Culture Clash

Untote Unwahrheiten

Der Kollision von „Barbie“ mit dem linksliberalen US-Comedian Bill Maher verdanke ich einen bisher unbekannten, faszinierenden Begriff: die Zombielüge.

Bill Maher ist ein interessanter Fall. Der amerikanische Comedian und TV-Moderator hat tadellose Zeugnisse als Linker der Alten Schule: Er hat Bernie Sanders im Wahlkampf unterstützt, spottet über organisierte Religion, hat sich frühzeitig für „same-sex marriage“ ausgesprochen und sitzt im Vorstand des aktivistischen Tierschutz-Vereins Peta. Er gehört aber auch zur wachsenden Schar ­jener, die sich für Redefreiheit, Diskurs und Nachdenklichkeit einsetzen und sich ideologischen ­Diktaten und Tabus widersetzen. Maher bietet Hassobjekten wie Elon Musk eine Bühne, kritisiert die Cancel Culture, nennt Pubertätsblocker „Experimente, die wir an Kindern durchführen“ und gibt freimütig zu, dass er eine Pistole besitzt.

Maher hat mir kürzlich einen Ausdruck vermittelt, den ich nicht kannte: „zombie lie“ – die Zombielüge. Das ist, laut Maher, „etwas, was nie wahr war, aber immer noch von gewissen Leuten behauptet wird (dass etwa Steuersenkungen für Reiche das Steueraufkommen erhöhen) oder etwas, was nicht mehr wahr ist – von dem aber gewisse Leute behaupten, es wäre immer noch so“. Bill Maher hat sich bei gewissen Leuten gerade unbeliebt gemacht, weil er den Film „Barbie“ als Zombielüge bezeichnet hat: „Barbie“ kämpfe gegen ein Patriarchat, das es so nicht mehr gebe. So bestehe der Konzernvorstand von Mattel im Film – der in der Gegenwart spielt – aus zwölf weißen Männern, während es in Wirklichkeit sieben Männer und fünf Frauen seien.

Es geht mir hier nicht um die Puppe, den Film oder das Patriarchat. Mich fasziniert der Begriff „Zombielüge“. Wir alle kennen so etwas, hatten aber bislang kein Wort dafür. In meinem derzeitigen Wirkungsbereich, der katholischen Kirche, begegne ich zum Beispiel öfters Leuten, die die Kirche ihrer Kindheit – sexbesessen, klerikal-autoritär und Drohbotschaften verbreitend – reformieren wollen, obwohl sie längst nicht mehr so ist (wenn sie denn je so war).

Freilich kann das Wort „Zombielüge“ nicht nur gegen, sondern auch für Ideologien eingesetzt werden, wie ja Mahers eigenes Beispiel zeigt: Ich kenne Ökonomen, die seine Behauptung zu Steuersenkungen als sozialistische Zombielüge ansehen und als Kronzeugen etwa Ronald Reagan anführen würden, der seine Amtszeit mit einer massiven Steuersenkung begann und sie mit einem annähernd verdoppelten Steueraufkommen beendete. Und vielleicht ist „Lüge“ überhaupt ein Begriff, der dem Diskurs nicht guttut. Lasse ich mir doch lieber nachsagen, dass ich Unrecht hätte, als dass ich ein Lügner sei. Auch wenn „Zombielügner“ irgendwie verwegen klingen mag.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com
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