Gastkommentar

Verbrechen zahlt sich in der Politik manchmal aus

Peter Kufner
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Zu glauben, die Anklagen werden einen Wahlsieg Trumps verhindern, ist so fehlgeleitet wie die Annahme, man könnte Hitler zähmen.

Während Donald Trump die zweifelhafte Auszeichnung für sich in Anspruch nehmen kann, als erster ehemaliger Präsident der USA erneut für das Amt zu kandidieren, während zugleich Strafverfahren gegen ihn laufen, ist er nicht der erste Bewerber um ein politisches Amt in der US-Geschichte, der angeklagt, verurteilt oder sogar inhaftiert wurde. Gegen Trumps Energieminister etwa, den texanischen Ex-Gouverneur Rick Perry, lief ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs, als er sich 2016 kurzzeitig um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei bemühte.

Dann war da Eugene Debs, der 1920 vom Bundesgefängnis in Atlanta aus bei der Präsidentschaftswahl kandidierte. Debs war wegen einer Rede, in der er sich gegen die Kriegsbeteiligung der USA im Ersten Weltkrieg gewandt hatte, zu einer zehnjährigen Haftstrafe wegen Verstoßes gegen den Sedition Act von 1918 verurteilt worden. Als Kandidat der Sozialistischen Partei wurde Debs zwar nicht zum Präsidenten gewählt, aber er bekam fast eine Million Stimmen.

Verurteilt und Wahlsieger

Einige verurteilte Kandidaten schafften es sogar, ihre Wahlen zu gewinnen. Marion S. Barry, Jr. erreichte 1994 eine vierte Amtszeit als Bürgermeister von Washington, D.C., obwohl er vier Jahre zuvor wegen Drogenbesitzes eine sechsmonatige Gefängnisstrafe abgesessen hatte.

Während es in demokratischen Ländern ungewöhnlich ist, dass Kandidaten, die in der Vergangenheit angeklagt wurden oder im Gefängnis waren, herausragende staatliche Ämter erlangen, kommt dies allerdings durchaus vor. Manchmal geht es mit einem Demokratisierungsprozess einher. Nelson Mandela gewann 1994 Südafrikas erste freie Wahl, nachdem er vom Apartheidsregime 27 Jahre ins Gefängnis gesteckt worden war. In jüngerer Zeit gewann der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva 2022 die Wahl, nachdem er wegen Korruption zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Davon hatte Lula nur weniger als zwei Jahre abgesessen, als seine Verurteilung aufgehoben wurde.

Andere haben von ihrer Zeit hinter Gittern politisch profitiert. Das berüchtigtste Beispiel ist Adolf Hitler. Vor seinem gescheiterten Putschversuch in München 1923 war er ein relativ unbekannter vorbestrafter Bierkeller-Agitator. Er wurde wegen Teilnahme am sogenannten Hitler-Ludendorff-Putsch zu fünf Jahren Haft verurteilt. Hitler saß letztlich nur neun Monate in der Gefangenenanstalt Landsberg, während derer er sein antisemitisches Manifest „Mein Kampf“ schrieb. Bei seiner Freilassung hatte er es zu Berühmtheit gebracht. Weniger als ein Jahrzehnt später war der ehemalige Aufwiegler Deutschlands „Führer“.

Der ehemalige japanische Ministerpräsident Kishi Nobusuke – Großvater des verstorbenen Ministerpräsidenten Abe Shinzō – war anders als Hitler ein Mitglied der Verwaltungselite seines Landes. Nach seinem Abschluss als Jahrgangsbester an der Kaiserlichen Universität Tokio (heute Universität Tokio) stieg Kishi in der staatlichen Bürokratie rasch auf. Er war noch keine 40, als er mit der Aufsicht über die Wirtschaft des japanischen Marionettenstaats Mandschukuo in der Mandschurei betraut wurde, wo er ein auf chinesischer Sklavenarbeit basierendes Industrieimperium errichtete. Während des Pazifikkrieges diente Kishi als stellvertretender Munitionsminister.

Man könnte Kishi mit Hitlers Architekt und Minister Albert Speer vergleichen, der – in erster Linie wegen des Einsatzes von Sklavenarbeitern – bei den Nürnberger Prozessen zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Doch obwohl er 1945 wegen Kriegsverbrechen verhaftet wurde und dreieinhalb Jahre inhaftiert war, wurde Kishi nie offiziell angeklagt und verurteilt.

Schon während seiner Haft plante Kishi zusammen mit Mitgefangenen sein politisches Comeback. Nachdem die USA zu dem Schluss gekommen waren, dass die Bekämpfung des chinesischen und sowjetischen Kommunismus wichtiger sei als die strafrechtliche Verfolgung japanischer Kriegsverbrecher, entschieden sie, dass Kishi genau der war, den sie brauchten. Kishi bewarb sich nach seiner Freilassung direkt um das höchste Staatsamt und belohnte das Vertrauen der Amerikaner, indem er Japan zu einem zuverlässigen antikommunistischen Verbündeten der USA machte. Er diente 1957 bis 1960 als Japans Ministerpräsident.

Wahlkampf aus dem Gericht

Trump ist weder ein Diktator noch ein Kriegsverbrecher. Er ist ein böswilliger Selbstdarsteller, der sich bemüht, seine rechtlichen Probleme in politische und finanzielle Erfolge umzumünzen. Als selbst erklärter Außenseiter hat er aus den gegen ihn erhobenen Anklagen politisches Kapital geschlagen, indem er sich selbst als von einer etablierten korrupten Elite verfolgten Märtyrer darstellt.

Bisher zumindest scheint seine Strategie aufzugehen. Jede neue Anklage hat Trumps Popularität unter republikanischen Wählern gesteigert und seinem Präsidentschaftswahlkampf zusätzliche Wahlspenden zugeführt. Mit seinen hetzerischen Reden, in denen er Richter und Staatsanwälte angreift, sind Trumps öffentliche Auftritte sensationelle Medienspektakel. Vor Gericht – insbesondere in Fulton County, Georgia, wo sein Verfahren wegen Wahlbeeinflussung im Fernsehen und Internet live übertragen werden wird – wird Trump die Gelegenheit, von der Anklagebank aus Wahlkampf zu führen, zweifellos nutzen.

Biden ist nicht Hindenburg

Das heißt nicht, dass Trump damit Erfolg haben wird. Hitler beispielsweise verlor die Präsidentschaftswahl von 1932 gegen den angesehenen, aber ältlichen Feldmarschall Paul von Hindenburg. Mit seinen 84 Jahren ähnelte Hindenburg US-Präsident Joe Biden zumindest in einer Hinsicht: Gemäßigte und linke Wähler stimmten für ihn, bloß um den Aufstieg seines demagogischen Gegners an die Macht zu verhindern. Doch die Nazis waren zur größten Partei im Reichstag geworden, und konservative Politiker, Industrielle und Geschäftsleute machten den fatalen Fehler, Hitler 1933 als neuen Reichskanzler zu unterstützen. Ihr Irrglaube, dass sie Hitlers Ehrgeiz zügeln könnten, beschleunigte den Niedergang der deutschen Demokratie.

Nun sind die heutigen USA nicht die Weimarer Republik, und Biden ist nicht Hindenburg. Trumps Gewaltrhetorik und seine Drohungen gegenüber seinen Gegnern sind besorgniserregend. Doch ist schwer ersichtlich, wie er ohne Unterstützung der Streitkräfte und der Wall Street seinen Weg an die Macht erzwingen könnte. Allerdings ist es natürlich möglich, dass Trump genügend Stimmen erhält, um Präsident zu werden, selbst wenn er seinen Wahlkampf aus dem Gefängnis führt.

Ein Wahlsieg Trumps wäre mit Hitlers Staatsstreich 1933 nicht zu vergleichen. Aber er wäre schlimm genug. Zu glauben, dass die Anklagen einen Wahlsieg Trumps verhindern werden, ist so fehlgeleitet wie die Vorstellung der deutschen Konservativen, dass sie Hitler würden zähmen können. Wie die Geschichte gezeigt hat, zahlt sich Verbrechen manchmal doch aus.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
Copyright: Project Syndicate 1995–2023

Mirjam Reither

Der Autor

Ian Buruma, geb. 1951 in Den Haag, ist Autor und Journalist. Er lebt seit Langem in den USA. Sein jüngstes Buch: „The Collaborators: Three Stories of Deception and Survival in World War II“ (Penguin Press, 2023).

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