1972: Triumphzug für „Karli den Großen“

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Olympia-Ausschluss 1972. Karl-Schranz-Empfang überbot die Staatsvertragsbegeisterung von 1955. Menschenmassen waren in Wien unterwegs, um dem Skistar die Reverenz zu erweisen.

[9. FEBRUAR 1972] Dreimal riefen sie ihn auf den Balkon. Dreimal hatten sie mit „Karli, Karli“-Sprechchören den Triumphator aus dem Bundeskanzleramt herausgelockt, dann stand er da mit eisernem Gesicht fast den Tränen nahe. Er hatte noch immer den schwarzen Samtanzug des Olympiakaders an, die rot-weiße Krawatte umgebunden. Die Prominenz des politischen Lebens gab ihm, dem Karl Schranz aus St. Anton, den Vortritt.

Kreisky, der den verhinderten Olympioniken am Dienstagmittag zu sich gebeten, Sinowatz, der Schranz vom Flughafen Wien-Schwechat abgeholt hatte, und viele andere, die dem Sportidol die Reverenz erwiesen, blieben ungesehen. Über eine Stunde länger als vorgesehen hatten die Menschen auf den Arlberger warten müssen. Auf Bäumen saßen sie, auf Laternenmasten hingen sie wie Kletten, sogar den Fahnenmast des Bundeskanzleramts verwendeten sie als Stütze. Auf dem Ballhausplatz selbst standen zehntausende Wiener, auf dem Ring, den Rennweg entlang und sogar auf der Simmeringer Hauptstraße blockierten die Schaulustigen die Fahrbahn. In einem Regen von Blumen und Konfetti fand der Jubel seinen Höhepunkt – 80.000 waren auf den Beinen, um „ihren“ Karl zu sehen.

„Das ist Wahnsinn, kaum zu glauben“, sagte man im Bundeskanzleramt, in den Räumen Kreiskys, in denen sich Journalisten, Politiker und Adabeis versammelt hatten. „Das ist die größte Menschenmenge seit 1955, die ich auf dem Ballhausplatz gesehen habe“, versicherte Wiens Polizeipräsident Holaubek später. Und der Kellner, der die letzten Gläser für die Drinks vorbereitete, die zu Ehren von Schranz angeboten werden sollten, meinte: „Da wird die Elizabeth aber neidig sein, wenn S' erfahrt, wie viel Leut' da war'n.“ Kreisky, der zwanzig Minuten vor dem Weltmeister eintraf, schüttelte nur den Kopf. Diese Begeisterung habe er nicht erwartet. „Ich werd natürlich nicht mit dem Schranz auf den Balkon gehen. Er ist heute die Hauptperson.“

Bereits um 8.30 Uhr früh hatten sich die ersten Unentwegten vor dem Kanzleramt eingefunden. Kaum eine Stunde später waren echte „Keilereien“ um die besten Plätze im Gang. Wie auf dem Flughafen Wien-Schwechat kam da und dort Bierzeltstimmung auf. Heiße Würsteln gab's zwar nicht, aber dafür echte Sonderpostkarten mit echt gefälschten Unterschriften des Karl Schranz. Dann kam die Nachricht: „Der Karli kommt erst eine Stund' später.“ Der Überbringer der Hiobsbotschaft, ein cleverer Jüngling, der mit den Verantwortlichen vom Flughafen gesprochen hat, wird fast gelyncht.

Sein Gesicht ist eine Maske

Von oben, von den Fenstern des Kanzerlamtes aus, wirkt die Szene imposant. Eine Menschenmenge, die von Minute zu Minute wächst, der dünne, durch Scheiben gedämpfte Ton des Lautsprechers der Polizei, der den Wartenden laufend Standortmeldungen des Schranz-Konvois durchgibt, und dann die physisch immer mehr spürbare Aufregung der Wiener. „Er ist beim Zentralfriedhof“, dann: „Der Konvoi nähert sich dem Rennweg.“ Die Spannung steigt, nur noch wenige Meter, der Jubel pflanzt sich von der Ringstraße auf den Ballhausplatz fort. Die „Rapid-Viertelstunde“ wird zum frenetischen Applaus. Frauen haben Tränen in den Augen, Mädchen kreischen. Transparente werden geschwenkt. Schranz im roten Dufflecoat winkt aus dem offenen Wagen des Unterrichtsministers. Aber sein Gesicht ist nur Maske und große Augen. Wieso freut er sich nicht?

Auch bei seiner Ankunft in Wien-Schwechat hat der von den Winterspielen in Sapporo ausgeschlossene Skifahrer nicht gelacht. „Nicht bös sein“, sagt er, „aber ich kann nichts sagen. Ich hab' das nicht erwartet.“ Sinowatz hat ihm die Hand geschüttelt und gesagt, dass es ihm leid tue, das mit Sapporo. Den Journalisten hat der Minister zuvor erklärt, dass man mit den Funktionären der Olympiamannschaft noch werde sprechen müssen. Was er als oberster Sportchef von der Begeisterung, zu den tausenden Enthusiasten, die sich auf den Straßen eingefunden haben, meine? Der „Gemütliche“ glaubt, dass sich das bald legen werde. Die Wartenden berieselte man im Freien. Aus Lautsprechern eines VW-Busses plärrte „Der Karli soll leben“, und die Masse sang: „Und der Brundage steht daneben.“

Gerhard Zimmer war Sport-Ressortleiter, später beim ORF

("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)

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