Vom laufenden Updaten des laufend Upgedateten

Er weiß bis auf die fünfte Dezimale, dass das mit Zypern nicht für die Ewigkeit gewesen sein wird: Toll, oder?

Er ist immer aktuell. Brandaktuell. Stets auf dem neuesten Stand der Dinge. Er dated das Upgedatete laufend up, stündlich, minütlich, sekündlich. Ja, man könnte sagen, er ist seiner Zeit aktualitätsmäßig voraus. Kaum erst war Zypern vorm Bankrott gerettet – was schon wieder, „panta rhei“, alles fließt, eine halbe Ewigkeit her ist –, da wusste er bereits, dass das nicht für die Ewigkeit sein wird. Ist das nicht toll?

Er lebt nicht bloß am Rand zur Zukunft, sondern regelrecht mitten drinnen in der Vorzukunft. Was morgen sein wird, das kann ja heute jedes halbwegs leistungsfähige Smartphone mit einem Future-App, das an einen halbwegs leistungsfähigen Großrechner angeschlossen ist, bis auf die fünfte Dezimale genau voraussagen. Was aber nicht nur morgen sein wird, sondern übermorgen gewesen sein wird, das ist die Kunst der vorzukünftigen Superaktualität, und die beherrscht er, dank der Kooperation seines Supersmartphoneproviders mit der Future-Agency „Wormholes“ aus dem Effeff.

Er weiß bis auf die fünfte Dezimale genau (die er aufrundet, bloß keine Kommaprognosen, das ist bloß etwas für die sogenannten Wirtschaftswissenschaftler, die sich immer hinterm Komma verschanzen, weil sie vor dem Komma garantiert danebenhauen), dass das mit Zypern nicht für die Ewigkeit gewesen sein wird. Toll, oder? Und dabei zeigt er keine Spur von Gegenwartsidiotentum. Im Gegenteil, er hat sich mit unserer humanistischen Vergangenheit aufgeappt, wobei das Althumanistische, das gerade entdeckt worden sein wird, besonders brandaktuell ist.

Zum Beispiel: Eben erst ist entdeckt worden, dass Senecas Gemeinspruch „Ducunt volentes fata, nolentes trahunt“ (Es führt das Schicksal die Willigen, die Unwilligen schleppt es mit sich) in Francesco Guicciardinis „Storia d'Italia“, 1537–1540, ursprünglich gar nicht enthalten war, da weiß er bereits, dass demnächst entdeckt worden sein wird, dass Seneca in seinen „Epistulae morales ad Lucilium“, 62–64, eigentlich hatte sagen wollen: „Ducunt nolentes fata, volentes trahunt“, was zwar auf dasselbe hinauskommt, aber doch einen himmelhohen Unterschied macht. Mit Zypern hat dies eine Menge, wenn nicht überhaupt alles zu tun, denn falls das Schicksal die ins Verderben führt, die partout nicht wollen, dann kann es jedenfalls nichts schaden, falls es auch die zieht, die ohnehin wollen!

Er, der Brandaktuelle, den ich mit seinem superaufgeappten Supersmartphone an der Bushaltestelle getroffen habe, würde mir das alles – wir sind ja Kollegen – ganz genau erklären, diese ganze brandaktuelle Methode der Vergangenheitsbrandaktualisierung zur Überwindung der futurischen Zeitschranke, aber er hat gerade bemerkt, dass, wenn er sich jetzt mit mir verplaudert, eine Hundertschaft an Aktualisierungen hereingekommen sein wird, die dann schon wieder inaktuell sein werden, überholt, reif fürs Deleten, und davon hätten wir beide nichts, oder?

„Außerdem“, wage ich nun, terminlich gepresst, möglichst rasch einzuwerfen, „wird gleich der Bus kommen, falls er sich nicht wieder verspätet.“ Da belehrt mich der Brandaktuelle zwischen zwei Kontrollblicken auf das immerfort blinkende Display seines Supersmartphones: „Der Bus wird gleich kommen, ob er sich nun verspätet haben wird oder nicht.“ Jetzt bin ich echt beruhigt, obwohl mich Seneca angesichts der Masse der sich rund um die Haltestelle angestaut Habenden nolens volens ein wenig beunruhigt: Ducunt volentes fata, nolentes trahunt... Wie soll man da einen Sitzplatz ergattern?


E-Mails an: peter.strasser@uni-graz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2013)

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