Der Herr und Gelehrte, der eine Unzahl von Welten sammelte

In memoriam Rudolf Schmidt: Die Geräte zur Veranschaulichung der Vermessung der Erde sind, wie auch die Schöpfung selbst, als Kunstwerk zu verstehen.

Vor einer Woche wurde im Palais Mollard, welches das Globenmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek beherbergt, im Rahmen eines Festaktes des großen Freundes und Förderers dieser Institution, des im letzten September im 90.Lebensjahr verstorbenen Professors Rudolf Schmidt, gedacht. Er war im guten und wahrsten Sinne des Wortes ein „Herr“ – und noch mehr als das.

Er ist, wie er mir erzählte, aufgrund eines fast beiläufig erfolgten Ankaufs eines alten Globus, der ihm in den 1950er-Jahren angeboten wurde, sogar zu einem „Herrn von vielen Welten“ geworden. Denn plötzlich erfasste ihn das Sammelfieber und er erwarb eine Unzahl von Erd- und Himmelsgloben, Armillarsphären, mechanischen Modellen des Sonnensystems mit den Planeten und Monden. Leisten konnte sich Rudolf Schmidt dieses extravagante Steckenpferd aufgrund seiner Herkunft.

Sein Großvater und sein Vater – beide trugen wie er und auch sein Sohn den Vornamen Rudolf – waren erfolgreiche Unternehmer im Stahlwesen: Großvater Rudolf Schmidt kam von einer seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Preußen erfolgreich geführten Schmiedefabrik nach Wien und gründete zusammen mit dem ebenfalls aus Preußen eingewanderten Hugo Rosenthal 1892 in Favoriten – eine Marktnische ausnützend – eine Feilenhauerei, in der später das Ausschmieden von Edelstählen aufgenommen wurde.

Vater Rudolf Schmidt übernahm das florierende Geschäft, führte es bis zu seinem Ableben im Jahr 1955 und bereicherte es mit seiner Erfindung des TOR-Stahls, ein durch Torsion, also durch Drehung, kaltverformter Bewehrungsstahl für Beton, der seither die grundlegende Basis für den Stahlbetonbau bildet.

Sein Sohn, der Globensammler Rudolf Schmidt, besuchte bis zu seiner Auflösung 1938 das Theresianum. Er konnte danach, ohne noch etwas lernen zu müssen, souverän maturieren, brach aber das Studium an der damaligen Technischen Universität Wien ab, da er seinem Vater beim Wiederaufbau des im Krieg teilweise zerstörten Stahlwerks zur Seite stehen musste. Nach seines Vaters Tod führte er das Unternehmen allein verantwortlich weiter: Er wurde Gewerke wie seine Vorfahren, zugleich ein höchst belesener Gelehrter, ein in Musik, in der bildenden Kunst, in der Technikgeschichte kunstsinniger Meister.

Er hatte in vielen Bereichen der Wirtschaft sowie in angesehenen Kulturvereinigungen leitende Funktionen inne und war als Synodalkurator der evangelischen Kirche H. B. aus Tradition verpflichtet.

Doch all dies und vieles mehr umkreiste das Zentrum seiner Interessen: die Globen. Beginnend mit dem Erdglobus des Gemma Frisius von 1537 bis hin zu Mondgloben, die erstellt wurden, als die sowjetischen Luna-Satelliten die ersten Bilder von der Rückseite des Mondes zur Erde sandten.

Wer die Schätze von Rudolf Schmidt besichtigen durfte, war von der Fülle überwältigt. Es ist die größte private Globensammlung weltweit, ja überhaupt die drittgrößte nach jener von Greenwich und der Österreichischen Nationalbibliothek.

Eine von Erich Lessing aufgenommene Fotografie der unzähligen Weltkugeln vermittelt die Philosophie, die sich hinter der Sammelleidenschaft des Rudolf Schmidt verbirgt: Jeder Globus ist eine Welt für sich. Ja, es gibt sogar mehr Welten, als es je Globen geben kann. Denn jeder Mensch lebt in der ihm eigenen Welt.

Und dennoch sind die Welten wie die Globen nicht vollends verschieden: Dass wir sie vergleichen können, zeigt, dass in einem tieferen Sinn die Welten der Menschen auf einer ihnen allen gemeinsamen Basis gründen. Tatsächlich handelt es sich nicht um einen aus Zufall, sondern einen aus Voraussicht gebildeten Plan.

So wie die Globen nicht bloß nützliche Geräte zur Veranschaulichung der Vermessung der Erde sind, sondern darüber hinaus Kunstwerke, so ist es nicht falsch, die Schöpfung selbst als Kunstwerk zu verstehen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2014)

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