Im Kampf gegen „Alljudas Hochburg“

Portrait Gustav Harpner
Portrait Gustav HarpnerPrivatbesitz Stefan G. Harpner
  • Drucken

1934–1938. Der christlich-soziale Ständestaat gab sich konziliant, war aber subtil antisemitisch. Die vorwiegend jüdische Führungsspitze der Rechtsanwaltskammer wurde dezimiert.

Vor 1938 gab es in Österreich, das damals christlich-sozial regiert wurde, viele Berufsgruppen, die immer wieder Ziel antisemitischer Angriffe in den Medien wurden. Dazu gehörten vornehmlich Ärzte, Rechtsanwälte und Richter. „Die Welt bis gestern“hat in der Vorwoche die Repressionen gegen jüdische Ärzte beleuchtet. Grundlage dafür ist eine noch unveröffentlichte Studie der Historikerin Gertrude Enderle-Burcel vom Staatsarchiv.

Nun zu den Advokaten. Deren Berufsgeschichte bis 1945 hat die Rechtsanwaltskammer vor wenigen Jahren lückenlos erforschen lassen. Für den hohen Anteil an jüdischen Juristen gab es simple Gründe. Bildung und Studium waren für viele Juden ein Weg, um aus einem kleinbürgerlichen Milieu aufzusteigen. Für eine Karriere im Staatsdienst war aber in der Regel der Übertritt zum Christentum notwendig. Logisch, dass viele in die freien Berufe auswichen.

1936 waren 62 Prozent der Anwälte in Wien jüdisch. Der 1933 gegründete „Verband der deutsch-arischen Rechtsanwälte“ forderte einen Numerus clausus. Doch trotz aller Antisemitismen wurde laut Ilse Reiter-Zatloukal die rechtliche Stellung der Rechtsanwälte bis zum Anschluss 1938 nicht verändert. Ihre wirtschaftliche Situation verschlechterte sich allerdings ständig.

1922 war mit dem allseits respektierten Gustav Harpner ein Kammerpräsident gewählt worden, der jüdischer Herkunft war – wenn auch nicht mosaischen Glaubensbekenntnisses. Harpner hatte viele Anfeindungen zu ertragen, verteidigte er doch alle bekannten Sozialdemokraten: Victor Adler, Karl Seitz, Wilhelm Ellenbogen, Anna Boschek oder Jakob Reumann. Mehr als das: Er galt als einer der renommiertesten österreichischen Anwälte, sein Name bleibt mit allen großen politischen Prozessen seiner Zeit verbunden. Er war Anwalt der Republik und Mitglied des Verfassungsgerichtshofes. Allerdings starb er bereits 1924.

An der Vita Harpners zeigt sich die schizophrene Situation für Wiener Juden in der Ringstraßenepoche. Mit dem Schuleintritt seines Sohnes gab Harpner 1902 das mosaische Glaubensbekenntnis auf und ließ sich in der beliebten „Konvertitenpfarre“ „Zu den Schotten“ katholisch taufen. So konnte er auch beide Kinder ins Schottengymnasium schicken und ihnen den Eintritt in die Wiener Gesellschaft ermöglichen. Er wolle ihnen „die blöden Scherereien ersparen“, sagte er.

1932 schaffte es dann mit Siegfried Kantor erstmals ein nicht konvertierter Jude (und darüber hinaus auch noch Zionist!) zum Kammerchef. Ihm zur Seite standen zwei Vizepräsidenten und 25 Personen eines Ausschusses. Er und 14 Ausschussmitglieder sollten dann in der NS-Zeit als Juden nach den Rassegesetzen verfolgt werden.

Missliebige Advokaten gelöscht

Aber schon zuvor hatte man sich staatlicher – ständestaatlicher – Eingriffe zu erwehren. Denn nach nur zweijähriger Tätigkeit wurde die Selbstverwaltung der Rechtsanwaltskammer 1934 beendet. Das nunmehrige autoritäre Regime Dollfuß (dann Schuschnigg) nahm auf die Zulassung von Rechtsanwälten Einfluss. Mit Berufung auf die Maiverfassung 1934 musste die Kammer missliebige Advokaten aus ihrer Liste löschen. Sozialistische Betätigung reichte schon aus.

Der Ausschuss wurde zwischen 1934 und 1935 immer kleiner. Entfernte Mandatare konnten zwar bis 1938 noch als Rechtsanwälte arbeiten, aber gleich nach dem Anschluss wurden sie als Juden aus der Rechtsanwaltsliste gelöscht.

1936 kam es zu einer grundlegenden Änderung. Der Druck der heimischen Nationalsozialisten wurde immer stärker, sodass sich die Regierung veranlasst sah, alle Kammermandate einfach zu kassieren, um ein Einsickern von Nazis in die Rechtsanwaltskammer zu vereiteln. Freie Wahlen von Kammerfunktionären waren damit abgeschafft.

In der Wiener Kammer – in der noch keine Nazis saßen – hatte die Maßnahme eine ausgesprochen antisemitische Tendenz, erläutert Enderle-Burcel. Denn hier war rund die Hälfte jüdisch (die nationalsozialistische „Arische Rundschau“ sprach deswegen von einer „Hochburg Alljudas“) – diese wurde nun im Ausschuss ausgeschaltet.

Die neue Führung wurde jetzt vom Justizministerium ernannt – 17 Mitglieder waren vollkommen neu und hatten vorher noch keine Funktion über. Der 1932 demokratisch gewählte Präsident Siegfried Kantor wurde komplett übergangen. Es gab nur mehr vier jüdische Mitglieder im Ausschuss – Paul Abel, Rudolf Fürth, Rudolf Skrein und Robert Ticho – die 1938 aus „rassischen Gründen“ aus der Anwaltsliste gestrichen wurden.

Ende 1937 hatte die Rechtsanwaltskammer 2518Mitglieder. Zahlenangaben für die Jahre 1938 bis 1945 zeigen, dass 1804 Personen aus NS-spezifischen Gründen gelöscht wurden oder ihrer Löschung durch freiwilligen Austritt zuvorkamen – das waren 71 Prozent der Kammermitglieder vom März 1938.

359 davon galten nach den Nürnberger Rassengesetzen als Juden. Ende 1938 gab es nur mehr 771 eingetragene Mitglieder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.