Lyrik und Liaison

Die über Ingeborg Bachmann forschende Andrea Stoll hat eine etwas distanzlose und (zu) flotte Biografie über die Klagenfurter Autorin verfasst, gestützt auf unveröffentlichte Briefe und Aussagen der Bachmann-Erben.

In den vergangenen Jahren war die Biografie in der Literaturwissenschaft eines der am intensivsten umstrittenen Genres. 2005 hat man in Wien ein eigenes Boltzmann-Institut zu seiner Erforschung gegründet. Glanz und Elend des Biografischen wurden an keiner Autorin so heftig diskutiert wie an Ingeborg Bachmann. So sind 1999 zwei konkurrierende Bachmann-Gesamtdarstellungen erschienen, eine von dem Salzburger Germanisten Hans Höller, die andere von der Berliner Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel. Während Weigel in der Tradition des Poststrukturalismus meinte, die Biografie sei ein Tabuthema und Fluch zeitgemäßer Kulturtheorie, setzte dem Höller entgegen, dass die heutige Biografik – wie die moderne Literatur selbst – längst „das Bewusstsein der Konstruktion in das Erzählen aufgenommen“ habe und genauso reflektieren könne wie ihr Gegenstand.

Spätestens seit der Diskussion um Weigels „antibiografische“ Biografie mit dem programmatischen Untertitel „Hinterlassenschaften unter Wahrung des Briefgeheimnisses“ kristallisieren sich am „Fall“ Bachmanns konträre Zugänge der Rekonstruktion des Zusammenhangs oder der Dissoziation von Person und Werk heraus. Daher stellt es ein Wagnis dar, wenn die durch ihre Dissertation und andere Arbeiten ausgewiesene Bachmann-Forscherin Andrea Stoll in diesem heiß umkämpften Feld nun in den Ring steigt und dabei die Nachfolge Höllers antritt. Sie stützt sich bei ihrer sehr kenntnisreichen Erklärung des Werks aus dem Leben auf eine Vielzahl von zum Teil unveröffentlichten Briefen und Gesprächen mit den Bachmann-Erben und kann auf dieser Basis manche Irrtümer korrigieren.

Als Herausforderung einer reflektierenden Biografik hatte Höller „die Frage der Konstruktion von Lebensgeschichte und damit der Lesbarkeit kultur- und sozialgeschichtlicher Zusammenhänge“ erkannt. Insbesondere die Lesbarkeit scheint auch Stoll ein Anliegen zu sein, wie aus ihrer flott geschriebenen und ansprechend gestalteten Lebensbeschreibung deutlich wird. Um ihr Publikum mitzunehmen, schreibt sie etwa über die Begegnung Bachmanns mit Hans Werner Henze: „Zwei Königskinder fassten sich da ins Auge und erkannten einander. Was sich da auf Burg Berlepsch bei Göttingen ereignete, war nichts weniger als ein Coup de foudre zweier seelenverwandter Schönheitssucher.“ Muss eine Biografie solche Sätze enthalten, um in einem Publikumsverlag erscheinen zu können? Der Vorteil abgedroschener Formulierungen, die einer Illustrierten entstammen könnten, besteht darin, dass sie bewusst machen, wogegen sich die antibiografische Polemik seinerzeit gerichtet hat.

Problematisch werden unbedacht verwendete Floskeln dann, wenn sie den historischen Gegenstand mehr ver- als aufdecken, wie im Fall der komplexen Beziehung zwischen Bachmann und Paul Celan: „Paul Celan, dem es bei seinem, übrigens nur durch Ingeborg Bachmanns Initiative möglich gewordenen, ersten Auftritt vor der Gruppe 47 ungleich schlechter erging (als ihr), schäumte vor Eifersucht und Wut.“

Kein Wort fällt hier über die antisemitischen Hintergründe des Gelächters der versammelten Ex-Wehrmachtssoldaten bei Celans Lesung. Insbesondere in der Rekonstruktion von Liebesdingen rückt die Biografin ihrer Dichterin so nahe, als ob sie selbst involviert wäre: „Und ganz so unverbindlich können die Blicke zwischen dem ,Bürgerschreck‘ und der jungen Schriftstellerin nicht gewesen sein. Nein, was sich zwischen diesen beiden ereignet hatte, war kein Flirt mehr, es war das mit der Shoah unfassbar gewordene Leben.“ Passagen wie diese lassen es an jenem Sprachgefühl missen, das Stoll an ihrer Autorin so rühmt: „Nach Jahren der Todesangst sollte ihm ausgerechnet die Tochter eines Nazi-Offiziers zur poetischen Geburtshelferin werden – ein Konflikt, an dem sich der Jude Celan wund rieb.“ Auffallend häufig „stockt“ den zwei Dichtern „der Atem“, besonders aber jener der Biografin, die stets empathisch mitfühlt.

Dabei hatte die 21-jährige Studentin Bachmann ihren Eltern über eine frühe Begegnung ganz unpathetisch berichtet: „Der surrealistische Lyriker Paul Celan hat sich herrlicherweise in mich verliebt, und das gibt mir bei meiner öden Arbeiterei doch etwas Würze.“ Das von Stoll gezeichnete Bild einer beiderseitig von Anbeginn belasteten Liebe wird von diesen entwaffnend nüchternen Worten nicht unbedingt gestützt. Insgesamt erfährt man bei der Lektüre der Biografie mehr implizit als explizit, wie konsequent die junge Autorin ihre privaten Bedürfnisse der künstlerischen Karriere unterordnete.

So richtig die Hinweise auf die bleierne Atmosphäre im Nazi-geprägten Nachkriegs-Wien sind, so sehr vermag es zu erstaunen, mit welcher Geschwindigkeit die gerade 20-jährige attraktive Autorin in die maßgeblichen Zirkel vordrang. Rasant avancierte sie zu einer Freundin bedeutender Männer, wobei sie den meisten von ihnen bald über den Kopf wuchs.

Es spricht nicht gegen Bachmann, sondern gegen die herrschenden Geschlechterverhältnisse, dass der Weg „nach oben“ auch durch Betten verlaufen ist, wie ihre Liaison mit Hans Weigel zeigt. Dennoch scheint es überflüssig, etwa Max Frisch, mit dem sie eine weitere Liebesbeziehung unterhalten hat, zu einem nur „aus dem Bauch heraus“ schreibenden, alkoholseligen „Macho-Erzähler“ zu denunzieren, der „seine Sprachwahrnehmung und sein Erzählen niemals einer grundsätzlichen Reflexion unterzogen“ habe. Warum hätte Bachmann, die im Übrigen bald selbst an Abhängigkeiten litt, sich in einen solchen Kleingeist verlieben sollen?

Ihre Biografin indes identifiziert sich distanzlos mit ihrer Autorin und sieht das Scheitern der Beziehung von vornherein ab: „Frischs Ahnung trog nicht. Und auch Bachmann musste Zweifel empfunden haben.“ Denn: „Das faustische Unbedingte, das Bachmanns Schreiben immer angetrieben hatte, war für den literarischen Baumeister Frisch nur schwer erträglich.“ Misslich bloß, dass just „faustisches“ Streben der jüngeren Goethe-Forschung als fragwürdig gilt.

Man hätte sich das von Stoll bei Frisch vermisste Sprachbewusstsein für ihre Biografie gewünscht. Ihre Unbedachtheit produziert Sätze wie: „Perkonig gehörte zweifellos zum kulturellen Establishment des Austrofaschismus und bezog daraus eine ganze Reihe gesellschaftlicher und materieller Vorteile während der Nazi-Zeit.“ Solche Ungenauigkeiten können kaum mit dem Postulat der Lesbarkeit legitimiert werden. Gemeinplätze gerinnen trotz oder wegen ihrer Arglosigkeit ungewollt zur Lüge. Hans Höller hatte gemutmaßt: „Vielleicht ist die Biografie auch deshalb der akademischen Literaturwissenschaft so suspekt, weil ihr Lesepublikum so weit über den Kreis der akademischen Forschung hinausreicht.“ Stoll wird vermutlich eine breitere Resonanz als die übliche Literaturwissenschaft haben, die sich an ihrem Stil aber deshalb kein Beispiel nehmen sollte. ■

Andrea Stoll

Ingeborg Bachmann

Der dunkle Glanz der Freiheit – Die Biografie. 384S., geb., €23,70 (C. Bertelsmann Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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