„Wiener Presse“ und „Provinz“: Hauch von Kulturimperialismus

Fernausgabe. Nie würde ich behaupten, dass Redakteure die Hauptstadt für den Mittelpunkt der Welt halten. Ihren Blick könnten sie aber etwas weiten.

Spiegel
Schrift

Als eine Leserin in Oberkärnten auf der „Österreich“-Seite die Geschichte „Bis zu 38 Grad in ganz Österreich“ (15.6.) liest, platzt ihr der verschwitzte Kragen. Sie mailt an die „Spiegelschrift“: „MancheWiener denken, es gäbe nur Wien und rundherum wären lauter Provinzdeppen.“ Der Zeitungsartikel behandelt eine vom Wüstenwind der Sahara ausgehende Großwetterlage, aber die Badeempfehlungen gelten exklusiv für Wien an der Donau, die Neue Donau und die Donauinsel.

Oft schreiben Autoren Wiener Geschichten, ohne Wien zu erwähnen, so als ob Berichtenswertes sowieso nur in Wien geschähe. Das Kulturprogramm des „Schaufensters“ gibt sich kulturimperialistisch: Steht kein Ort dabei, gelten die Angaben automatisch für Wien, also: Das Theater zum Himmel muss in Wien sein, weil Wien nicht dabei steht, der Filmhof Wein4tel befindet sich in Asparn/Zaya. Bei den Galerien und Museen wird hingegen sorgsam nach neun Bundesländern gereiht. Das gilt auch für das Essl-Museum in Niederösterreich, das aber ohne Nennung Klosterneuburgs auskommen muss und immer nur „An der Donau Au 1“ liegt. Das könnte auch für Krems oder Tulln passen.

In der Restaurantkritik „Chef's Table“ verrät die „Presse am Sonntag“ (7.7.) in der zehnten Druckzeile, dass das Lokal in Salzburg liegt. Dann wird allerdings noch das neue Wirtshaus Zur Herknerin behandelt. Wo sich dieses befindet? Erraten – in Wien, denn das wird verschwiegen.

Wer es aber in Wien-Margareten oder gar in St. Margarethen im Burgenland suchen sollte, weil in der Überzeile für alle provinziellen Rätselfreunde die Duftspur „In Margareten gibt es Gulaschsaft“ gelegt wird, wäre frustriert. Wien-Margareten ist Wiens 5. Bezirk, das Lokal liegt aber im 4. auf der Wiedner Hauptstraße 36. Warum steht diese Mitteilung nicht ehrlich und schlicht dabei?

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Aus der Media-Analyse, die jährlich die Leserzahlen der Zeitungen erhebt, geht hervor, dass „Die Presse“ in acht Bundesländern zusammengerechnet mehr Leser hat als im neunten Bundesland Wien. Darauf kann die Redaktion stolz sein, weil ihre Leistung von einem so großen Bevölkerungskreis fern der Hauptstadt als hohes Gut betrachtet wird.

Die über ganz Österreich verstreuten Abonnenten verdienen besondere Zuwendung, was nicht heißt, dass sie als Gegenleistung die von der Zeitung angelieferte hauptstädtische Politik oder den jeweils letzten kulturellen Schrei aus Wien ausnahmslos toll finden müssten. Es gibt Menschen, die ihre Welt nicht nur geografisch anders verstehen als die Wiener.
Die Jubiläumsausgabe (29.6.) wird zu Recht gepriesen. Die Zeitung hat mit sicherem Griff hochinteressante Materialien ausgegraben und dem Verständnis von uns Heutigen zugeführt. Einige wichtige Personen wie etwa Bruno Kreisky kommen überraschenderweise gar nicht vor, aber Vollständigkeit war nicht das Ziel.

Das Experiment, die erste Seite in Frakturschrift zu drucken, macht neugierig, schreit aber nicht nach Wiederholung. Diejenigen, die noch bis in die Fünfzigerjahre Bücher in Frakturschrift zu lesen bekamen, ärgern sich, wenn die moderne „Presse“ nicht mehr zwischen langem und rundem „s“ unterscheidet oder rechts oben „Zarack Obama“ stehen lässt, weil jüngere Journalisten das ungewohnte B kaum vom Z unterscheiden können.

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Vor Kurzem schrieb mir ein Leser, dass manche Fehler eben passieren, andere aber zumindest in der „Presse“ nicht passieren dürfen. Zur zweiten Kategorie zählt er: „Daher lernte er Robotern ein Verständnis von Geometrie.“ (23.6.).

Ich ergänze: In der Zeitungsredaktion sollte unabhängig von Sprachkenntnissen eines Autors nicht zweimal „Le Mond“ als Titel der weltbekannten französischen Zeitung „Le Monde“ durchgehen (5.7.) Auch Formulierungen wie „gemäß des neuen Abkommens“ oder in einer Logistikbeilage „ohne der Notwendigkeit“ irritieren schwer. Statt Suppenschöpfer „Suppenkelle“ zu schreiben ruft nach Anwendung des Strafgesetzbuches.

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Vielleicht ist es bloß die Sommerhitze, die auch auf Meinungselementen und Glossen lastet. Dass „alle Magneten“ am Kühlschrank hängen, ist tröstlich, aber ein falscher Plural. Das „Rubellos“ dürfte nichts mit der russischen Währung zu tun haben, sondern durch falsche Schreibweise von „rubbeln“ entstehen. Eine Capri-Urlauberin sorgt sich um ihre Wiener Wohnung und fragt: „Ist wohl jemand eingebrochen?“. Wenn schon, dann hat jemand eingebrochen. Wenn jemand eingebrochen ist, kann es bei derzeitigen Temperaturen nur ein verspäteter Schlittschuhläufer sein.

Anglizismensucht trübt muttersprachliche Treffsicherheit. Dann steht in einem Sportkommentar: „Er sah sich gezwungen, seine Pläne über Board zu werfen“ (24.6.). Ein „relaunchter Außenauftritt des Landes“ Kärnten ist auch ohne Tippfehler hässlich genug und wahrscheinlich für viele Leser kaum verständlich.

Ex-Minister Martin Bartenstein soll in einem „Presse“-Interview gesagt haben, „dass seit Jahren Herrschaften vom Staatsanwälten versuchen, eine Anklage zustande zu bringen“ (5.7.) Er wird „Heerscharen“ gemeint und wohl auch gesagt haben.

Die Demonstrationswelle in Brasilien hat sportlich-religiöse Folgen: Brasiliens Fußballteam zeigt „Verständnis für die Protestanten“ (22.6.).

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Hat im Beobachtungszeitraum etwas gefehlt? Beim jüngsten politischen Skandal in Prag muss man ab 14.6. rund drei Tage warten, bis die Zeitung außer über „Sex, Korruption und Mafia“ genauere Auskunft gibt, welche Partei und Koalitionsregierung der strauchelnde Ministerpräsident Petr Nečas eigentlich führt. Ein paar diesbezügliche Zeilen hätten dem üppigen Gemälde politischer Liebestollheit nichts von der Farbe genommen.

Der Wittgenstein-Preis geht an die Physikerin Ulrike Diebold (21.6.). Gut, dass „Die Presse“ ausführlich auf die von ihr erforschte „Ordnung der Atome“ eingeht, aber schade, dass man nur wenig über die Person und den beruflichen Weg der Preisträgerin erfährt. Die technische Hochschule wird nicht allzu viele Frauen vorzeigen können, die bereits solche Spitzenleistungen erbringen.

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Eine erfreuliche Verkehrsmeldung im Hochsommer. Aus einem der stilistisch und technisch ausgefeilten Autotestberichte erfährt man, dass der „Gran-Turismo-Porsche“ auch bei mehr als 250 Stundenkilometern zur „puren Negativ-Akzeleration“ fähig ist (5.7.). Was das heißt? Er kann auch bremsen. Sapperlot. Nebenbei gesagt scheinen die Autotester offenbar von Wirtschaftsjournalisten gelernt zu haben, die ein „negatives Wirtschaftswachstum“ schon immer für eine natürliche Erscheinung halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2013)

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