Wiener Blut

Die Folgen. Der "Wiener Aktionismus" beschäftigt österreichische Künstler auch heute noch.

W
as kann heute noch schockieren in der Kunst? Fast nichts, möchte man meinen. "Heute leben wir in einer Zeit, in der bewusst Grenzen überschritten werden", analysierte Günter Brus in einem "Presse"-Interview 2004. "Aber das regt niemanden mehr auf, außer den biederen Spießer." Doch diese scheinen ja nie auszusterben - ein Glück für professionelle Provokateure wie Christoph Schlingensief, aber auch die Wiener Gruppe "Gelatin", die vor zwei Jahren mit ihrem "Arc de Triomphe" für den bislang letzten massenmedial aufbereiteten "Kunstskandal" in Österreich sorgten: Der überlebensgroße Plastilin-Mann, der sich vor dem Salzburger Festspielhaus hintübergebeugt selbst in den Mund pinkelte, musste auf behördlichen Befehl hin eingehaust werden.

Dasselbe Akrobatenstück von den vier Gelatin-Jungs bei der Londoner Kunstmesse "Frieze" dann live nachgestellt, sorgte nur mehr für ausgelassene Retro-Happening-Stimmung. Ein unbekümmerter Rückgriff auf den Wiener Aktionismus? "Gute Kunst" bedeutet heute eben meist auch "gut zitiert". Nur die Quellen sollten nicht verleugnet werden, meint Brus: "Der Aktionismus ist die am meisten bestohlene Kunstform."

"Stehlen" als Konzept, die totale Aneignung populärer Bilder betreibt die 1987 gegründete, ebenfalls vierköpfige Grazer Künstlergruppe G.R.A.M.: Vor drei Jahren stellte sie für den Zyklus "Wiener Blut" detailgetreu die berühmtesten Aktionsfotos von Mühl, Nitsch, Brus, Schwarzkogler, Weibel und Export nach. Ein Tabubruch innerhalb der ikonenhaften Verehrung der einstigen Tabubrecher.

Mehr um Abgrenzung bemüht ist Elke Krystufek, deren Arbeit eindeutig in der Tradition der Wiener Aktionisten steht. 1970 in Wien geboren, wurde sie vor mittlerweile schon fast zehn Jahren mit einer öffentlichen Masturbations-Aktion in der Kunsthallen-Ausstellung "Jetztzeit" bekannt. Krystufeks schonungslose Präsentation des eigenen Körpers in Malerei, Video, Installation entlarvt das Konstrukt des weiblichen Schönheitsideals samt aller Schattenseiten wie Bulimie. Krystufek zählt heute zu den international anerkanntesten Positionen österreichischer Gegenwartskunst.

Die Frauen. Außer Valie Export scheinen sie im Umfeld des "Wiener Aktionismus" eine unbekannte Größe gewesen zu sein. "Frauen kamen in der Kunst dieser Zeit nun einmal wenig vor", meint MAK-Chef Peter Noever. Carola Dertnig, 1963 in Tirol geboren, wollte es genauer wissen. Für eine Ausstellung in der Secession 2004 interviewte sie vor allem Augenzeuginnen der Uni-Aktion "Kunst und Revolution" von 1968. Aus diesem Material stellte Dertnig, die selbst Ausstellungen zur Performancekunst kuratiert und das feministische Netzwerk "a room of one's own" initiiert hat, einen intensiven anonymen Monolog zusammen. Frauen haben sehr wohl dazugehört, meist als Modelle, erzählt Dertnig, viele waren auch Näherinnen. Nicht zu unterschätzen sei die finanzielle Unterstützung der Aktionen durch die Frauen gewesen. Ein Auszug aus dem Monolog: ". . . ich glaube überhaupt, dass wir in der ganzen Geschichte sehr viel finanzieren und finanziert haben, ohne uns würde es ja gar nicht gehen . . ."


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