Ein Innenhof, der keiner ist: Die öffentliche Zone der Brückenkonstruktion ist leer.
Architektur und Design

Triest: Ist diese Brutalität noch zu retten?

Il Quadrilatero di Rozzol Melara in Triest ist der Versuch, eine Kleinstadt in einem Gebäude zu beheimaten – ein beeindruckendes Scheitern, von dem man lernen darf. Über die brutalistische Umsetzung einer Vision.

Hinter einer Dornröschenhecke aus Bauzäunen ruht das etwa 60 ha große Areal des in den 1970er-Jahren aufgelassenen alten Hafens von Triest. Als „Porto Vivo“ soll er von ausländischem Investorengeld aus dem Schlaf geküsst werden. Zur selben Zeit, als der alte Hafen stillgelegt wurde, manifestierte sich auf einem Hügel etwa vier Kilometer östlich des Zentrums von Triest eine andere Art von Realität, fast eine Utopie: Knapp an der Stadtgrenze findet sich eine ungewöhnliche Megastruktur, die Il Quadrilatero di Rozzol Melara genannt wird. Eine möglichst autonome Satellitenstadt sollte günstige Mietwohnungen für 2500 Menschen bereitstellen, die minimierten Binnengrund­risse durch großzügige Gemeinschafts­bereiche ausgeglichen werden.

Leistbares Wohnen und generell der Mietwohnungsmarkt besitzen in Italien einen gänzlich anderen Stellenwert als in Österreich. Kommunales oder gemeinnütziges Bauen ist ein Nischenthema, die Aufgabe des sozialen Wohnbaus verblieb lange in Hand privatwirtschaftlicher Unternehmen. Bei gleichem Verstädterungsgrad und obwohl etwa gleich viele Menschen in Mehrparteienhäusern leben, ist in Italien das Eigentum die gewünschte soziale Norm. Der Anteil an marktpreisbasierten Mietwoh­nungen beträgt weniger als 15 Prozent, der Anteil an Sozialwohnungen macht weniger als fünf Prozent aus: Diese Optionen werden nur von Menschen aus den untersten Einkommensgruppen genutzt – bevorzugt als Übergangslösung. In Österreich machen Miet­wohnungen über 40 Prozent des Wohnungsbestandes aus – „zur Miete“ oder „gefördert“ wohnen ist hierzulande kein Stigma, sondern Standard.

Stahl, Glas und Beton

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute der Wohlfahrtsstaat (beider Länder) gerne brutalistisch, in einer, laut Reyner Banham, neuen Verbindung von Ethik und Ästhetik: Stahl, Glas und Beton in klaren Formen und einfachen Geometrien zeigen unverschleierte ­Authentizität, Gemeinschaftsräume mildern Anonymität und Isolation der modernen Industriestadt. Soweit die Theorie, nach der auch der Triestiner Quadrilatero 1969–1982 von einem Kollektiv von 29 Architekten und Ingenieuren unter Leitung von Carlo Celli vom Studio Celli Tognion errichtet wurde.

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