Auch Zwerge haben Fäuste

Langjähriger Hauskarikaturist der „Presse“ und Erbauer von ORF-Zentren: „Der Doppelgänger“ eben. Gustav Peichl erzählt von seinem erfüllten Leben: Ironimus – eine Biografie.

Er hat, sagt er, nie gegen die Blattlinie gezeichnet. Gegen die Linie „seines“ Blattes, versteht sich. Die Feststellung überrascht mich. Kam er, der Doppelgänger, der Mann, der gleichzeitig Karikaturist von Gnaden und Architekt von höchstem Rang war und ist, kam Gustav Peichl, kam Ironimus je in Versuchung (um nicht zu sagen: in Verdacht) gegen eine Linie zu zeichnen, die im Grunde ja auch seine eigene war?

Der Doppelgänger. Ein guter Titel, in der Tat. Peichl, der Architekt, Ironimus, der Karikaturist. Liebenswürdig, freundlich, umgänglich. Aber als einer, der viele Jahre lang für die Linie des Blattes, seines Blattes, unseres Blattes, der „Presse“, verantwortlich war, darf ich verbessern. „Die Presse“ ist liberal-konservativ. Peichls Zeichnungen sind liberal-konservativ. Seine Bauten sind ebenso liberal, wie man sie konservativ nennen könnte. Freilich: Was ist konservative Architektur?

Und zudem: So liberal ist er gar nicht, derDoppelgänger. Robert Fleck, der Kunsthistoriker, hat aufgezeichnet, was Gustav Peichl schrieb, erzählte, berichtete, von sich gab. Aufgezeichnet? Sagen wir: zu Papier gebracht,ergänzt durch biografische Details. Diese Biografie erstaunt selbst die Kenner und Freunde. Wer wusste, dass Ironimus, der die Geschichte der Zweiten Republik mit dem Zeichenstift verfolgt, dessen Bauten in Österreich und Deutschland als Marksteine gelten können – wer wusste, dass er geborener Böhme ist, in Mährisch-Trübau aufgewachsen, dass ihm später in Linz nach der Matura an der Bundesgewerbeschule der Beruf eines Baumeisters „mühsam und langsam schien“, weshalb er an die Akademie der bildenden Künste in Wien wechselte. „So bin ich Architekt geworden.“

Und nicht nur das. Holzmeister-Schüler, Rainer-Schüler, schließlich Leiter der Holzmeister-Klasse: „Das war schon eine Sache, als Professor in die Klasse zu gehen, in der man selbst studiert hatte. Als Student das erste Mal hinein in die Akademie, als Lehrer zum zweiten Mal, später als Rektor zum dritten Mal.“

Man hört ihn sprechen, plaudern, erzählen. Ein Doppelgänger fürwahr. Die Verwandtschaft von Architektur und Karikatur sei die Vereinfachung von Dingen, so wie das Ordnen und stimmige Ineinandergreifen von Aufgaben, sagt Peichl alias Ironimus. Er hat Karikaturen gezeichnet, bevor er zu bauen begann, hat damit für seine Familie finanziell gesorgt. Er war mit den „Cliquen“ zusammen, die in den Fünfzigerjahren die österreichische Kunst in ihren Anfängen bestimmten, diese Jahrgänge von 1928 bis 1932, die im „Strohkoffer“ saßen und im Café Hawelka, die auch Otto Mauer in seiner „Galerie St. Stephan“ um sich versammelt hatte. Es waren die Stürmer und Dränger damals, in einer Zeit, die von Spät- und Nachgeborenen fälschlicherweise als verstaubt und verknöchert bezeichnet wird. Nichts weniger als das!

Gustav Peichl hat später nicht nur die ORF-Landesstudios oder die Bühne für den Papstbesuch 1983 gebaut, um nur einige seiner österreichischen Marken zu nennen. In Deutschland schuf er die Kammerspiele München, das Städelmuseum in Frankfurt am Main, er hat die Dachlandschaft der Bundeskunsthalle in Bonn entworfen. Für uns, für mich aber ist er vor allem Ironimus, der Karikaturist, freundlich, liebenswürdig. Es gäbe viele Leute, sagt er, die ihn für zu wenig scharf, sauer, böse halten. Ironimus widerspricht und nennt ein Gegenbeispiel seiner Branche: „Manfred Deix ist ein großartiger Mann. Aber bei ihm muss alles überzeichnet sein und jedes Geschlechtsteil gezeigt werden. Das bin ich nicht und will ich auch nicht sein. Ich kann auch hart mit den Leuten und den Dingen umgehen, aber mein Anliegen ist, nie gemein und vulgär zu sein.“

Das war er wirklich nie, seit er 1954 für die „Presse“ zu zeichnen begonnen hatte. Seine Karikaturen erschienen in vielen deutschsprachigen Blättern, „Hauskarikaturist“ der „Presse“ blieb er aber bis heute. Julius Raab und Bruno Kreisky waren einige seine Lieblingsmodelle. Wieso er seine Figuren immer treffender zeichne, je länger die Zeit vergehe, wollte ich einmal von ihm wissen. Weil im Alter jene Merkmale zum Vorschein kommen, die nur der Karikaturist sehe, sagte er mir. Er hat nicht zuletzt den „Tiger“ geschaffen – Gerd Bacher, zu dessen erstmaliger Nominierung als ORF-Generalintendant. Tu den Tiger in den Schirm! Die Ära Bacher, mit Ironimus eng verbunden, ist vorüber, nicht die von jenem, der den Tiger erfunden hat. Hätte er heute in der Korruptionsflut viel zu zeichnen? „Der Karikaturist deckt auf, die Karikatur macht sichtbar. Die meisten Leute leben in den Tag, es passieren viele Dinge, die sie nicht bemerken oder nicht wissen. Heute gibt es die Aufdeckerjournalisten, hoch gelobt als investigative Schreiber. Sie machen es ganz anders. Sie kaufen vertrauliche Akten oder bekommen sie zugespielt.“ Das, so Ironimus, sind keine Aufdecker, sondern Schnüffler. Aber die wahren Aufdecker, die Sichtbarmacher: „Das sind die Karikaturisten.“

Er sei vom Naturell her „ein komischer Mensch: faul und bequem, aber gleichzeitig fleißig“, liest man. „Meine Faustregel oder persönliche Spintisiererei war immer: Was ist wichtig? Das musst du machen. Was ist unwichtig? Das machst du nicht.“ Eine Sammlung der Ironimus-Karikaturen von 1954 bis heute ist ein Katalog des Wichtigen in der neueren Geschichte, in der österreichischen und auch in jener der Welt.

Aber ist Ironimus, der Liebenswürdige, am Ende ein Pessimist? „Was sich politisch bei uns begibt, ist ja wirklich fürchterlich“, endet das Buch. Noch einmal: Es heißt „Der Doppelgänger“. Peichl, der Architekt, kann als Ironimus, der Karikaturist, die in ihm lebende Spur von Austromasochismus nicht verleugnen. Es gäbe, sagt er, eine gewisse Überheblichkeit gegenüber Österreichern, wenn man in Deutschland arbeitet, „aber das brauchen die Österreicher. Wir sind gern Zwerge, weil auch Zwerge haben Fäuste.“ Hopp auf! ■




Gustav Peichl
Der Doppelgänger

Architekt und Karikaturist. Hrsg. von Robert Fleck. 200S., geb., €24,90 (Böhlau Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2013)

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