In Syrien werden gerade die Karten neu gemischt

Die Opposition zersplittert immer mehr, die Radikalen haben Auftrieb.

Entscheidende Variablen haben sich in den vergangenen Wochen im Syrien-Konflikt verändert. Die wichtigsten sind: erstens der überraschend schnelle Beitritt Syriens zur Chemiewaffen-Konvention; zweitens weitreichende Machtverschiebungen in den Reihen der radikalen und der moderaten Opposition.

In Istanbul ließ Georges Sabra, Präsident des Syrischen Nationalrats (SNC), wissen, dass seine Oppositionsgruppe aufgrund der aktuell schwachen Position im Kampf gegen das Regime von Bashar al-Assad im November nicht an der geplanten Syrien-Konferenz in Genf teilnehmen wird. Sollte die große Schirmorganisation der Opposition – die Syrische Nationale Koalition mit Sitz in Doha – trotzdem nach Genf kommen, wollen Sabra und sein SNC diese Koalition aus Protest verlassen. Damit wäre ein wichtiger Teil der moderaten Opposition schon vor Beginn von Gesprächen aus dem Spiel.

Noch komplexer wird es, wenn man die jüngsten Umwälzungen im Lager der radikalen Opposition betrachtet. Dieses setzt sich aus Al-Nusra, dem „Islamischen Staat im Irak und Syrien“ (ISIS), der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) sowie der „Armee des Islam“ (bestehend aus 43 Brigaden) zusammen.

Zugedrehter Geldhahn

Der Islamische Staat und dessen Emir, al-Baghdadi, haben aufgrund von Meinungsverschiedenheiten Al-Nusra fallen gelassen und den Geldhahn zugedreht. Diese Entscheidung hat sogar den Anführer des Terrornetzwerks al Qaida, Aiman al-Zawahiri, dazu bewogen, den Islamischen Staat zurechtzuweisen und den Abzug der Söldner zu verlangen. Aber auch diese Forderung wurde ignoriert.

ISIS ist die autonomste Kraft der radikalen Opposition. Er erhält großzügige Unterstützung von den Golfstaaten und kontrolliert Ölfelder im Irak und in Syrien, die die Haupteinnahmequellen darstellen. In kontrollierten Gebieten setzt er im Namen der Scharia Verschleierung, Rauch- und Trinkverbot sowie brutale Hinrichtungen durch.

Infolge des versickernden Geldflusses an Al-Nusra verlieren deren Kämpfer an Moral und beginnen zu desertieren. Die Gruppe kann zwar weiterhin auf große Waffenbestände zurückgreifen, Al-Nusra als offizieller bewaffneter Arm von al Qaida hat aber große Probleme, die wachsende Zahl von Dschihadisten hinter ihrer Front zu vereinigen.

Geheimgespräche mit Regime

Teile der FSA, die am längsten gegen das Regime kämpft, haben vor einigen Wochen begonnen, sich im Geheimen der syrischen Regierung anzunähern. Repräsentanten der FSA forderten von Assad einen innersyrischen Dialog, die Wahrung von Eigentumsrechten, ein Ende der konfessionellen Konflikte und ein demokratisches Syrien in der Zukunft. Assad verlangt einen Dialog ohne Vorbedingungen.

Als Reaktion hat die Freie Syrische Armee bereits in einigen der von ihr kontrollierten Gebiete etliche Schulen, Universitäten und Regierungseinrichtungen wieder öffnen lassen. Viele Mitglieder der FSA sehen ihre „Revolution“ durch die aufkeimenden extremistischen Elemente sabotiert. Nicht zuletzt stellen diese auch eine große Bedrohung für die christliche Minderheit in Syrien dar, wie kürzlich Angriffe auf Kirchen in Raqqa und Maaloula gezeigt haben.

Mit der immer größeren Zersplitterung der Opposition, dem Auftrieb von radikalen Gruppen und deren internen Machtkämpfen wird immer unklarer, wer überhaupt noch Kontrolle und Autorität in Syrien hat. Genf rückt weiter in die Ferne, und niemand weiß, wer am Tisch der Opposition sitzen wird. Alles, was sich der Westen als Opposition gewünscht hat, scheint sich in Luft aufzulösen.

Matthias Kyska ist Student der Orientalistik (Arabisch) und Philosophie an der Universität Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2013)

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