Man liebt nur den Verrat, aber niemals den Verräter

Mutige Helden sehen anders aus: Was Edward Snowden mit seinem Verrat und die Machthaber von Staaten in ihrer Antwort darauf vorführen, ist kein Heldenepos, sondern eine Tartufferie.

Es war vom „Profil“ kaum anders zu erwarten, als dass im Titelbild seiner jüngsten Ausgabe Edward Snowden als der „mutigste Mann der Welt“ vorgestellt wird. Wenn man den seriösen Medienberichten Glauben schenken darf, ist er das ganz und gar nicht. Tollkühn wäre das bessere Wort. Denn die Tugend des Mutes verlangt mehr Weitsicht und mehr Klugheit, als seiner verwegenen Aktion innewohnen.

Träger von Geheimnissen der Vereinigten Staaten von Amerika zu sein, diese in einem Akt der Illoyalität zu verraten und dabei Schutz in China und in Russland zu suchen – Staaten, deren Geheimdienste viel harscher agieren als ihre westlichen Konkurrenten –, all dies hinterlässt einen schalen Geschmack.

Unglaubwürdig auch die sich erschüttert und empört gebenden europäischen Politiker – allen voran der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, der sich „zutiefst besorgt und schockiert“ darüber zeigte, dass sogar Gebäude der EU von Agenten der USA verwanzt wurden: „Sollten sich diese Anschuldigungen als wahr herausstellen, wäre dies eine äußerst ernste Angelegenheit, die schwerwiegende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und den USA hätte.“

In Wahrheit darf sich niemand darüber wundern, dass Agenten nichts unversucht lassen, um an Informationen aller Art zu gelangen. Nur Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland gelten für die US-Nachrichtendienste als „Partner zweiter Klasse“, nur bei ihnen wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermutet, dass auch in ferner Zukunft die Bande gemeinsamer Interessen halten. Doch sogar bei ihnen dürften mit allen möglichen Tricks Daten gesammelt werden. Bei den übrigen, bei sogenannten befreundeten Staaten wie bei den anderen, ohnedies.

Wer beim – im Englischen mangels eines besseren Begriffs – schelmisch „intelligence“ getauften Geheimdienst mit nobler Zurückhaltung rechnet, ist unverbesserlich naiv. Auch die Rechtfertigung der Dienste, sie sorgten mit ihrer dubiosen Arbeit dafür, dass die Bürger des eigenen Landes ruhig in ihren Betten schlafen können, hat sich seit Jahrzehnten nicht geändert. Und im Innersten wissen alle, dass die Schnüffler diese Apologie mit einem gerüttelt Maß an Selbsttäuschung vor sich hersagen.

Seit Erfindung und Verbreitung des Internet versucht die NSA, eine Unmenge von Daten zu sichten. Es mag geholfen haben – die Erfolge bleiben unerwähnt, im Gegensatz zu Fehlschlägen wie in Boston. Trotzdem saugen die Dienste elektronische Daten weiter ohne Unterlass ab. Nicht was Snowden der Öffentlichkeit darüber verraten hat, ärgert Barack Obama, sondern dass die NSA einem so illoyalen Mitarbeiter vertraut hat.

Kein Wunder, dass Wladimir Putin nicht daran interessiert ist, dass Snowden weiter plaudert. Seine Botschaften kennt er längst. Die Trophäe genügt ihm, die der Welt eine unprofessionelle Rekrutierung und Personalführung des US-Dienstes beweist. Der Mensch Snowden ist ihm, wie jedem anderen Machthaber auch, egal.

Helden sehen anders aus. Es ist höchst unwahrscheinlich, unter Spionen wahre Helden zu finden. George Smiley, der Antiheld in John Le Carrés frühen Romanen, weiß es: Seinem Gewissen zu gehorchen und dem Dienst sowie dem Land gegenüber loyal zu bleiben, gelingt fast nie.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2013)

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