Wir kämpfen weiter für Binnen-I und Töchterhymne!

Replik. Feministinnen und ihre Kritikerinnen müssten zuallererst offen über die gesellschaftlichen Systemprobleme diskutieren.

Sybille Manhart kritisiert in ihrem Gastkommentar „Wir pfeifen auf Binnen-I und Töchterhymne!“ („Die Presse“, 29. 5.) nicht nur einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch, sondern vor allem auch die „Einmischung“ von Feministinnen in den „persönlichen Lebensplan“ von Frauen und Männern.

Dass ich als Feministin bei diesen Ansichten das Bedürfnis habe, aufzuschreien und Missverständnisse klarzustellen, zeugt von einem Aufeinandertreffen unterschiedlicher und polarisierender Weltanschauungen. So aber entsteht nicht nur ein Konflikt, sondern auch das Potenzial einer fruchtbaren Diskussion und des Vorankommens.

Dabei sollte sich der Fokus jedoch nicht auf Streitereien über einzelne Wörter und Möglichkeiten des geschlechtergerechten Formulierens reduzieren, die erst in einem weiteren Schritt denkbar und sinnvoll erscheinen. Es sollte zunächst vielmehr eine offene Diskussion stattfinden, die den Blick auf gesellschaftliche Systemprobleme lenkt. Es geht darum, Verantwortung für unsere Worte und Taten zu übernehmen und uns nicht hinter „jahrhundertealten Überzeugungen und Traditionen“ zu verstecken.

Gegen das patriarchalische System

Wenn also Sybille Manhart meint, dass es die Debatte über Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen eigentlich „gar nicht geben dürfte“, weil es niemandem erlaubt ist, „sich mit Kritik und Bewertungen in einen persönlichen Lebensplan einzumischen“, so beweist sie damit, dass ihr die Komplexität dieses Aspekts unter Berücksichtigung der Systemproblematik nicht bewusst ist.

Unsere „persönlichen Lebenspläne“ basieren alle auf Schablonen, die nicht neutral sind, sondern von der Gesellschaft vorgegeben werden, dabei manche Lebensrealitäten fördern und andere vernachlässigen oder gar von vornherein komplett ausschließen. Eine Welt ohne „Einmischung“ in „persönliche Lebenspläne“ kann es also gar nicht geben.

Zu Beginn der Frauenbewegungen (seit dem 19. Jahrhundert in vielen Ländern Europas und den USA) stand die „Befreiung der Frau“ im Vordergrund. Ziel war es, Männern und Frauen die gleichen Rechte einzuräumen, für das freie Wahlrecht, Arbeit und Bildung zu kämpfen – Errungenschaften von Frauen, von denen wir heute alle profitieren.

Darauf aufbauend ist eine breitere Kritik an traditionell männlichen Werten und Sichtweisen, die unsere patriarchal strukturierte Gesellschaft dominieren, entstanden. Und da Feministinnen nicht unhinterfragt stereotyp-männlichen Sichtweisen folgen wollten, haben sie traditionell als „weiblich“ verstandene Werte erkannt und aufgezeigt.

Es geht also heute nicht nur darum, Frauen die Möglichkeit zu geben, gleiche Positionen zu erreichen wie Männer, sondern auch um eine Sichtbarmachung und Offenlegung von einseitigen Diskriminierungen und Möglichkeiten, diese zu dekonstruieren. Es wird nicht nur daran gearbeitet, dass Frauen Führungspositionen einnehmen können, wenn sie das wollen und gleich (oder höher) qualifiziert sind. Der Umkehrschluss für Männer, in weiblich dominierte Bereiche Eingang zu finden, wird genauso gefordert und gefördert.

In Bezug auf Versorgungsarbeit wird auch auf feministischer Ebene dafür gekämpft, Männer für die Kindererziehung, Pflege etc. einzusetzen. In vielen Familien ist das aber aus rein finanziellen Gründen – die sich aus patriarchalen Strukturen ergeben – kaum möglich. Feminismen richten sich dabei nicht, wie oft missverstanden wird, „gegen die Männer“, sondern gegen das Patriarchat als ein System, in dem sowohl Frauen als auch Männer leiden und in ihrer Entwicklung und Entfaltung eingeschränkt werden.

Unterdrückte Realitäten

Frauenforschung – genauso wie Männerforschung – kämpft somit um Gleichstellung und Antidiskriminierung auf allen Ebenen. Diese System- und Patriarchatskritik ist die Grundlage für feministisches bzw. genderorientiertes Denken und Handeln. Dabei ist sie freilich radikal – was sie sein muss, um einen wirksamen Einfluss auf bestehende Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten erreichen zu können.

Dieser Blick auf die Gesellschaft ist eine wichtige gesellschaftliche Neuinterpretation und ein Aufmerksammachen auf vergessene und unterdrückte (weibliche) Realitäten, die keinesfalls eine reine „Frauensache“ sind.

Wenn also Sybille Manhart meint: „In jeder Frau wohnt ein Leben lang die brave Tochter, die immer noch allen alles recht machen will“, so ist genau das das gesellschaftliche Problem, das von Feministinnen angeprangert wird. Dieses Bild der Frau ist patriarchal konstruiert und wurde von vielen Frauen so verinnerlicht, dass es als vermeintlich „natürliches Wesen“ der Frau verstanden wird, obwohl es vielmehr gesellschaftlich konstruiert ist.

Selbstbewusstes Frauenbild

Es geht uns Feministinnen um ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Frauenbild, das nicht in einer (finanziellen) Abhängigkeit von Männern, Familien etc. steht.

Wozu brauchen Feministinnen dafür aber eine geschlechtergerechte Sprache? Bis heute wird um einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch gekämpft, weil Sprache als Schlüsselwerkzeug für gesellschaftliche Veränderung gilt, mit dem bestehende (Geschlechter-)Normen und Machtverhältnisse beeinflusst werden können.

Sprache reflektiert, wer gesellschaftlich (an)erkannt wird und wer nicht. Sie spiegelt unsere Weltanschauungen wider. Sprache ist keine stabile Einheit, sondern flexibel und gesellschaftlich veränderbar – damit kommt ihr auch in der Herstellung gerechter Geschlechterverhältnisse, soweit diese möglich sind, eine wesentliche Rolle zu.

Hier geht es einerseits um die Sprachoberfläche, wofür die Sichtbarmachung von Frauen und Männern (oder anderen Geschlechtern) im Schriftbild durch Binnen-I, die Doppelnennung oder den Unterstrich nur ein Beispiel von vielen ist.

Gendersensible Sprache

Andererseits müssen wir uns der Diskurse – also der Art, wie wir über die Welt sprechen, was wir für „der Rede wert“ halten und was nicht, wie Menschen in und durch Sprache situiert und positioniert werden –, die oftmals auch patriarchal beeinflusst sind und in die wir mit unserer Sprachverwendung eintreten, bewusst sein.

In diesem Zusammenhang scheint insbesondere der gesellschaftliche Änderungsprozess, der zu einer gendersensiblen Sprache führt und der sich gegen die Ungleichbehandlung und Ausgrenzung von Geschlechtern richtet, von zentraler Bedeutung für ein gleichberechtigtes Miteinander.

Feministinnen werden weiterkämpfen und mit Kritikerinnen in Diskussion treten, solange sie Diskriminierungen erkennen und eine Veränderung bewirken können. Die Geschichte hat gezeigt, dass sie trotz Anfeindungen und Hürden vieles erreichen können.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Beatrice Fischer hat Dolmetschen und Gender Studies an der Universität Wien studiert. Derzeit promoviert sie am Zentrum für Translationswissenschaft, wo sie auch unterrichtet. Zudem leitet sie das Wiener Sprach- und Bildungsinstitut Loqui, das einen gleichstellungsorientierten und antidiskriminierenden Zugang zur Weiterbildung fördert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2013)

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