Gadtkommentar

Lasst Turrini eine neue Landeshymne dichten!

Peter Kufner
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Zur Diskussion um den Text zur niederösterreichischen Landeshymne, den eine Historikerkommission als unbedenklich eingestuft hat.

Im Vergleich zu schriftstellerischen Raubtieren wie Céline oder Ezra Pound ist Franz Karl Ginzkey, Autor der niederösterreichischen Landeshymne, bestenfalls ein Chamäleon: allzeit anpassungsfähig und situationselastisch; Wirbelsäule statt Rückgrat. Nur im politischen Irrtum, aber in keinem seiner Werke reicht der Autor des „Hadschi Bratschi“ an jene literarischen Größen heran.

Allzu lang stand in der literarischen Forschung die Biographik im Schatten von Strukturanalysen. In den letzten zwei oder drei Jahrzehnten jedoch sind zahlreiche historisch-biografische Forschungen erschienen. Mit jeder Lebensbeschreibung rückten aber problematische Äußerungen, Mitgliedschaften oder politische Aktivitäten in den Mittelpunkt und wurden Anlass von Kontroversen. Im Pro und Kontra ging verloren, dass Forschungsergebnisse, wie unbequem sie sein mögen, immer ein Fortschritt sind. Man sollte ihn begrüßen. Vertuschen, Verschweigen ist Verrat an der Aufklärung.

Differenziert betrachten muss man jedoch die Bewertungen und den Umgang mit biografischen Forschungsergebnissen. Wenn etwa die österreichische Schriftstellerin Alma Johanna Koenig in einer Dokumentation zu den Wiener Straßennamen in die Liste einer „Biografie mit demokratiepolitisch bedenklichen Lücken“ aufgenommen wird, kann man nicht mehr von Leichtfertigkeit reden. Alma Johanna Koenig hatte 1920 in eine Tiererzählung eine Roma-Frau auf­genommen, eine Diebin und triebgesteuerte Femme fatale,  und wahrscheinlich zu „typisch“, zu stereotyp  porträtiert. Das trug der Autorin im „Lesebuch der umstrittenen Wiener Straßennamen“ den Vorwurf des Antiziganismus ein. Die Schriftstellerin wurde zu einem „Fall mit demokratiepolitisch relevanten biografischen Lücken“.

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1933 fielen die Werke von Alma Johanna Koenig in Berlin der Bücherverbrennung zum Opfer. Fünf Jahre später, nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich, wurde sie entrechtet, von Hinterzimmer zu Hinterzimmer gejagt, musste als kranke Frau entwürdigende Torturen erdulden, bevor sie 1942 aus „rassischen Gründen“ deportiert und in Maly Trostinec ermordet wurde. Ihre kritische Einstufung in der Untersuchung der Wiener Straßennamen zeigt, wie weit politische Korrektheit geht und wie selbstgerecht sie sein kann.

Polemik gegen „Cancel Culture“

Im selben Atemzug muss man deutlich machen, welche Strategie hinter der Polemik gegen die ­„Cancel Culture“, die „politische Korrektheit“, steckt. Sie ist ein Kampfmittel gegen kritische Aufklärung. Weisen Historikerinnen oder Literaturwissenschaftler auf Schattenseiten bedeutender Persönlichkeiten hin, wird das als Profilierungssucht, als Geschäftsmodell für Forschungsaufträge, Sport einer besserwisserischen Oberschicht oder marginaler Randgruppen denunziert.

So wie sich die „Aufdecker“ im narzisstischen Vergnügen, eine reinigende Kraft zu sein, selbst bespiegeln, werden sie von „volksnahen“ Kritikern des Tugendterrors geziehen. Die Kritik an der Dokumentation dunkler Flecken in Biografien wird zur Allzweckwaffe einer Antiaufklärung. Progressive Gruppierungen freuen sich über die Aufdeckung eines wirklichen (oder vermeintlichen) Skandals, die politische Rechte über einen Anlass zur Mobilisierung des „Volksempfindens“. Dass die Sensibilisierung gegenüber dem Gewohnten, dass Heterogenität eine Bereicherung, Pluralismus ein gesellschaftlicher Wert ist, bleibt ebenso auf der Strecke wie die mühevolle und bereichernde Suche nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen. Der Dauerstreit um Biografien dient den politischen Rändern.  Am Ende steht ein Verlust der Mitte, von Sachlichkeit und balancierter Kritik.

Hünderl eines Landes sein?

Bleibt die Gretchenfrage: „Nun sag’, wie hast du’s mit …“ – nein, nicht mit der Religion, sondern mit Ginzkey? Ich gestehe, mir fehlt das Landeshymnen-Gen. In der Volksschule musste ich Stelzhamers Lob auf Oberösterreich auswendig lernen. Das „Hoamatland“ solle man so gern haben „wia a Hünderl sein Herrn“. Als Kind dachte ich mir nichts dabei. Als Erwachsener will ich nicht der Dackel eines Landes und seines -hauptmanns sein. Dennoch glaube ich, durch das Erlernen der oberösterreichischen Landeshymne keinen bleibenden Schaden davongetragen zu haben.

Nach mehreren Berufsjahrzehnten in der Bundeshauptstadt frage ich mich jedoch, wie Wien ohne Landeshymne dennoch existiert. Würde es Niederösterreich ohne Landeshymne so ergehen wie den Scheibbsern bei Herzmanovsky-Orlando? Die Scheibbser hatten, siehe „Der Gaulschreck im Rosennetz“, um „einen zweiten Donnerstag“ gebeten: „Scheinbar bloß eine Unvernunft, die jedoch den Denkenden erst allmählich in ihrer grausigen Tragweite nackt vor die Augen trat.“ Könnte Niederösterreich ohne Landeshymne so wie den Scheibbsern ohne ihren zweiten Donnerstag drohen, „allmählich in eine andere Zeitrechnung zu treten“? Würde die Landeshymnenlosigkeit, wie bei Herzmanovsky-Orlando, „übelste Folgen kosmischer Natur“ nach sich ziehen?

Nichts von dem würde passieren. Niederösterreich wäre auch ohne Landeshymne ein liebenswertes Land. Mit Denkern und Dichtern wie Peter Turrini. Der habe, so die Landeshauptfrau, „das Weinviertel entdeckt“, als „Rückzugsort, der Kraft gebe“. Sein dort entstandenes künstlerisches Werk sei „ein Schatz, den man verantwortungsvoll bewahren wolle“. Wenn Niederösterreich, so die Landeshauptfrau, „nicht nur die Heimat des Künstlers, sondern die Heimat seiner Dichtkunst sei“, ja man ihn „bitte, Niederösterreich weiterhin auf das Innigste verbunden zu bleiben“, warum ersucht man ihn nach so viel landeshauptfraulicher Begeisterung nicht um den Text einer neuen Hymne? Wo ein Nitsch-Museum ist, kann man auch eine Turrini-Hymne wagen. Nur Mut!

Allerdings gäbe es im musikbegeisterten Niederösterreich noch andere Möglichkeiten: zum Beispiel die, bei „offiziellen Anlässen“ statt dem Absingen der Landeshymne eine Anleihe bei John Cage zu nehmen. Etwa unter dem Dirigat eines Waidhofner Multitalents mit Grafenegg-erprobten Musiker:innen sein „4’33“ aufzuführen. Vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden der Stille, des Nachdenkens, des Muts, sich seines eigenen Verstandes und nicht vorgefertigter Ginzkey-Verse zu bedienen.

Zum Autor

Kurt Scholz (*1948) war Wiener Stadtschulratspräsident und Restitutionsbeauftragter und lange Jahre Vorsitzender des Zukunftsfonds und hat Entscheidendes zur Verankerung des Fonds in der Community geleistet. Außerdem war er „Presse“-Kolumnist.

'Die Presse - Meinung' Kurt Scholz  Photo: Michaela Bruckberger
'Die Presse - Meinung' Kurt Scholz Photo: Michaela BruckbergerMichaela Bruckberger

Sollte aber jemand bei feierlichen Anlässen unbedingt nach Lyrik dürsten, könnte man das klügste Gedicht vorlesen, das je über Österreich geschrieben wurde. Der Schriftsteller Gerhard Fritsch lebte nur kurz in Niederösterreich, hat aber das Land in „Moos auf den Steinen“ und „Fasching“ literarisch verewigt. Wann immer unsere Bundeshymne gesungen, gespielt oder mit stummen Mundbewegungen begleitet wird, denke ich an Fritsch und einige Zeilen aus seinem Gedicht „Österreich“: „Eitel genannt, belächelt, ausposaunt, Bezweifelt, totgesagt, verraten, verboten, … Zu viel ist hier schon geschehen. … Österreich mit seinen Gerichteten, Gefallenen, Gräbern und Trümmern, dem brennenden Dom, den Gebombten, Geplünderten, Versehrten, … Österreich … mit seinem Schweigen, seinen Tränen, seiner Freude, seinen vergessenen Toten, seinen Gefeierten, … seinem Wissen. Ohne Verzweiflung und Zwietracht, … lächelnd über seine Bestatter. Österreich.“

E-Mails an: debatte@diepresse.com

„Die Presse“, Printausgabe 13.9.2023

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