Gastkommentar

Oh, Österreich, du quasiföderales Konstrukt!

Peter Kufner
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Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern ist einzigartig, unveränderbar und sollte daher verstanden werden.

Wer liebt sie nicht, die Rituale, wenn es um die Verteilung der Steuereinnahmen zwischen dem Bund und den Ländern geht, etwas umständlich genannt: Finanzausgleichsverhandlungen. Die Landeshauptleute und die Landeshauptfrau fordern im Rahmen der Landeshauptleutekonferenz geeint einen größeren Anteil vom Kuchen. Der aktuelle Finanzausgleich hat eine Laufzeit bis Ende 2023, jetzt muss der neue verhandelt werden. Es ist ein einzigartiges Verfahren, dessen historische Ursachen heute nicht mehr verstanden werden und das Österreich als das schrulligste quasiföderale Staatskonstrukt ausweist.

Der Autor:

Gottfried Schellmann ist Steuerberater in Wien und Experte für internationale Unternehmensbesteuerung; Lektor an der FH Campus Wien und der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Verfasser verschiedener Fachbeiträge.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Um Österreich zu verstehen, sollte man daher in das Jahr 1918 zurückblicken: Österreich, der Rest der zerfallenen Monarchie und ein Konstrukt der Friedensverhandlungen von St. Germain fielen quasi vom Himmel, wie die Historikerin Natasha Wheatley diese Vorgänge jüngst in einem Beitrag für das „Spectrum“ der „Presse“ beschrieben hat, indem sie diesen alle historischen Bindungen zu den Habsburgern abwehrenden neuen Staat als „jungfräulich“ beschreibt. So war es auch. Die erste Provisorische Nationalversammlung, die aus den verbliebenen 210 Abgeordneten der Wahl von 1911 zum Reichsrat bestand, beschloss, den selbstständigen Staat Deutsch-Österreich zu gründen. Mit dem Gesetz vom 30. Oktober 1918 wurde mit dem Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt das erste Verfassungsgesetz der neuen Republik erlassen.

Hans Kelsen, der wissenschaftliche Begleiter des österreichischen Verfassungsgeschehens, nennt Österreich in seinem Lehrbuch von 1923 einen zentralistischen Einheitsstaat. Die Länder organisierten sich in Landesversammlungen und gaben sich selbstständige Landesverfassungen. Sie erklärten Beitritte zum neu entstandenen Staat, auf die sich Tirol in der Präambel der Landesverfassung noch heute beruft. Politisch war die Bindung der Bevölkerung zu den Ländern ungleich stärker als zum neu entstandenen Staat. Das Ergebnis der Entwicklung war, dass in der Verfassung 1920 ein politischer Kompromiss mit überwiegenden Elementen eines Einheitsstaates und teilweise eines föderalen Staates gefunden wurde, der bis heute so besteht und unauflöslich ist.

Die mittelbare Bundesverwaltung, nämlich der Vollzug von Bundesrecht durch Landesbehörden, war eine Besonderheit, die sich in keiner anderen föderalen Verfassung wiederfindet.

Bund beschränkt die Länder

Der Bund wollte so viele Kompetenzen wie möglich auf sich vereinigen und die Länder so weit wie möglich beschränken. Heraus kam auch eine Finanzverfassung 1922, die dem Bund die überwiegenden Rechte zur Erlassung der Steuergesetze einräumte (Kompetenzkompetenz) und folglich beinahe die gesamte Abgabenverwaltung bei diesem beließ. Das Finanzverfassungsgesetz 1922 und jenes aus dem Jahr 1948 beinhalteten zeitgeistige Einflüsse der Monarchie, des Ständestaates, aber auch Elemente aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Die Aufteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern ist ebenso ein Ergebnis der politischen Einigung des Jahres 1920. Verglichen mit anderen föderalen Systemen haben die Länder kaum Aufgaben – oder wenn, solche wie in der Schulverwaltung nur unter Mitwirkung des Bundes.

Geteilte Abgaben

Gleichzeitig sind die Länder und Gemeinden Gebietskörperschaften, deren Organe und Institutionen durch Wahlen legitimiert werden und so ihre autonomen, politischen Anliegen entwickeln und entgegen aller Kritik ein unverrückbarer Bestandteil der Republik sind.

Die Aufteilung der Abgaben erfolgt im Rahmen des Finanzausgleichs. Die meisten Steuerarten sind zwischen dem Bund und den Ländern (Gemeinden) geteilte Abgaben. Ausschließliche Bundesabgaben sind unter anderem die Bepreisung der Treibhausgasemissionen, und ausschließliche Landes- (Gemeinde-)Abgabe ist die Kommunalsteuer. Die Steuern sind nach dem sogenannten Kostentragungsprinzip zu verteilen. Im Jahr 2022 wurden 101 Milliarden Euro, etwas mehr als die Hälfte aller Abgaben und Beiträge, über den Finanzausgleich verteilt.

Die Ertragsanteile für Länder und Gemeinden betragen rund ein Drittel. Zusätzlich trägt der Bund im Rahmen der Vereinbarung die Kosten für die Landeslehrer und zahlt unterschiedlichste Zuschüsse an die Länder und Gemeinden, etwa auch Covid-Zuschüsse und andere Bedarfszuweisungen. Ein Ausgleich zwischen Ländern und Gemeinden wird durch Landesumlagen oder Zuschüsse der Gemeinden zur Sozialhilfe, Jugendwohlfahrt und das Spitalswesen erzielt.

Das System macht den Bund – selbst gewählt – zur hilflosen Finanzierungsholding der nachgelagerten Gebietskörperschaften und jedes anderen Vorbringenden von Begehrlichkeiten. Eine Besonderheit ist die Einhebung der Abgaben und Beiträge. Die Finanzverwaltung, die Gemeinden und die Selbstverwaltung (Sozialversicherungsträger) haben beinahe ausschließlich die Unternehmer zu den Einhebungsknechten für den Staat eingespannt wie in keinem anderen Staat.

Kein Politiker, mit Ausnahme der Bürgermeister mit ihrer im homöopathischen Umfang vorgeschriebenen Grundsteuer von 700 Millionen Euro (Niederlande: 5,5 Milliarden), belastet die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar durch eigene Behörden. Alles ist Aufgabe der Unternehmen, die so mehr als 200 Milliarden Euro für den Staat einheben, verpflichtet aufgrund teils unübersichtlicher, kaum vollziehbarer Gesetze.

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Es ist ein schwieriges Fiskal-Sudoku

Die Errechnung der Lohnabgaben mit mehr als 500 Kollektivverträgen, Steuer- und Sozialversicherungsvorschriften ist ein Fiskal-Sudoku höchsten Schwierigkeitsgrades und Ergebnis der schrägen Fantasie der Selbstverwaltung und unvergleichlich komplex. Eine gute Abgabenverwaltung sorgt durch freundlichen Druck für eine kaum vergleichbare Ergiebigkeit der Staatseinnahmen.

In vielen Ländern heben die nachgelagerten Gebietskörperschaften selbst die für ihre Finanzierung notwendigen Steuern unmittelbar bei den Bürgern ein. So ist es in der Schweiz, in den skandinavischen Staaten, in den USA etc. Dort überprüfen die Wähler die Begabungsdichte der zur Wahl stehenden Personen. Wer falsch wählt, muss den Unfug, den Untaugliche veranstalten, aus eigener Tasche begleichen.

In Österreich müssen alle brennen

In Österreich erfolgt die Finanzierung der Talentfreien im politischen Prozess nach dem Versicherungsprinzip: Alle brennen. Die Schwachstelle des Systems ist, wenn die unternehmerischen Menschen einst verstehen, dass ausschließlich sie es sind, die für alles die Verantwortung tragen müssen. Dann stellen sie ihre Tätigkeit ein oder machen sich auf den Weg in Richtung freundlichere Umgebungen. Ändern kann dieses System keine politische Kraft, dafür fehlen einfach die Mehrheiten, folglich sollte es angenommen und verstanden werden.

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„Die Presse“, Print-Ausgabe (12.8.2023)

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