Geheimnisvolle Oberfläche

Strontium-Titanoxid
Strontium-TitanoxidTU Wien
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Forscher der TU Wien konnten ein stabiles zweidimensionales Elektronengas herstellen. Das könnte die Tür zu einer neuen Art der Elektronik öffnen.

Titanoxid ist strahlend weiß und wird zum Färben von Zahnpasta eingesetzt. Strontium ist für das Rot in Feuerwerken verantwortlich. Und die Idee, diese beiden Materialien für die Herstellung von Elektronik zu verwenden, ist alles andere als naheliegend. Zu kompliziert sind die elektronischen Eigenschaften. Das für die Erzeugung von Mikroelektronik-Bauteilen gängige Silizium ist außerdem viel einfacher in der Handhabung. Die Arbeitsgruppe von Ulrike Diebold am Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität (TU) Wien hat es dennoch versucht – und dabei eine überraschende Entdeckung gemacht.

Wenn wir uns durch unseren Alltag bewegen, sehen wir fast ausschließlich Oberflächen. Doch gerade die Oberflächen sind rätselhafter, als sie scheinen: Während man in der Physik das Innere von Festkörpern inzwischen ziemlich gut versteht, sind Grenzflächen oder Oberflächen Gegenstand intensiver Forschungen. An den Rändern ist alles komplizierter – und zugleich interessanter für die Forschung.


„Alles wird schöner.“ Diebold und ihre Mitarbeiter sind spezialisiert auf die Oberflächeneigenschaften von Metalloxiden. Viele unedle Metalle reagieren mit dem Sauerstoff aus der Luft und bilden Oxide – der Rost von Eisen ist das bekannteste Beispiel. Ursprünglich arbeitete Diebold hauptsächlich mit Titanoxid. Vor drei Jahren kam mit dem Strontium ein weiteres Element dazu. „Es lässt sich vergleichen mit dem Übergang von Schwarz-Weiß zu Farbe“, sagt Diebold. „Alles wird komplizierter, aber auch schöner.“

Im Rahmen eines vom FWF geförderten Sonderforschungsbereichs arbeitet sie mit Strontium-Titanoxid, das für die Kathoden von Hochtemperatur-Brennstoffzellen wichtig ist. „Die Aussicht auf verbesserte Brennstoffzellen war eine wichtige Motivation für die Arbeit mit dem Material, aber es handelte sich dennoch um reine Grundlagenforschung“, so Diebold. Diese gewollte „Anwendungsferne“ ermöglichte es, die elektronischen Eigenschaften genauer zu untersuchen.

Vor etwa zehn Jahren wurde entdeckt, dass sich in Strontium-Titanoxid dicht unter der Oberfläche ein Elektronengas, also eine elektrisch leitfähige Schicht, bilden kann wie bei einem Halbleiter – eine Voraussetzung für die Verwendung in Elektronikbauteilen. Allerdings war diese Schicht nicht stabil, und man verstand die dafür verantwortlichen Effekte nicht. Der leitende Bereich ist dabei so dünn, dass das Elektronengas völlig flach erscheint – also zweidimensional –, was einige ungewöhnliche quantenmechanische Effekte ermöglicht. Solche Effekte sind bei Grenzflächen zwischen unterschiedlichen Materialien nicht ungewöhnlich – hier allerdings befand sich die leitende Schicht nur eine einzige Atomlage unter der Oberfläche und war damit zugänglich für die Forscher.

„Wir vermuteten, dass Defekte im Material den Ausschlag für die Bildung des Elektronengases geben“, sagt Diebold. „Allerdings gab es dafür keinen Beweis.“ Dem gingen die Forscher nach: Mithilfe von Zhiming Wang, der weltweit als Spezialist für die Manipulation von Strontium-Titanoxid-Oberflächen gilt, gelang es, gezielt ganz bestimmte Defekte zu erzeugen und ihre Wirkung zu untersuchen.

Verblüffende Ergebnisse.
Konkret wurde das Material an einem Teilchenbeschleuniger, dem BESSY in Berlin, starker Röntgenstrahlung ausgesetzt, um Sauerstoffatome von der Oberfläche zu lösen. Danach untersuchten sie das Material erneut. Was sie fanden, war verblüffend: Die Oberfläche erschien immer noch unversehrt.

Die Erklärung war, dass Sauerstoffatome aus der nächsttieferen Schicht nach außen gewandert waren. Der Grund dafür: Strontium-Titanoxid hat an der Oberfläche eine andere Kristallstruktur als im Inneren. Die Oberflächenstruktur ist dabei „energetisch günstiger“: Die Sauerstoffatome sind lieber draußen als drinnen und wandern in die Lücken. Im Inneren fehlen sie dann und erzeugen freie Elektronen – und damit die oben erwähnte leitfähige Schicht. Diese Schicht ähnelt einem N-Type dotierten Halbleiter und war in Diebolds Labor stabil. Das war zuvor noch niemandem gelungen.

Entscheidend dabei war nicht zuletzt die intensive Zusammenarbeit mit den Theoretikern: Zhicheng Zhong aus der Arbeitsgruppe von Karsten Held an der Technischen Universität Wien und Xianfeng Hao in der Gruppe von Cesare Franchini an der Universität Wien bildeten die neuen Effekte in Computersimulationen nach.

Das Material bietet sich nicht nur als Alternative zu gewöhnlichen Halbleitern an – wie etwa Silizium –, sondern es bietet auch mehr Möglichkeiten. So besteht die Aussicht, noch weitere exotische Effekte zu erzeugen, etwa Supraleitung, Thermoelektrizität oder Magnetismus. Das soll in weiteren Forschungsarbeiten untersucht werden. Durch äußere elektrische Felder oder das Aufbringen zusätzlicher Metallatome an der Oberfläche könnte das neue Material, so hofft man, noch weitere Geheimnisse preisgeben.

Forscherin

Zur Person
Ulrike Diebold ist die Wittgenstein-Preisträgerin 2013 und hat 2011 den vom Europäischen Forschungsrat (ERC) vergebenen Advanced Grant zum Thema „Oxice Survaces“ zugesprochen bekommen.

Zum Projekt
Weltweit wird nach Alternativen zu Silizium als Halbleiter geforscht. Metalloxide sind hier komplizierter, aber dadurch hat man mehr Möglichkeiten, ihre Eigenschaften zu verändern und nach Wunsch anzupassen. Die Ergebnisse von Diebolds Team sind daher hochinteressant.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2014)

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