Adolf Hitler im Gespräch mit Otto Skorzeny (Mitte), der für die „Befreiung des Duce“ mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde.
Geschichte

Der Mythos von Mussolinis Befreiung am Gran Sasso

Vor 80 Jahren wurde Benito Mussolini von einem deutschen Kommando befreit. Das machte den Wiener SS-Mann Otto Skorzeny weltbekannt. Doch der berühmte »Handstreich« fand so nie statt.

Es ist ein hartnäckiger Mythos des 2. Weltkrieges: Am 12. September 1943 wurde der gestürzte italienische Diktator Benito Mussolini von deutschen Soldaten befreit. Dieses „Unternehmen Eiche“ gilt seitdem als waghalsiges Meisterstück, das sogar in einem sowjetischen Kriegsfilm von 1970 nachgestellt wurde. Der rumänische Schauspieler Florin Piersic verkörpert darin Otto Skorzeny – jenen SS-Offizier, der zu Mussolini gesagt haben soll: „Duce, der Führer schickt mich. Sie sind frei.“ Der Name Skorzeny ist seitdem untrennbar mit den Ereignissen rund um das „Gefängnis“ Mussolinis auf dem Plateau des Gran Sasso nordöstlich von Rom verbunden.

Respekt zollte sogar US-Admiral William H. McRaven, Befehlshaber von Operation „Neptun Spear“, die 2011 zum Tod von Osama bin Laden führte. In seiner Abschlussarbeit von 1993 behandelte McRaven die Mussolini-Befreiung als Fallstudie zur Untermauerung seiner Theorie von erfolgreicher Kriegsführung mit Spezialstreitkräften.

Doch wie viel Wahrheit steckt in dem Mythos? Eine halbe Stunde vor dem Eintreffen der Deutschen erhielt der Kommandant der Mussolini-Wachmannschaft eine Mitteilung von Carmine Senise. Das war der Polizei- und Sicherheitschef der Regierung Badoglio, die Mussolini im Sommer 1943 abgesetzt hat. Nun empfahl Senise „maximale Vorsicht“. Das wurde als Aufforderung verstanden, den „Duce“ kampflos aus der Hand zu geben. Denn Adolf Hitler hatte den Abfall des Bündnispartners Italien nicht hingenommen und Teile des Landes besetzen lassen. Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, war es der Regierung Badoglio nur recht, Mussolini loszuwerden. Deshalb hielt die überwiegende Mehrzahl der 73 Bewacher auch Mittagsruhe als die zehn deutschen Lastensegler landeten. Automatische Waffen und Munition waren hinter Schloss und Riegel.

Skorzeny hatte weder den Plan für „Unternehmen Eiche“ ausgearbeitet, noch war ihm bei der Ausführung eine Hauptrolle zugedacht. Er und seine 16 SS-Männer hatten die Aufgabe, die Landezone zu sichern, während das Fallschirmjäger-Lehrbataillon Mussolini befreien würde. Doch durch Zufall setzte jener Lastensegler mit den SS-Männern an Bord als erster auf und zwar in unmittelbarer Nähe des Berghotels „Campo Imperatore“. Dort wurde Mussolini im Zimmer 220 festgehalten.

Skorzeny lief los, seine Leute folgten ihm. Beinahe hätte sie eine eineinhalb Meter hohe Terrasse an der Vorderseite des Hotels gestoppt. Nur unter Schwierigkeiten gelang es den SS-Männern, das Hindernis zu überwinden. Denn sie hatten noch am Startflugplatz „zu viel Speck, Wurst und Schokolade genossen und ihr kleines Fläschchen Rum getrunken“, wie es einer der Beteiligten schilderte. Die Folge war, dass fast allen auf dem ruckeligen Flug speiübel wurde. Und so stieß Skorzeny „gerade mit zwei, drei Männern“ zum Hoteleingang vor und drängte sich einen Weg durch die „völlig fassungslosen“ Bewacher. Im ersten Stock stieß Skorzeny eine Tür auf und fand Mussolini. Drei anwesende italienische Offiziere mussten die Hände hochnehmen und wurden dann aus dem Raum bugsiert.

Mehr als Handgreiflichkeiten waren also nicht notwendig gewesen. Nur die Bruchlandung der Lastensegler hatte einige Verletzte auf deutscher Seite gefordert. Später posierten die italienischen Wachen sogar immer noch bewaffnet für Fotos mit dem zerknirschten Mussolini und den „Befreiern“. Hatte doch Skorzeny selbst dafür gesorgt, dass ein Kriegskorrespondent und ein Fotograf mitgenommen wurden. So war es möglich, die ganze Aktion für die SS zu vereinnahmen. Dazu gehörte auch, Mussolini persönlich an Hitler zu übergeben. Zu diesem Zweck wurde der „Duce“ mithilfe eines Kleinflugzeugs ausgeflogen. Skorzeny bestand darauf, sich in die enge Kabine mithineinzuzwängen. Nur dem Geschick des Piloten war es zu verdanken, dass die Maschine trotz des Übergewichts hochzog und nicht gleich abstürzte. „Unternehmen Eiche“ war damit beendet und wurde von der NS-Propaganda im großen Stil abgefeiert. Den einst so stolzen Mussolini setzte man an diese Spitze eines faschistischen Marionettenstaats in Norditalien. Am 28. April 1945 wurde er von Partisanen erschossen.

Jahrzehnte später ließ der frühere Fallschirmjäger-Kommandant und nunmehrige Agent im Bundesnachrichtendienst (BND), Harald Mors, aufhorchen. 1973 sagte er in einem Interview für eine italienische Publikation, Skorzeny sei nur als „Beobachter“ mit dabei gewesen. Doch der Mythos erwies sich als stärker. Mit seinen 1959 erschienen Memoiren hatte Skorzeny selbst kräftig mit Hand angelegt. Er stilisierte sich zu einem politisch neutralen Soldaten, der eine neue Form der Kriegführung geprägt hatte.

Tatsächlich waren Skorzenys Einsätze zwischen 1943 und 1945 vor allem verlustreiche Fehlschläge gewesen. Zuletzt zog er sich mit rund 300 Mann verschiedener SS-Sonderverbände auf Almen zwischen Annaberg, Bad Mitterndorf und Kitzbühel zurück. Dort sollte dieses „Schutzkorps Alpenland“ einen Guerillakrieg führen. Doch Skorzeny sah die Aussichtslosigkeit ein und ergab sich am 16. Mai 1945 der vorrückenden US-Armee.

Exil in Spanien.

Er musste sich vor einem US-Militärtribunal verantworten. Aber obwohl ihn der Chefankläger als „gefährlichsten Mann Europas“ bezeichnete, wurde Skorzeny 1947 freigesprochen. Dann gelang die Flucht aus einem Internierungslager in Darmstadt. Wie viele andere Ex-Nazis ging Skorzeny 1950 ins Exil nach Spanien, wo der faschistische Diktator Francisco Franco noch immer das Sagen hatte. In der Madrider Calle Montera richtete Skorzeny unter dem Alias Rolf O. S. Steinbauer eine Import-Export-Firma ein. Der Start war holprig. Ein US-Offizier der Madrider Botschaft half dem klammen Skorzeny dabei, einen Weihnachtsbaum außerhalb der Stadt zu schlägern.

Doch dann gelang es Skorzeny, Generalvertreter einiger namhafter deutscher Unternehmen zu werden. Unter anderem vermittelte er lukrative Bauaufträge zur Errichtung von Nato-Stützpunkten in Spanien. Auch ein Schwergewicht in Österreich profitierte, die verstaatlichte Voest. 1964 meldete der „Kurier“: „Mussolini-Befreier Otto Skorzeny wurde internationaler Vertreter der Voest“. Der Umfang der von Skorzeny eingefädelten Deals machte 7,6 Millionen Schilling aus, ergab eine parlamentarische Anfrage. Weitere Gewinne erwuchsen Skorzeny aus Immobilien- und Waffengeschäften. Auf Mallorca, wo er eine Finca besaß, erinnert man sich bis heute an ihn. Skorzeny habe mit dem Trinkgeld geknausert und einen Teil der Küste zum Privatstrand umfunktioniert.

Immer wieder versuchte Skorzeny mit seiner „Expertise“ bei westlichen Geheimdiensten anzudocken. Es war aber ausgerechnet der israelische Mossad, der ihn rekrutierte. 1963 boten zwei Emissäre „Freiheit von der Angst“ an, eine Sicherheitsgarantie Israels, dass Skorzeny künftig keine Verfolgung zu befürchten habe. Im Gegenzug beschaffte Skorzeny über einen früheren Untergebenen „unschätzbare“ Informationen über die Aktivitäten deutscher Raketenwissenschaftler in Ägypten. Das trug zum Scheitern dieses Rüstungsunternehmens bei. Skorzenys Führungsoffizier erinnerte sich an einen „Hünen“ mit Schmissnarben und einem Monokel im rechten Auge: „Er sah aus wie der vollendete Nazi.“

Trotzdem war der Mossad-Offizier 1975 mit dabei, als Skorzenys Asche auf dem Döblinger Friedhof beerdigt wurde. Für den Israeli ein persönlicher Tribut an den besten und gleichzeitig verabscheuungswürdigsten Spion, mit dem er jemals zu tun hatte. Eben dieses dramatische Schlusskapitel von Skorzenys Biografie wird derzeit von Regisseur Doug Liman („The Bourne Identity“) für eine TV-Serie adaptiert.

Zur Person

Thomas Riegler ist Historiker in Wien und forscht am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). Im Vorjahr erschien sein neues Buch: „Österreichs geheime Dienste: Eine neue Geschichte“.

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