Österreich ist kein „unzuverlässiger Kantonist“!

Seit dem politischen Entschluss, das Golan-Kontingent abzuziehen, mischen sich beleidigende Aussagen über unsere Blauhelme in die Diskussion. Aber es besteht keine Gefahr, dass Österreich bei UNO-Friedensmissionen nicht mehr mitmacht.

Was ist los mit der öffentlichen (veröffentlichten?) Meinung über Qualität und Verlässlichkeit unserer Auslandseinsatzsoldaten? Warum beleidigende und herabsetzende Attribute wie „feig“, „Weicheier“, „Warmduscher“ oder „nicht krisenresistent“? Als besonders dominant bei der Vertretung dieser Meinung haben sich manche Kommentatoren, vor allem aber Beiträge in den sozialen Netzwerken erwiesen.

Was ist da passiert seit der letzten Bundesheerleistungsschau zum Nationalfeiertag auf dem Heldenplatz mit „eintägigem Nationalstolz auf unsere Soldaten“? Ist das Bundesheer nur ein Schönwetterinstrument und gern adressierter Inhalt bei Sonntagsreden?

Bitte Diskussion versachlichen!

Bedauerlicherweise mischen sich seit dem politischen Entschluss, unser Golan-Kontingent abzuziehen, beleidigende Aussagen in die Diskussion. Ich weise solche unqualifizierten Meinungsäußerungen namens des österreichischen Generalstabes scharf zurück und ersuche dringend um Versachlichung der Diskussion.

Das österreichische Kontingent, das unter zunehmend schwieriger werdenden Bedingungen unter Einsatz von Leben und Gesundheit seinen Auftrag erfüllt, hält solche unsachlichen Kommentare mit Recht für entbehrlich.

Vor dem Hintergrund aktueller kritischer Stimmen aus dem Ausland ist festzuhalten, dass das in Relation zu seiner Größe weit überproportionale Engagement Österreichs im internationalen Krisenmanagement bisher bei jeder sich bietenden Gelegenheit von eben diesen internationalen Akteuren gelobt worden ist.

Was bleibt daher im Gedächtnis? Eine jahrzehntelange akklamierte und verlässliche Beitragsleistung zu den UNO-Friedensmissionen? Oder eine Einstufung als „unzuverlässiger Kantonist“? Österreich hat sich seit 53 Jahren mit mehr als 120.000 Soldaten in 90 Missionen beteiligt; es hat 51 Tote zu beklagen, davon allein 23 im Nahen Osten!

Zur Erläuterung des Hintergrundes der jüngsten Entwicklungen rund um die Golan-Mission: Österreich beteiligt sich seit 1974 an der Friedensmission der Vereinten Nationen auf dem Golan. Ausgangspunkt war eine Waffenstillstandsvereinbarung zwischen den kriegführenden Streitparteien Israel und Syrien, nach der eine Pufferzone mit genau detaillierten Regeln und Befugnissen der UN-Soldaten einzurichten war.

Dabei wurde zwischen einer unmittelbaren Kernzone, der „Area of Separation“ (AOS), und zweier „Areas of Limitation“ (AOL) unterschieden. Während sich innerhalb der AOS keine militärischen Kräfte der beiden Streitparteien aufhalten dürfen, sind innerhalb der AOL zahlenmäßig sowie nach tät der Ausrüstung streng limitierte Truppenteile zugelassen.

Waffen nur zur Selbstverteidigung

Die UNO-Soldaten hatten dabei über 37 Jahre die Einhaltung der Waffenstillstandsvereinbarungen zu überprüfen und allfällige Verletzungen durch die Streitparteien nach New York zu melden. Die Soldaten waren auftragskonform nur mit leichter Infanteriebewaffnung (Gewehr und Pistole) zum Zwecke der Selbstverteidigung zu entsenden und für andere, anspruchsvollere militärische Aufgabenstellungen weder mandatiert noch ausgerüstet.

Nun tobt seit nahezu zwei Jahren in Syrien ein Bürgerkrieg, der sich zunehmend in den vergangenen sechs Monaten auch in den Einsatzraum der UN-Soldaten ausgebreitet hat. Diese sukzessive Lageverschärfung manifestiert sich in regelmäßigem Beschuss – beabsichtigt oder nicht – von UN-Positionen seitens der Bürgerkriegsparteien, Entführung und Entwaffnung von UN-Soldaten sowie Zerstörung von UN-Beobachtungsposten und somit der schwindenden Möglichkeit, den gegebenen Beobachtungsauftrag überhaupt noch erfüllen zu können.

Keine „Hüftschussaktion“

Die Blauhelme verbringen zahllose Stunden in Schutzräumen, die Patrouillentätigkeit ist massiv eingeschränkt. Zur Verbesserung des Truppenschutzes brachte Österreich eine Anzahl von Radpanzern in den Nahen Osten, aber die syrischen Behörden verweigern seit Monaten deren Einführung und Verwendung in der Zone.

Österreich hat dabei seit mehr als einem Jahr auf höchster politischer Ebene und mit entsprechendem Nachdruck mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Anpassung der Auftragserteilung an die Soldaten sowie eine bessere Ausrüstung und Ausstattung zur Auftragserfüllung notwendig seien. Auch der Beschluss der EU, das Waffenembargo gegenüber Syrien nicht zu verlängern, hat die Situation verschärft und wurde nachhaltig vom Außenminister in die Diskussion eingebracht. Der allgemein artikulierte Vorwurf, Österreich ziehe seine Truppen überfallsartig, in einer Art „Hüftschussaktion“ vom Golan ab, geht somit ins Leere.

Noch einmal: Österreich hat über einen längeren Zeitraum mehrfach und auf höchster politischer Ebene entsprechende Maßnahmen zur Gewährleistung der Auftragserfüllung eingemahnt, diese wurden jedoch bis dato nicht umgesetzt.

Die am 6. Juni eskalierenden Kampfhandlungen unter Einsatz schwerer Waffen wie Panzer und Artillerie waren somit nur ein weiterer Höhepunkt in der sich drehenden Eskalationsspirale. Und noch einmal: Österreich verlässt den Golan keineswegs unerwartet und überfallsartig, sondern nimmt den geordneten Abzug vor.

Weiters wird derzeit auch öffentlich die Frage diskutiert, ob der Abzug aus der Golan-Mission nicht nur ein erster Schritt einer Rückzugsbewegung sei und als nächstes ein Abzug der österreichischen Soldaten aus dem Libanon zu erwarten wäre.

Österreicher bleiben im Libanon

Dem ist natürlich nicht so. Im Libanon stehen 12.000 UN-Soldaten, Kampftruppen mit schwerem Gerät und einem sogenannten robusten Auftrag. Österreich beteiligt sich hier seit November 2011 mit bis zu 180 Soldaten, und es gibt derzeit keinerlei Überlegungen, sich aus dieser Mission zurückzuziehen, weil hier Mandatsauftrag, Mittel und Schutzbedürfnis in einem stimmigen Einklang stehen.

Es besteht somit keine Gefahr, dass sich Österreich aus dem Auslandsengagement bei Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen zurückziehen könnte – ganz im Gegenteil: Die neue Sicherheitsstrategie spricht hier eindeutig von einer zukünftig verstärkten internationalen Kooperation durch Beteiligung österreichischer Soldaten an Friedenseinsätzen.

Man sei also bitte fair und zivilisiert in der Beurteilung der Qualität, Handlungsfähigkeit und Auftragstreue der österreichischen Soldaten bei der Erfüllung internationaler Verpflichtungen, welche die Republik Österreich eingegangen ist!

Zum Autor

Generalmajor Christian Segur-Cabanac (* 1948 in Wien), derzeit agierender Generalstabschef. Er absolvierte von 1968 bis 1971 die Militärakademie, Generalstabslehrgang von 1979 bis 1982, danach für Führung und Ausbildung des Bundesheeres im In- und Ausland zuständig. Seit 2002 Leiter des Führungsstabes, seit 2008 ist er Leiter der Sektion IV Einsatz im Verteidigungsministerium. [ BMLVS ]

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2013)

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