Barrierefreiheit: Mahnung für Länder

Erwin Buchinger
Erwin Buchinger Clemens Fabry
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Ziel des Behindertenanwalts des Bundes ist die „Gleichstellung Behinderter so wie bei den Frauen“. Erwin Buchinger drängt die Regierung, das Pflegegeld zumindest einmal zu erhöhen.

Wien. Er hat eben das Dekret des Sozialministeriums erhalten. Aber nicht nur der Behindertenanwalt des Bundes bleibt in den kommenden vier Jahren mit Erwin Buchinger der gleiche. Auch die zentralen Herausforderungen sind die gleichen wie in seiner ersten Amtsperiode: Bildung, Arbeitsmarkt sowie Barrierefreiheit. Der 58-jährige ehemalige Sozialminister gibt sich gar keinen Illusionen hin. „Das ist alles mühevolle Kleinarbeit. Die wird auch in den nächsten vier Jahren erforderlich sein“, betont Buchinger im Interview mit der „Presse“. Er hat eine übergeordnete Perspektive für seine Tätigkeit vor Augen: „Insgesamt ist das Ziel, dass die Gleichstellung der behinderten Menschen genauso selbstverständlich wird wie die Gleichstellung der Frauen.“

Der Behindertenanwalt sieht schon jetzt eine besondere Herausforderung auf öffentliche Hand und Privatwirtschaft zukommen. Denn Ende 2015 läuft die Übergangsfrist für die Umsetzung der Barrierefreiheit für den Altbestand bei Bauten aus. Man dürfe mit den Maßnahmen nicht erst ab 1. Jänner 2016 beginnen. „Da ist viel zu tun“, warnt Buchinger, der nach der Geburt seines zweiten Kindes selbst von Ende Februar bis Ende April wie in seiner ersten Amtsperiode in Väterkarenz gehen wird.

Seit 2006 gebe es Etappenpläne für die Barrierefreiheit. Er mahnt vor allem die Bundesländer, denn in keinem einzigen sei ein Etappenplan gesetzlich festgelegt. Vordringlich ist für ihn, dafür das nötige Bewusstsein zu schaffen. Im Einzelfall werde es dann Schlichtungsverfahren und Klagen geben. In der Privatwirtschaft zeigt sich ein ganz unterschiedliches Bild. Manche Unternehmen seien vorbildlich, wie etwa Handelsketten. Schlecht ist es hingegen um den barrierefreien Zugang für Behinderte vor allem in ärztlichen Ordinationen bestellt.

Arbeitslosigkeit hat Folgen

Bildung sei für Behinderte „das Fundament, um im Leben überhaupt Fuß fassen zu können“, betont der geborene Mühlviertler. Noch immer sei der Anteil behinderter Jugendlicher in höheren Schulen und Universitäten sehr niedrig. Die Rekordarbeitslosigkeit trifft behinderte Menschen besonders. Deren Arbeitslosenquote sei um 50 Prozent höher als die nicht behinderter Menschen. Umgekehrt sei die Beschäftigtenquote bei Behinderten mit 58 Prozent um 20 Prozentpunkte niedriger als allgemein mit 78 Prozent. „Diskriminierung ist in der Arbeitswelt allgegenwärtig“, beklagt er. Eine Ursache dafür sei, dass gerade in der Krise Unternehmen bei Personaleinstellungen noch mehr darauf achten würden, die bestmöglichen Bewerber zu bekommen.

Der Behindertenanwalt des Bundes scheut im Interview mit der „Presse“ nicht vor Kritik an der neuen Bundesregierung zurück. Das war einer der Gründe, warum ausgerechnet der FPÖ-Politiker und Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer anders als die Grünen die Wiederbestellung des SPÖ-Mannes Buchinger begrüßt hat.

„Kämpfe um eine Erhöhung“

Was das Regierungsabkommen zur Behindertenpolitik betrifft, „hält sich meine Zufriedenheit in engen Grenzen“, stellt er fest. Positiv sei der Nationale Aktionsplan für Behinderte. Allerdings seien konkrete Vorhaben zur Gleichstellung Behinderter nicht zu finden: „Das bleibt unverbindlich.“ Das entspreche daher nicht den Erwartungen und Hoffnungen behinderter Menschen. Enttäuschend sei vor allem, dass im Gegensatz zur Familienbeihilfe auch keine einmalige Erhöhung des Pflegegeldes vorgesehen sei. Buchinger kündigt deswegen an, dass dieser Punkt für ihn „ganz, ganz vorn“ bei seiner Tätigkeit stehe werde. Wenn schon keine jährliche Valorisierung möglich sei, so müsse es zumindest eine einmalige Erhöhung des Pflegegeldes in der neuen Legislaturperiode bis 2018 geben. „Dafür werde ich kämpfen“, versichert Buchinger.

Bei der Pflege weist er auf ein weiteres Problem hin. Über eine Abschaffung des Pflegeregresses, wenn Menschen in ein Heim gehen, sei bei den Koalitionsgesprächen diskutiert worden. Es gebe aber in einigen Bundesländern auch einen Regress, also den Zugriff auf Vermögen, vonseiten der Behindertenhilfe. Erbe beispielsweise ein Behinderter in Niederösterreich einen Anteil an einem Haus, greife die Behindertenhilfe darauf zurück, in Wien sei das nicht der Fall. Buchinger tritt für eine bundesweit einheitliche Vorgangsweise „am besten mit Verzicht auf den Regress“ ein.

Kritik an der Steiermark

Scharfe Kritik übt er am Land Steiermark, wo es einen Pflegeregress von Angehörigen gibt. Das sei gegen alle Vereinbarungen, beklagt der Behindertenanwalt des Bundes. „Das ist eine Bestemmhaltung, die unverständlich ist.“

ZUR PERSON

Erwin Buchinger, seit einer Woche 58Jahre alt, wurde von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) mit Jahresbeginn 2014 für weitere vier Jahre als Behindertenanwalt des Bundes bestellt. Nach einem Hearing hatte er über Vorschlag einer Kommission den Vorzug als bestqualifizierter Bewerber erhalten. Buchinger war selbst von Anfang 2007 bis Dezember 2008 für die SPÖ Sozialminister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2014)

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