Quergeschrieben

Verfahren eingestellt und noch ein Freispruch: Ist #MeToo am Ende?

In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Umgang mit sexueller Gewalt verändert. War alles umsonst? Was hat die #MeToo-Bewegung erreicht?

Na immerhin. „In manchen Situationen war es sehr hilfreich für Frauen“, sagte der US-Filmemacher Woody Allen am Montag bei den Filmfestspielen in Venedig. „Es“, das ist die #MeToo-Bewegung, die nach Ansicht mancher gerade einen Tiefpunkt erreicht hat, ja vielleicht sogar am Ende ist.

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Vergangene Woche gab die Berliner Staatsanwaltschaft bekannt, das Verfahren gegen Till Lindemann, den Sänger der deutschen Band Rammstein, einzustellen. Es gebe nicht ausreichend Beweise, dass Lindemann Frauen zu sexuellen Handlungen genötigt habe. Im Juli wurde der US-Schauspieler Kevin Spacey in London freigesprochen; mehrere Männer hatten ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen.

Und auch Woody Allen, dessen Stieftochter ihm vorwirft, sie in ihrer Kindheit sexuell missbraucht zu haben, wurde nie verurteilt. Das Gericht sah damals von einem Verfahren ab, weil es dem Kind nicht zumutbar war, bezeichnete Allens Verhalten aber als „höchst unangebracht“. In Venedig präsentierte Allen seinen 50. Film. War alles umsonst? Was hat die #MeToo-Bewegung knapp vor ihrem sechsten Geburtstag – die erste bahnbrechende Recherche der „New York Times“ über massiven sexuellen Missbrauch durch den Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein ist Anfang Oktober 2017 erschienen – erreicht?

Es gibt unterschiedliche Narrative. Sieht man sich gerichtliche Verurteilungen an, ist es immer auch eine Frage der Perspektive: Zu jedem Zeitpunkt finden sich Beispiele von Tätern, die verurteilt wurden. Das Strafrecht ist also keineswegs zahnlos. Weinstein sitzt im Gefängnis, ebenso der US-Rapper R. Kelly und Ghislaine Maxwell, die gemeinsam mit Jeffrey Epstein Menschenhandel betrieben hat. Bill Cosby saß zumindest eine Zeit lang ein.

Die Frage ist, wie der Erfolg der Bewegung gemessen wird. Verurteilungen sind dabei aber nur ein Maßstab von mehreren. Reformen und Initiativen wären ein weiterer. Und da zeigt auch der Blick auf Österreich, dass sich einiges getan hat: Schon seit 2018 soll die Kampagne „Ich bin dein Rettungsanker“ der Stadt Wien in verschiedenen Bereichen, darunter auch in der Nachtgastronomie, den richtigen Umgang schulen und sexualisierter Gewalt vorbeugen. Seit dem Vorjahr gibt es mit Vera eine Anlaufstelle für Machtmissbrauch in der Kulturbranche sowie im Sport. Das Frauennetzwerk Medien ersinnt gerade ein Konzept für eine solche Stelle, die der Medienbranche dienen soll. Und im türkis-grünen Regierungsprogramm wird eine Stärkung der Gleichbehandlungsanwaltschaft versprochen.

»Die Frage ist, wie der Erfolg der Bewegung gemessen wird. Verurteilungen sind dabei nur ein Maßstab. «

Natürlich gibt es noch Lücken. So ist beispielsweise die Anzahl der Rechtsschutzfonds noch rar. Wer vor Gericht geht, riskiert oft eine Gegenklage, etwa wegen Diffamierung. Auch deshalb gibt es noch immer verhältnismäßig wenige Anzeigen; zuletzt ist die Zahl der Anzeigen wegen Sexualstraftaten in Österreich leicht gestiegen.

Schließlich wäre da der Kulturwandel. Er ist nur schwer in Zahlen zu fassen, doch er existiert. Bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft werden etwa Schulungen, um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu vemeiden, seit #MeToo so stark nachgefragt, dass gar nicht alle bedient werden können. Langsam sickert zudem die Erkenntnis durch, dass die Unschuldsvermutung nicht nur für vermeintliche Täter, sondern auch für (vermeintliche) Opfer gilt: Es ist zunächst davon auszugehen, dass sie die Wahrheit erzählen. Sonst wirft man der Person ebenfalls eine Straftat vor.

Zu guter Letzt zeigt die aktuelle Berichterstattung über das Wiener Nachtleben, dass sexuelle Übergriffe ein Thema geworden sind, über das geredet wird. Es gibt nun eine Sprache für Dinge, über die zuvor geschwiegen wurde, weil sie keinen Platz im Diskurs hatten.

Wenn Woody Allen sagt, #MeToo könne „sehr hilfreich für Frauen“ sein, hat er recht. Aber nur teilweise. Denn es sind nicht nur Frauen, die davon profitieren. Sondern alle, die von Machtmissbrauch betroffen sein können. Also wir alle.

Zur Autorin:

Anna Goldenberg ist Journalistin und Autorin („Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete“, 2018, Zsolnay) und lebt in Wien. Sie schreibt hier im 14-Tage-Rhythmus abwechselnd mit dem Journalisten Thomas Weber.

Morgen im „Quergeschrieben“: Christian Ortner

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