Das große Blockadespiel in Südosteuropa

Am 1.Juli tritt Kroatien der EU bei. Trotz aller Vorbehalte in der Union wäre frischer Elan in den Beitrittsgesprächen mit allen Staaten des westlichen Balkans die beste Unterstützung der Reformen in der Region. The show must go on!

Zwischen Kroatiens Antrag auf Mitgliedschaft in der EU Anfang 2003 und dem Beitritt Anfang kommender Woche sind zehn Jahre vergangen. Die eigentlichen Verhandlungen dauerten mehr als fünf Jahre. Sie wurden verzögert, bis der kroatische General Ante Gotovina, wegen Kriegsverbrechen beim Haager Kriegsverbrechertribunal angeklagt, in Spanien verhaftet wurde.

Zudem blockierte Slowenien wegen Grenzstreitigkeiten kurzfristig den Beitritt. Sogar noch während des Ratifizierungsprozesses im vergangenen Jahr drohte Slowenien, die Mitgliedschaft zu verzögern, da die Streitigkeiten um Verbindlichkeiten der Ljubljanska Banka für kroatische Anleger aus den 1990er-Jahren ungelöst waren.

Der Beitritt war also keine leichte Geburt. Schon deswegen nicht, weil für jedes neue Mitgliedsland die Zahl der Staaten, die zustimmen muss, größer geworden ist. Das macht jeden Beitritt schwieriger, denn die EU prüft noch genauer, ob ihre Kriterien für Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung erfüllt werden.

EU-Recht wächst immer mehr

Schließlich wächst das von einem neuen Mitglied zu übernehmende gesamte gültige EU-Recht (der sogenannte „acquis communautaire“) immer mehr an. Neben der Wirtschaftskrise, die daran erinnert hat, dass auch EU-Mitglieder nicht vor Krisen geschützt sind, hat der lange Beitrittsprozess dazu beigetragen, dass in Kroatien am 1.Juli keine große Feierstimmung aufkommen wird.

Schon bisher war in Kroatien die Zustimmung zum EU-Beitritt niedrig. Die deutliche Mehrheit von über 66 Prozent (allerdings bei einer Beteiligung von unter 50 Prozent), die 2012 für die Mitgliedschaft votierte, beruhte auf pragmatischen Erwägungen. Trotzdem ist der Beitritt ein Erfolg.

Von dem autoritären und nationalistischen Präsidialstaat unter Franjo Tudjman ist nicht viel geblieben: Der heutige Präsident Josipović ist beliebt wegen seiner bescheidenen und nüchternen Amtsführung, die serbische Minderheit regierte mit, und wirtschaftliche und soziale Fragen überwiegen in der öffentlichen Diskussion. Nationalistische Parolen und ihre Prediger finden kaum noch Gehör.

Der Beitritt Kroatiens zur Union sollte ein Signal für die Weiterführung dieser Entwicklung sein. Vor zehn Jahren hat die EU den Staaten des westlichen Balkans auf dem Gipfel in Thessaloniki eine Mitgliedschaft angeboten. Zehn Jahre später nimmt sich das Ergebnis jedoch bescheiden aus.

Außer Kroatien hat bisher nur Montenegro Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Verhandlungen mit Mazedonien werden seit 2009 durch Griechenland blockiert, trotz positiver Einschätzung durch die Kommission.

Albanien blockiert sich selbst

Albanien blockiert sich überwiegend selbst durch die tiefe politische Spaltung zwischen Regierung und Opposition. Serbien kann nach dem Verhandlungserfolg mit dem Kosovo auf ein Datum für Beitrittsverhandlungen hoffen, während sich der Kosovo aufgrund der fehlenden Anerkennung durch fünf EU-Mitglieder der Union zwar annähern kann, jedoch weit von Beitrittsverhandlungen entfernt ist. Schließlich blockiert eine reform- und kompromissfeindliche Elite in Bosnien eine Annäherung an die EU.

Die Gründe für das Schneckentempo der EU-Erweiterung liegen somit sowohl in den Ländern des westlichen Balkans als auch in der EU selbst. Viele EU- Bürger stehen der Erweiterung skeptisch gegenüber – auch aufgrund der negativen Presse, die der EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens hervorgerufen hat, und der Assoziierung der Balkanländer mit Krieg und Korruption.

Somit ist nicht immer klar, wenn EU-Mitgliedstaaten auf weitere Reformen in der Region drängen, ob dies aus tatsächlichem Interesse an Reformen geschieht oder um den Beitrittsprozess auf die lange Bank zu schieben.

Politische Eliten des westlichen Balkans treiben ein ähnliches Spiel. Die Bevölkerung der einzelnen Länder will den Beitritt – nicht zuletzt, um die EU als Kontrollinstanz über die eigenen Eliten zu gewinnen. Aber viele Politiker fürchten, dass ihnen der Beitrittsprozess das gleiche Schicksal bescheiden wird wie Ivo Sanader, der zwar Kroatien erfolgreich an die EU annäherte, aber wegen Korruption doch im Gefängnis endete. Zwischen diesen Hindernissen manövriert sich die Kommission seit Jahren durch.

Die Sozialisierung der Eliten

Nach dem Beitritt Kroatiens gilt es, dem Beitrittsprozess auf dem westlichen Balkans neues Leben einzuhauchen. Auch wenn der Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo als Erfolg der EU gelten kann, war dieser nur möglich, weil die Union eine Annäherung an die EU in Aussicht gestellt hat. Es sind die Beitrittsverhandlungen, die Reformen anspornen: Erst wenn hunderte oder gar tausende Beamte, Abgeordnete und Regierungsmitglieder eines Landes mit Partnern in Brüssel über den Beitritt verhandeln, beginnen die öffentliche Verwaltung, das Parlament und die Regierung zu verstehen, welche Reformen notwendig sind. Die Politikwissenschaft nennt das die „Sozialisierung der Eliten“.

Eine Neubelebung des Erweiterungsprozesses liegt im Interesse der EU und ihrer Bürger: Die fast tausend Kilometer lange Grenze zwischen Kroatien und Bosnien ist als Schengen-Außengrenze der EU denkbar ungeeignet. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil mit Kroatiens Beitritt am 1. Juli etwa ein Drittel der Einwohner Bosniens EU-Bürger werden, weil sie einen kroatischen Pass haben.

„Monumentmanie“ in Skopje

Weiter im Süden steht die Existenz Mazedoniens als selbstständiger Staat auf dem Spiel, wenn der Beitrittsprozess nicht vorangeht. Seitdem dieser Prozess stockt, macht die Demokratie dort Rückschritte und die Pflege der nationalen Identität hat Vorrang. Die „Monumentmanie“ der jetzigen Regierung in Skopje symbolisiert sichtbar diese Entwicklung.

Trotz der Vorbehalte einzelner Regierungen von EU-Staaten wäre frischer Elan für weitere Beitrittsverhandlungen mit allen Staaten des westlichen Balkans die beste Unterstützung der Reformen in der Region: Dazu muss die EU bei sich selbst beginnen und interne politische Hindernisse beseitigen: Die griechische Blockade Mazedoniens muss ein Ende nehmen; Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und die Slowakei sollten nicht zum Schaden der Bevölkerung und der politischen Stabilität auf ihrer Politik der Nichtanerkennung des Kosovo beharren.

Beitrittsverhandlungen bedeuten noch längst keinen automatischen Beitritt, wie man bei den zähen Verhandlungen mit der Türkei gut sehen kann. Verhandlungen mit allen Staaten des westlichen Balkans würden nicht nur ein Signal setzen, sondern auch Reformen vorantreiben, die sonst drohen, ins Stocken zu geraten.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comFlorian Bieber ist Professor für Südosteuropa am Südosteuropa-Kompetenzzentrum der Universität Graz. Er hat Geschichte, Politikwissenschaft und Südosteuropastudien am Trinity College (USA), an der Uni Wien und an der Central European University (Ungarn) studiert. Bieber ist Chefredakteur der „Nationalities Papers“. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2013)

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