ÖBB, Bahnfahren oder der tiefere Sinn der Verspätung

Gastkommentar. An einem Sommertag mit der Bahn durch Österreich zu fahren birgt den Vorteil, unerwartete Erfahrungen zu machen.

An einem Mittwoch um 13.36 Uhr mit dem Railjet, der theoretisch schnellsten Fortbewegungsart der ÖBB, von Wien West nach Salzburg und weiter nach Kitzbühel. Ankunft 18.27 Uhr. Nicht einmal fünf Stunden Fahrtzeit. Theoretisch, denn Bahnfahren und ÖBB sind zwei verschiedene Dinge.

Eine Stunde zu früh am Westbahnhof. Freude. Der für 12.36 Uhr vorgesehene Railjet würde mir erlauben, in Salzburg einen Regionalexpress nach Kitzbühel zu erwischen und um dreiviertel sechs am Ziel zu sein. Kaum mehr als fünf Stunden Fahrtzeit.

Der Railjet um halb eins kam aus Budapest und hatte 20 Minuten Verspätung. In rasender Fahrt gelang es ihm, während zweieinhalb Stunden rund 30 Sekunden gutzumachen. Sechs Minuten nach der planmäßigen Abfahrt des Kitz-Anschlusses hielt er in Salzburgs Hauptbahnhof. Doch der Fahrdienstleiter hatte den Kitz-Bummelexpress schon weggeschickt. Beschwerden hielt die ÖBB-Infostelle die Antwort entgegen: „Beschweren Sie sich bei der Westbahn.“

Nun ist das ÖBB-Konkurrenzunternehmen Westbahn zwar ein schlechtes Imitat eines Bahnunternehmens, das ausschließlich auf den bequemen, lukrativen, innerösterreichischen Routen verkehrt, aber für die Verspätungen und hirnlose Organisation der ÖBB kann sie wahrscheinlich nichts.

„Deine Gestalt sei Baustelle“

Eine Stunde Wartezeit auf den ursprünglich geplanten Zug nach Schwarzach-St.Veit. Der Salzburger Bahnhof bietet zum Glück jede Menge Abwechslung. Ich habe 1972/73 in Salzburg-Glasenbach einen Teil des Präsenzdienstes abgeleistet. Seit damals ahne ich, dass Bahnhof und Bahnhofsplatz unter einem Fluch liegen: „Deine Gestalt soll Baustelle sein.“

Genaue Informationen enthalten nur die weit verstreuten digitalen Anzeigetafeln, auf denen kurz vor Ankunft der Züge der jeweilige Bahnsteig angegeben wird.

Die dadurch drohende Massenhektik wurde an jenem Mittwoch durch serielle Verspätungen verhindert. Fünf von zehn Zügen auf der Anzeigetafel fuhren nach der Zeit ein.

Eine Verbindung war gestrichen worden. Mein Eurocity nach Klagenfurt kam aus Deutschland, er lag zwölf Minuten hinter dem Fahrplan. Die erste Klasse der Deutschen Bahngarnitur war 40 Jahre alt – rote Sesseln mit Flecken, Löchern und einer Steckdose pro Abteil.

In Schwarzach-St.Veit keuchte der Oldie-EC zwölf Minuten zu spät für meine Verbindung nach Kitzbühel ein. Sollte Sie einmal der Übermut oder die Sinnkrise packen, besuchen Sie diesen Ort, und Sie werden von Flausen geheilt sein. Ein nach rauchigem Bier stinkendes Bistro, die hässliche Dampflok vor dem Bahnhof, die Imbissstube sperrt um 15 Uhr. Das Klo, immerhin, war offen.

Acht Stunden Wien–Kitzbühel

Da ist jeder ÖBB-Zug eine Erlösung und die Fahrt im Laufrad-Tempo durch einen der schönsten Teile Salzburgs ein Fantasy Movie. Der Zug hieß Regionalexpress, sah aus wie ein City Shuttle, so was fährt in Wien und Niederösterreich als Schnellbahn. Nach acht Stunden Reisezeit in Kitzbühel angekommen, dämmerte mir der Sinn der Sache: Wer schon nach Kitzbühel will, soll wenigstens spät ankommen.

ÖBB-Generaldirektor Christian Kern gilt als Personalreserve der SPÖ. Falls er eines Tages in die Politik einsteigt, sollte man seine Handlungen stets auf eine zweite Absicht untersuchen. Er hat die von Vorgängern und Verkehrsministern heruntergewirtschaftete ÖBB zwar nicht zu einem Bahnunternehmen gemacht, das kann niemand.

Aber er hat sie zu einem Medium gemacht, das eiligen Banausen wie mir Zeit für die Schönheiten und Weisheiten unseres Landes schenkt.


Mag. Johann Skocek ist freier Journalist und Buchautor.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2013)

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