Gastkommentar

Die Rolle des Iran im Nahost-Friedensprozess

Peter Kufner
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Weder das Zustandekommen noch das Scheitern des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses sind ohne den Einfluss des iranischen Regimes zu verstehen.

Vor bald 30 Jahren, am 13. September 1993, kam es zum Handschlag zwischen dem israelischen Premierminister Jitzchak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat, mit dem das Osloer Abkommen besiegelt wurde. Für das Zustandekommen des Nahost-Friedensprozesses waren Voraussetzungen notwendig, von denen einige heute kaum noch im Bewusstsein sind: Vom Erstarken der israelischen Friedensbewegung nach dem ersten Libanon-Krieg und den Erfahrungen mit der Ersten Intifada in den 1980er-Jahren bis zum Zusammenbruch des Warschauer Pakts. Ein entscheidender Aspekt, der allzu oft ignoriert wird, ist die Rolle des antisemitischen iranischen Terrorregimes, das Israel schon Anfang der 1990er-Jahre mit der Vernichtung gedroht hat.

Der Autor:

Stephan Grigat ist Professor für Theorien und Kritik des Antisemitismus an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und leitet das Centrum für Antisemitismus- und Rassismusstudien (CARS) in Aachen. Er ist Research Fellow am Herzl Institute for the Study of Zionism der Universität Haifa sowie am London Centre for the Study of Contemporary Antisemitism und u.a. Herausgeber von „Kritik des Antisemitismus in der Gegenwart: Erscheinungsformen – Theorien – Bekämpfung“ (Nomos 2023).

Ohne diesen Punkt ist nicht zu verstehen, warum Rabin und sein Außenminister Shimon Peres vor 30 Jahren den riskanten Schritt gewagt haben, sich mit Arafat auf einen Friedensprozess einzulassen. Rabin war der erste israelische Premier, der von seinen Geheimdiensten davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass das iranische Regime an einer Nuklearwaffen-Option arbeitet. 1992 billigte er zum einen die Geheimgespräche mit der PLO in Oslo. Zum anderen entschied Rabin sich für die Anschaffung von Langstreckenbombern, die gegebenenfalls in der Lage sein sollten, den Nuklearambitionen der Ajatollahs militärisch Einhalt zu gebieten, und er beauftragte die israelischen Gesandten, für eine scharfe Sanktions- und Isolationspolitik gegenüber dem iranischen Regime zu werben – was bis heute weitgehend gescheitert ist, insbesondere in Österreich.

Rabins Vorhaben ist gescheitert

Die Idee war, die Gefahren an den Grenzen Israels durch Kompromisse in den Griff zu bekommen und den, wie Rabin das nannte, „inneren Gefahrenkreis“ zu neutralisieren, um sich dem „äußeren Gefahrenkreis“ – der heraufdämmernden Bedrohung durch einen sich nuklear bewaffnenden Iran – angemessen begegnen zu können. Diese Konzeption ist in einem Punkt aufgegangen: 1994 kommt es zum Friedensschluss mit Jordanien, der zeigte, dass das Abkommen zwischen Israel und Ägypten von 1979 nicht jene an ein Wunder grenzende Ausnahme bleiben muss, als die es lange gesehen wurde. Ansonsten aber ist Rabins Vorhaben gescheitert – nicht nur, aber doch maßgeblich wegen der Destabilisierungspolitik der Ajatollahs in Teheran.

Der Terror palästinensischer Organisationen eskalierte im israelischen Wahlkampf 1996 und trug entscheidend dazu bei, dass Benjamin Netanjahu mit einem minimalen Vorsprung Peres schlug, der nach der Ermordung Rabins als Spitzenkandidat der Avoda angetreten war. Die Anschläge wurden maßgeblich von Terrorgruppen durchgeführt, die Unterstützung aus dem Iran erhielten. Das iranische Regime, das bereits anlässlich der Nahostfriedenskonferenz von Madrid 1991 zu einer Gegenkonferenz nach Teheran geladen hatte, wollte jegliche Annäherung zwischen der PLO und Israel torpedieren und hoffte, dass der Friedensprozess durch einen Likud-Hardliner sofort gestoppt würde – was allerdings nicht geschah.

Was wollen wir noch anbieten?

Gescheitert ist der Friedensprozess erst durch die Initiierung der Zweiten Intifada ab 2000, die vom iranischen Regime nach Kräften unterstützt wurde. Nachdem Ehud Barak 1999 für die sozialdemokratische Avoda die Wahlen gegen Netanjahu gewonnen hatte, wagte er ein von Bill Clinton unterstütztes Entgegenkommen, das einen historischen Durchbruch hätte bedeuten können – wäre es nicht von palästinensischer Seite abgelehnt worden: Der zukünftige, weitgehend entmilitarisierte palästinensische Staat sollte den Gaza-Streifen und bis zu 96 Prozent der Westbank sowie Gebietskompensationen für die großen Siedlungsblöcke umfassen. Arafat lehnte das ab und insistierte auf dem „Rückkehrrecht“ auch für die Nachkommen der palästinensischen Flüchtlinge. Dessen Implementierung würde das Ende Israels als jüdischem Staat bedeuten und wird auch von linken Israels abgelehnt. Die Autonomiebehörde begann, wie später mehrere ihrer Funktionäre bestätigt haben, die Zweite Intifada zu planen, in der über tausend Israelis ermordet wurden.

Seit Ehud Baraks Angebot, das den Oslo-Prozess zum Abschluss hätte bringen sollen, stellen sich auch kompromissbereite Israelis die Frage: Was sollen wir anbieten, was wir nicht schon angeboten haben, aber von der Gegenseite abgelehnt wurde? Alles, was über die Angebote des letzten sozialdemokratischen Premier Israels entscheidend hinausgehen würde, gefährdet die Sicherheit ihres Staates, die auch für die zionistische Linke nicht verhandelbar ist. Ein bis heute nachwirkendes Ergebnis dieser Entwicklungen war dementsprechend der Kollaps der israelischen Linken: In Reaktion auf die erste Terrorwelle zum Beginn der Zweiten Intifada gewann Ariel Sharon 2001 für den Likud die Wahl gegen Barak. Heute stellt die Avoda als maßgebliche Protagonistin des Friedensprozesses der 1990er-Jahre nur mehr vier der 120 Knesseth-Abgeordneten, während es 1992 noch 44 waren.

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Es ist mittlerweile unklar, ob eine „Zwei-Staaten-Lösung“ überhaupt noch eine realistische Option ist – ganz unabhängig von der Diskussion, ob sie wünschenswert wäre. Klar ist hingegen, dass ein realistischer Blick auf die Geschichte der palästinensischen Verweigerungshaltung, des islamischen Antisemitismus und der panarabischen Versuche, den jüdischen Staat zu vernichten, eine Grundvoraussetzung für eine zukünftig stärker auf Verständigung und Aussöhnung orientiere Politik darstellt.

Schwerste innenpolitische Krise Israels in seiner Geschichte

Israel ist gegenwärtig mit einer der schwersten innenpolitischen Krisen seiner 75-jährigen Geschichte konfrontiert. Wie eine zionistische Staatlichkeit als Schutz für alle vom Antisemitismus Bedrohten im Einzelnen auszugestalten ist, wird auch in den kommenden Jahren Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen sein – ganz so, wie sie schon die frühe zionistische Bewegung zu Zeiten Theodor Herzls geprägt haben. In jedem Fall müsste, wer weiterhin auf eine substantielle Verbesserung der politischen und gesellschaftlichen Konstellationen im Nahen Osten hofft, konsequent all jene Kräfte bekämpfen, die weiterhin die israelische Staatsgründung revidieren möchten. Das Zurückdrängen des katastrophalen Einflusses des Regimes in Teheran wäre eine Grundbedingung für einen neuen Anlauf für eine palästinensisch-israelische Annäherung. Diese könnte zukünftig vermutlich auch von der arabisch-israelischen Annäherung der letzten Jahre profitieren: Die Abraham Accords, mit denen Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrein und Marokko (und perspektivisch hoffentlich auch Saudi-Arabien) ihre Beziehungen mit dem jüdischen Staat normalisiert haben, sind 30 Jahre nach dem Osloer Abkommen eine der wenigen positiven Entwicklungen in der Region des Nahen Ostens – und ein Gegenmodell zum iranischen Expansionsstreben und Israelhass. Einer der wichtigsten Kritikpunkte an der aktuellen israelischen Rechtsregierung ist dementsprechend, dass sie durch ihr Agieren Fortschritte in diesem vielversprechenden Prozess deutlich schwieriger macht.

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