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Wenn alles gut ist, gibt es immer noch Krebs

Es gab Krebsfälle in meiner Familie, drei meiner Großeltern sind daran gestorben.
Es gab Krebsfälle in meiner Familie, drei meiner Großeltern sind daran gestorben. imago stock&people
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Ich hatte schon immer Angst davor, an einem Tumor zu erkranken. Auch wenn mir der Grund nicht ganz klar ist, gibt es Hinweise. Drei meiner Großeltern sind daran gestorben.

Die Geschichte meiner Krankheit beginnt an keinem bestimmten Punkt. Rückblickend fühlt sich auch die Angst vor Krebs, die mich so viele Jahre begleitet hat – lange vor der Fehldiagnose im Sommer 2008 und vor der Entdeckung der Tumorerkrankung im August 2017 – wie eine Vorbereitung darauf an. Meine Krankheitsgeschichte beginnt nicht mit der Fehldiagnose. Sie beginnt auch nicht beim leisen Verdacht, dass es nun doch Krebs sein könnte. Vielleicht hat sie nie richtig begonnen, weil alles stufenweise geschah bis ich mich irgendwann mit Schläuchen im Hals in einem Krankenhausbett wiederfand.

Ich hatte schon immer Angst vor Krankheiten. Die Angst davor an etwas, insbesondere an Krebs, zu erkranken, zieht sich durch große Teile meiner Kindheit und Jugend bis zu dem Moment, als diese Angst tatsächlich Wirklichkeit zu werden schien und später wurde. Auch wenn mir der Grund für diese frühe Angst vor Krankheiten und insbesondere Krebs nicht ganz klar ist, gibt es Hinweise. Es gab Krebsfälle in meiner Familie, drei meiner Großeltern sind daran gestorben, von denen ich nur eine Großmutter noch kennengelernt habe.

Dadurch war die Krankheit in meiner Kindheit als diffuses emotionales Rauschen präsent. Auch wenn ich nicht genau wusste, was Krebs eigentlich bedeutet – außer dass etwas im Körper wächst, das tödlich sein kann – war mir die Existenz dieser potenziellen Gefahr bewusst. Zudem hatte ich einmal draußen beim Spielen eine blutige Spritze gefunden und angefasst. Die sorgenvollen Erklärungen meiner Eltern, dass ich das unter keinen Umständen jemals wieder tun dürfe wegen der Gefahr des HI-Virus und anderer Krankheiten, versetzte mich für Tage in Angst. Gleichzeitig war meine Kindheit sehr behütet und harmonisch. Was für die Entwicklung eines Kindes zunächst natürlich von Vorteil ist, schafft jedoch auch Potenzial für die Angst vor einer Zerstörung dieser kindlichen Ruhe.

Mehrere Momente meiner Kindheit kommen mir in den Sinn, in denen ich mir sicher war, ich hätte einen Gehirntumor, weil ich ein Gespräch mitbekommen hatte, in dem es um ein Kind ging, hinter dessen einem Auge ein Tumor gefunden worden war. Von dem Moment an war jeder Kopfschmerz ein Indikator dafür. Jedes unerwartete Drücken, jedes Ziehen, für das es keine direkt erkennbare und harmlose Erklärung gab, war ein Hinweis auf eine schwere Erkrankung, und diese Krankheit war meistens Krebs. Die Autorin Christiane Lenker beschreibt in ihren Krankheitserinnerungen das gleiche Angsterleben in ihrer Kindheit: „Doch bei der kleinsten Blähung meines bisher kerngesunden Leibes dachte ich an Krebs.“

Die Krankheit unserer Generation

Krebs ist für Menschen, für die sich Kranksein in erster Linie symptomatisch ausdrückt, oft die vorstellbarste schwere Erkrankung – es ist seit dem 20. Jahrhundert die „Leitkrankheit Westeuropas und der USA“, schreibt die Historikerin Bettina Hitzer in „Krebs fühlen“, und der Mediziner und Autor Siddhartha Mukherjee nennt Krebs „die Krankheit unserer Generation“. Die Vorstellung, dass man selbst, das nahe Umfeld oder jemand aus der Familie an Krebs erkranken könnte, ist die Grundangst vieler Menschen, wenn es um körperliches Leid geht. Es ist die tödliche Krankheit, die für viele und so auch schon für mich als Kind als am ehesten fassbar und vor allem als am ehesten denkbar erscheint. Vor allem zwei Umstände spielen eine entscheidende Rolle dabei, dass sich Krebs zur omnipräsenten Angstfantasie entwickeln konnte.

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