Weiser zu 2005: Viel gerühmtes Österreich!

"Man kann einem Kind ja auch Latein beibringen - warum nicht das Jahr 1945?" Peter Weiser über Heimat, Patriotismus und Phrasen.

Ein Gespräch mit Peter Weiser, der im Komitee der Gedenkausstellung im Belvedere ist.

Die Presse: Welche Erinnerungen haben Sie an die Nachkriegszeit?

Peter Weiser: Ich bin aus Mödling, das war in der Russen-Zone. Aber mit 19 kennt man keine Angst. Ich kann mich vor allem daran erinnern: Wenn man um acht Uhr eine Vorlesung auf der Universität hatte, musste man um sechs aufbrechen. Öffentliche Verkehrsmittel gingen nicht regelmäßig. In dieser Zeit konnte man unglaublich viel lesen. Ich habe damals den ganzen Aristophanes und den ganzen Sophokles gelesen.

Was wird man in der Ausstellung sehen?

Weiser: Die Entwicklung Österreichs vom Zerfall der Donaumonarchie bis heute, illustriert mit moderner Ausstellungstechnik. Es geht um Symbole, die für jedermann lebendig und verständlich sind. Heute arbeitet man ja sehr viel mit Licht, Elektronik. Da gibt es zum Beispiel eine rotweißrote Fahne mit beschriftetem weißem Feld, die geht durch die ganze Ausstellung, alle Räume, klettert über Türstöcke. Es gibt Zauber-Tische, wo man digital alles Mögliche abrufen kann: über Politik, Trachten, Essgewohnheiten, Daten, Personen. Ein wichtiges Kapitel wird sich mit Wirtschaft befassen, die wesentlich beigetragen hat, dass aus dem Staat, den keiner wollte, der Ersten Republik, ein Staat wurde, den jeder wollte.

Das Palais als Kulisse ist sehr dominant.

Weiser: Ja. Die Bilder können nicht entfernt werden wegen der elektronischen Sicherung. Die Ausstellung muss daher in das Belvedere integriert werden. Es wird eine Kunstspur geben in der Schau. Wir haben den ganzen oberen Stock, die Bilder werden als Illustration des Geschehens benützt.

Was halten Sie von den Projekten im öffentlichen Raum, die von Georg Springer und Wolfgang Lorenz betreut werden?

Weiser: Das ist eine Parallelaktion im Sinne Robert Musils. Der Bundeskanzler wollte Kunst oder Aktionen im öffentlichen Raum. Ich zerbreche mir darüber nicht den Kopf. Wir denken nur an das, was wir machen. Ich weiß auch nichts Näheres darüber. In Graz war die Kunst im öffentlichen Raum ein Riesenerfolg. Wie nachhaltig das ist, weiß ich nicht. Erdäpfel am Heldenplatz - nun, man wird sehen, was der Prinz Eugen dazu sagt.

Können sich heutige Schüler überhaupt noch etwas vorstellen unter dieser Zeit?

Weiser: Nein, darum muss man es ihnen nahe bringen. Man kann einem Kind ja auch Latein beibringen, warum nicht auch das Jahr 1945. Da bin ich optimistisch.

Gibt es heute noch Patriotismus?

Weiser: Wenn Sie jemanden fragen: Ist Heimat dort, wo du begraben werden willst, sagt er sofort: Ja. Vor 80 Jahren hätte man gesagt: Ist Heimat das, wofür du bereit bist zu sterben? Da wird man heute kaum mehr jemanden finden, der Ja sagt. Was ist Heimat in einer Zeit der Globalisierung? Das Land, in dem man leben möchte? Wo man seine Frau gefunden hat? Prof. Bruckmüller hat ein Buch mit einer Umfrage herausgegeben, da antworten Leute auf die Frage: Worauf sind Sie in Österreich am meisten stolz? Weitaus vorrangig wird die Natur genannt, Berge, Seen, die Landschaft, die Städte, die Sauberkeit. Das ist identisch mit der Bundeshymne: Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome. Das Nächste ist dann Kunst und Kultur. Das dritte: der Ruf, den Österreich genießt. Und diese Umfrage wurde unmittelbar nach den EU-Sanktionen gemacht. Das war den Leuten wurscht.

Bei diesem Jubiläum werden schon auch viele Phrasen gedroschen, wenn man etwa an die Parlamentssitzung jüngst denkt . . .

Weiser: So? Ich war dabei. Ich fand das sehr würdig. Wenn man weiß, was Politiker sonst reden, waren es gar nicht so viele Phrasen. Ich war zufällig zu den Feiern von 1789 in Frankreich. Was die Franzosen bei solchen Gelegenheiten treiben, das ist furchtbarer Kitsch: Gloire, Honneur! Das gibt es in Österreich nicht. Dabei hat sich Österreich möglicherweise in seiner Geschichte mit mehr Ruhm bedeckt als Frankreich. Unser Problem ist, dass wir alle Kriege verloren haben, darum fällt das nicht auf.

Die Popularität von Politikern wie Raab, Figl scheint mir aber schon ungleich größer zu sein als jene der Politiker heute.

Weiser: Das ist in jedem Land so, Adenauer hat man mehr geglaubt als Schröder, dem Churchill mehr als dem Blair, dem Roosevelt mehr als dem Bush. In Notzeiten klammert sich der Einzelne viel mehr an die Regierenden. Das Erleben von Not, Krieg und Schrecken formt auch andere Leute.

Wie kommt man zu einer so angenehmen Beschäftigung wie Jubiläen vorbereiten?

Weiser: Ich war 2003 bei einem Rostropowitsch-Konzert im Musikverein. Danach hat er gesagt, gehen wir in ein italienisches Lokal, ein paar Cellisten kommen auch mit, einer dieser Cellisten war Wolfgang Schüssel. Er ist sehr musikalisch. Ich habe dann gehört, dass im Künstlerhaus eine große Ausstellung zum Staatsvertrag stattfinden soll. Sie ist nicht zustande gekommen. Da habe ich Schüssel einen Brief gesandt, auch Pröll und Häupl. Androsch, Herbert Krejci und ich haben dann an 400 Personen geschrieben: "Wir finden, so eine Ausstellung muss es geben. Wir bitten um Unterstützung." 380 Leute haben geantwortet. Darauf hat uns Schüssel zu einem Gespräch gebeten. Wir haben unsere Vorstellungen dargelegt, und er hat zugestimmt. Krejci und ich sind übrigens die Einzigen, die beruflich mit dem Staatsvertrag zu tun hatten. Er war damals im Kurier, ich beim Sender Rot-weiß-rot. Wir haben Staatsvertragssendungen fürs Ausland gemacht.

Haben Sie ein spezielles Aufgabengebiet?

Weiser: Krejci und ich betreuen österreichische Identität, Klischee und Wirklichkeit.

Gibt es eine österreichische Seele?

Weiser: Natürlich, lesen Sie nach bei Wildgans und Ernst Lothar. Die Seele ist der Gesellschaft abhanden gekommen, aber es gibt sie. Karl Kraus hat gesagt, Österreich unterscheidet sich von Deutschland durch die gemeinsame Sprache. Es gibt noch andere Unterscheidungen. Bei einem Fußballmatch Deutschland gegen Italien werden die Österreicher immer auf Seiten der Italiener sein. Österreicher und Deutsche sind in vielen Dingen verschieden: Österreicher sind kritischer, haben mehr Humor, sind intriganter bzw. intrigieren schlauer. Österreicher sind weltoffener, das hat mit unserer Vergangenheit zu tun. Es gibt ein großartiges Buch von Christoph Allmayer-Beck, "Imago Austria", über das territoriale und das ideelle Österreich. Das territoriale Österreich ist klein, das ideelle reicht weit nach Ost und West, nach Spanien, Mexiko, Konstantinopel. Karl V. sagte: In meinem Reich geht die Sonne nicht unter. Ein Hauch davon ist geblieben.

Das Paradebeispiel eines Menschen mit einer österreichischen Seele ist für mich Erhard Busek, er versteht das umzusetzen, politisch und kulturell. Ich halte auch den Androsch für einen bedeutenden Österreicher.


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