freilich lag nicht in Schuschniggs Absicht. Er wollte ein betont patriotisches Österreich als Gegengewicht zu Deutschland. Und dem standen seiner Meinung nach die „vaterlandslosen Gesellen“, die Sozialdemokraten, im Wege. „Der Sozialismus hat unter der Parole der Freiheit der Zügellosigkeit Tür und Tor geöffnet. Solche Entartungen führen zu Vergiftungserscheinungen des jungen Volkes.“

Die „Geistesbildung“ in den Schulen übernahmen katholische Priester, der Besuch der Schulmessen war verpflichtend, eine schlechtere „Sittennote“ drohte sonst. Wer aus der Kirche austreten wollte, musste nach einem Erlass Schuschniggs vom August 1933 seinen gesunden Geisteszustand nachweisen.

Die Kirchenfeindlichkeit der Linken wurde dadurch weiter angestachelt. Die Sozialdemokraten verteidigten zwar die republikanische Verfassung von 1920 und den Parlamentarismus; die „bürgerliche Demokratie“ aber sahen sie nur als Durchgangsstadium: „Demokratie, das ist nicht viel / Sozialismus heißt das Ziel“, skandierte man bei den Maiaufmärschen.

Auf den wahren Feind vergessen

Über dem tiefen Hass gegeneinander vergaßen die beiden großen Lager den eigentlichen Feind, der nicht nur im Norden lauerte, sondern in Österreich längst alle Institutionen unterwandert hatte – den Nationalsozialismus. Selbst in höchster Not, kurz vor dem Einmarsch deutscher Truppen im März 1938, weigerte sich Schuschnigg, mit Exponenten der Arbeiterschaft in Gespräche einzutreten. Fortsetzung nächsten Samstag

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2013)

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